Welt-Reise, Tag 78 - Großbritannien
Wo die Sonne scheint
Mehr als nur Fassade: Das moderne, mehrstöckige Bürohaus gegenüber vom großen Eingang zur Victoria Station, gleich neben dem Apollo Theatre, trägt viel High-Tech aus Österreich in sich. Es wird als eines der ersten Niedrigenergie-Gebäude in der Londoner City gehandelt. Die Fassade aus Stahl, Aluminium und Glas stammt von der GIG Fassaden GmbH, die ihren Sitz in Attnang-Puchheim hat. Die speziellen Solarzellen-Module, die zwischen den Verbundglasscheiben eingelegt sind, kommen wiederum aus Amstetten, aus dem Werk von Ertex-Solar. Das Bürohaus mit dem fetzigen Namen "The Peak@Victoria" und dem auffallend geschwungenen Dach ist längst in Funktion. Die Österreicher sind aber auch an anderen Großprojekten dran. "Wir haben derzeit mit dem Royal College of Art in London zu tun, und mit der Media City in Manchester", berichtet Fassadenbauer Anton Winkler. Außerdem sind 85 GIG-Mitarbeiter in den Bau von fünf Gebäuden im olympischen Dorf maßgeblich involviert. In der Kategorie Moderner Fassadenbau gelten die Oberösterreicher als weltweiter Technologieführer. Selbst der Stararchitekt Sir Norman Foster denkt, wenn er wieder einmal eine Aufsehen erregende Fassade plant, öfters an GIG. "Unsere Technologie steckt unter anderem im Power Tower in Linz drinnen", erklärt der Gentleman nebenan, Dieter Moor von Ertex Solar. Außerdem hat man schon für REWE in Berlin gebaut, und auch die Twin Tower in den Slums der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Moor ist von der Sonnenenergie mehr denn je überzeugt: "Sie macht keinen Lärm, sie raucht nicht, sie stinkt nicht, sie kann auch nicht explodieren." Das Problem sind - immer noch - die wenig attraktiven Einspeistarife. Doch da könnte sich auch in Großbritannien in den nächsten Jahren einiges ändern.
Bobby, bitte melden!
Der Central Communications Command der Londoner Polizei ist einem unschönen Zweckbau in einem wenig attraktiven Grätzel zwischen der Themse und dem großen Bahnhof Waterloo untergebracht. Hier gehen täglich gut 15.000 Notrufe ein. Nicht nur aus London. Von hier aus werden auch alle Aktivitäten der Polizei auf der Straße gesteuert. Man kann in dieser Kommandozentrale Bilder von insgesamt 55.000 Überwachungskameras empfangen. Die sind in der ganzen Stadt verteilt, lassen praktisch keinen toten Winkel. Die Videoüberwacher können ihre Kollegen draußen auf der Straße nicht nur sehen. Sie können auch jederzeit mit ihnen sprechen. Dank Kommunikationstechnologie aus Österreich. Von der Wiener Firma Frequentis. Die wurde im Jahr 1947 gegründet, ursprünglich, um den Hochfrequenz-Betrieb für die damalige RAVAG (Radio Verkehrs AG, Österreichs erste Rundfunkgesellschaft) aufzubauen. In den 1980er-Jahren haben sich die findigen Ingenieure auf die Flugsicherheit verlegt. Heute ist man mit einem volldigitalen Sprachvermittlungssystem auf vielen namhaften internationalen Airports vertreten. Frequentis ist mit rund 800 Mitarbeitern Weltmarktführer im Bereich Flugsicherung - und auch bei Militärs, Polizisten und Verkehrsüberwachern sehr gefragt. "Wir sind heute breiter aufgestellt", sagt Georg Berger. Er kurbelt seit wenigen Monaten im Vereinigten Königreich das Geschäft an. Auf der Visitenkarte des HTL-Nachrichtentechnikers steht: Director of Operations. Auffallend ebenso: Beim gemeinsamen Besuch in der Londoner Notrufzentrale begegnen dem Frequentis-Vertreter alle höher rangigen Polizisten mit großem Respekt. Berger lächelt leise, dann sagt er: "Die haben eine Zeit lang gebraucht, um zu erkennen, wie unsere Technologie ihre Arbeit erleichtern kann."
Hatte Orwell doch Recht?
Bei aller Wertschätzung für Frequentis, eines wird in dieser abgedunkelten Außenstelle von Scotland Yard natürlich auch sonnenklar: Sie wissen heute alles von dir. Wo du gehst, fährst, stehst, in der Nase bohrst, mit wem du sprichst oder auch nicht sprichst, was du trägst, einkaufst, wohin du siehst, was du denkst. Wenn sie wollen, sehen sie mit ihren Zooms sogar die kleinen Wimmerln in deinem Gesicht. Eigentlich gespenstisch. Nimmt man noch den überall in London servierten Einheitssandwich und den Einheitskaffee hinzu, dann hat sich George Orwell eigentlich nur mit dem Datum geirrt. Sein Roman "1984" ist aktuell wie nie, müsste eigentlich "2011" heißen. Jeder Diktator hätte seine Freude mit einem derart perfekten Überwachungssystem. Aber natürlich sind die 55.000 Kameras in der Stadt nur dazu da, um die Bürger zu schützen.
Authentischer Fußball
Da lob' ich mir doch bitte den Leyton Orient Footballclub. Der spielt heute Abend im Revierderby gegen das Team von Dagenham & Redbridge. Und da geht es weniger um die Meisterschaft (die ist für beide Teams schon länger kein Thema mehr), sondern um die Ehre in der dritt höchsten Spielklasse im englischen Fußball, die man hier etwas verwirrend Football League One nennt. Mit der U-Bahn geht es in den Osten von London. In Leyton folgt man dann der Masse, die zielstrebig auf einen großen Wohnblock an der Brisbane Road zustrebt. Im Inneren des neulich renovierten Wohnblocks wurde das alte Denkmal der hiesigen Arbeiter, das Matchroom Stadium, im Grunde genommen so belassen, wie es einmal war. Das "Matchroom" erinnert ein wenig an den Wiener Sportclubplatz. Nur größer, schöner, besser besucht ist es. Auf dem Weststand kostet die Karte ehrliche 22 Pfünder. Wichtiger noch als der Preis: Anders als in der Premiere League bekommt man hier noch locker eine Karte. Und dann geht es auch schon los. Dienstagabend, Kick-off 19.45 Uhr, dritte Liga, und doch deutlich mehr als 10.000 Zuschauer auf den Rängen. Die Leytoner O's beginnen ansehnlich, spielen auch nicht schlechter als ihre Berufskollegen in Mattersburg oder Kapfenberg. Doch dann Jubel im grün-weißen Auswärtsblock. Ein schrecklicher Schnitzer in der Verteidigung der Hausherren, und den nützt der einzige gefährliche Angreifer von Dagenham & Redbridge eiskalt. Auffallend: Die älteren Herren auf dem West Stand trinken Mineralwasser aus der mitgebrachten Plastikflasche. Während die Kantinen im Bauch des Stadions in der Pause weniger überrannt werden als die Toiletten. Krise in England, hautnah. Dafür hat die zweite Halbzeit alles, was ein Fußballspiel braucht: Einen Faustkampf samt Rudel-Bildung in der Nähe der Cornerfahne, dafür nur zwei gelbe Karten, wütende Angriffe von Leyton Orient, ein Strafraumfoul, ein Elferschuss vom eingewechselten sentimentalen Helden der O's, ein Matchroom, der sich in den Armen liegt, und am Ende, nach 94 ereignisreichen Minuten, ein gerechtes 1 : 1. Weitaus weniger sexy: Ein Einkaufszentrumshotelkomplex namens Stamford Bridge. Im Vornehmenviertel. Wo der FC Chelsea nicht mehr wie ein Fußballverein geführt wird, sondern wie eine riesige Marketingmaschine. Wer keine Kohle am Konto hat, muss hier draußen bleiben. Kein Problem für Liebhaber des englischen Fußballs. Die sagen: Wer will schon faden, berechenbaren Krawattenträgerfußball sehen?
Dieser Blog erscheint redaktionell unabhängig in Kooperation mit der Außenwirtschaft Österreich der Wirtschaftskammer Österreich sowie mit dem Wirtschaftsministerium. Die Export-Offensive go-international soll österreichische Unternehmen zu geschäftlichen Aktivitäten im Ausland motivieren und dabei unterstützen.