Welt-Reise, Tag 51 - Argentinien
Die Mautmacher
Industrie im Wandel: Früher einmal hat die Kapsch AG Fernseher und Telefone gebaut. Heute ist der Familienbetrieb in einem ganz anderen Metier erfolgreich: Seine Freeflow-Anlagen für die Eintreibung der Straßenmaut (in Österreich nur für Lkws im Einsatz) werden weltweit verkauft. So ist es möglich, dass im Kapsch-Büro in Buenos Aires mit den 200 jungen Software-Spezialisten auch zwei Österreicher in leitender Funktion arbeiten. Die Gauchos der Kapsch Traffic Com Argentina steuern von hier aus die Computer-Programme bei, die unter anderem für die Verrechnung der Mautgebühren sowie für die Callcenter benötigt werden. Die anderen Komponenten für jene Mautstellen, die den Verkehrsfluss nicht behindern, kommen aus dem Mutterwerk in Wien-Meidling sowie aus einer Niederlassung in Schweden. Wunder der Technik: Erst beim Kunden, auf dessen Straßen, wird alles zusammengebaut. Inzwischen vertraut man in etlichen europäischen Ländern, in Indien, Australien, Neuseeland und Chile auf die Systeme der Österreicher. "Das Potenzial für unsere Produkte ist immens", erklärt der Salzburger Rudolf Pollhammer, der in Wien Wirtschaft studiert hat und seit dem Jahr 2006 die Kapsch-Filiale in Buenos Aires leitet. Die modernen Anlagen wären Geldmaschinen für leere Staats- und Stadtkassen ebenso wie für private Straßenbetreiber. "Die Maut ist aber auch ein Mittel, um den drohenden Verkehrsinfarkt in den Städten in den Griff zu bekommen." So zeigen Aufzeichnungen aus Stockholm, dass seit Einführung der Citymaut der Verkehr um ein Fünftel reduziert werden konnte, dass damit auch deutlich weniger Schadstoffe in die Luft geblasen wurden. Kollege Roman Trinko aus Mannersdorf vor dem Leithagebirge (aus Wiener Sicht!) ist vom Ausbildungsniveau seiner Kollegen angetan. Argentinien gilt nicht zu Unrecht als ein aufstrebendes IT-Land. Die Entscheidung seiner Firma, in Buenos Aires ein kleines Software-Büro zu kaufen, habe sich längst bezahlt gemacht: "Am Anfang haben hier 45 Leute gearbeitet, inzwischen sind wir mehr als 200."
Hinterhof-Industrie
Gut, die Gegend ist nicht die Beste. Nach Dock Sud in der Nähe der Hafenanlagen von Buenos Aires sollte man besser nicht nach Einbruch der Dunkelheit kommen. Wird gesagt. Doch erstens ist es noch länger Tag, und zweitens hat sich hier die Leobersdorfer Maschinenfabrik in einer Werkstatt einquartiert, die als Arbeitgeber auch von den Nachbarn geschätzt wird. Die LMF ist auch im Ausland anerkannt. Hier, in einem Vorort von Buenos Aires, erzeugt man seit 2007 auf einer verlängerten Werkbank spezielle Kompressoren für die Erdgas-Tankstellen. Die sind in Argentinien ein gutes Geschäft: 1,8 Millionen Fahrzeuge fahren mit Gas, nicht aus edlen Klimaschutz-Motiven, sondern aus der schlichten Tatsache, dass das Gas deutlich billiger verkauft wird als das Benzin. Vertreten werden die Leobersdorfer in Buenos Aires von Marco Cirillo. Der 49-jährige Mailänder aus Düsseldorf (was für eine Kombination! - in Düsseldorf lebt heute seine Familie) scheint eine Idealbesetzung zu sein. Er kennt die Mentalität aller Beteiligten, vor allem auch die der Argentinier. Und er ist ein glühender Verfechter des Lean Managements, das die Produktionsabläufe optimieren und damit auch die Kosten verringern will. Dennoch muss der Italo-Deutsche - manchmal schmerzhaft - zur Kenntnis nehmen, dass die Uhren in Argentinien und auch in Österreich langsamer gehen als für den Erfolg in der Wirtschaft gut ist. "Wir müssen jetzt schnell handeln", fordert er immer wieder seine Kollegen auf, stärker aufs Gas zu steigen. "Der Markt in Argentinien ist gesättigt, doch die Chancen in den Nachbarländern sind riesig." Sein Kalkül ist - wie überall auf der Welt - einfach: Das Geld, das man jetzt auf der Straße liegen lässt, werden die Mitbewerber gerne aufklauben.
Hochglanz-Industrie
Danke, Senor Federico Kade! Seit bald zwanzig Jahren leitet er die Niederlassung von Böhler, heute Böhler Uddeholm, in Buenos Aires. Für den KURIER hat der 62-jährige Chemieingenieur seinen Sommerurlaub in Uruguay für einen Tag unterbrochen, um uns Einblick in seinen Betrieb zu gewähren. Das Werk von Böhler Uddeholm befindet sich in einer Industriezone, im Norden von Buenos Aires. In der Mozartstraße, um genau zu sein. Musik - auch in den Ohren des freundlichen Firmenleiters, der Deutsch wie seine Muttersprache spricht. Konkret werden hier, auf der verlängerten Werkbank, Gussformen (so genannte Werkzeuge) aus hochlegiertem Stahl für die Automobil-, Papier- und Textilindustrie gehärtet - übrigens in einem speziellen Vakuumofen der Welser Firma Rübig. Kade führt weiter aus, dass man auch die komplizierten Vorlagen für die Gehäuse im VW-Getriebewerk in Cordoba produziert. Die Beziehung zu seinem Arbeitgeber und den Kollegen in Kapfenberg beschreibt der argentinische Geschäftsmann als gut - abgehärtet sozusagen: "Ich habe Glück gehabt. Man hat mir viele Freiheiten gelassen. Man hat oft auf meine Meinung und die Meinung meiner Mitarbeiter gehört." Diese besondere Form der Wertschätzung scheint auch gerechtfertigt. Denn Kade hat mit seinem technischen und kaufmännischen, vor allem aber mit seinem Insider-Wissen ein Werk am Rande des Bankrotts übernommen und behutsam wieder in eine Top-Position geführt: "Heute machen wir fünf Mal mehr Umsatz." Gemeinsam mit dem hiesigen VW-Chef, Viktor Klima, sitzt der Diplomingenieur auch im Dachverband der ausländischen Handelskammern (der Volkswagen-Manager vertritt dort die deutschen Firmen, der Böhler-Mann die Österreicher). Diese Kammer ist in Argentinien eine ernste Angelegenheit, wie Federico Kade betont. "Die Politik ist hier sehr willkürlich. Daher müssen wir leider oft intervenieren, und gemeinsam ist man bekanntlich stärker." Den Zeit- und Energieaufwand für die Abwehr von politisch motivierten Stör-Aktionen beziffert er übrigens mit satten fünfzig Prozent.
"Korruption ist gegeben"
Der Staranwalt schwächt zunächst ab: "Jeder Betrieb, der nicht gravierend ist, darf von Rechtssicherheit in Argentinien ausgehen." Um nach einer Weile doch deutlicher zu werden: "Gut, Korruption ist gegeben. Wenn ein Unternehmen für einen Politiker interessant ist, wenn es in einer sensiblen Branche tätig ist oder an einer öffentlichen Ausschreibung teilnimmt, dann können Probleme auftreten." Nachsatz: "Dafür sind wir auch da." Ohne Zweifel: Die allgemeine Rechtsunsicherheit im argentinischen Wirtschaftsleben ist für die Anwälte ein gutes Geschäft. Das weiß auch Christoph von der Fecht, der mit seiner prominenten Kanzlei (drei Partner, er, dazu ein kleines Heer von 35 Juristen) etliche Firmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz vertritt. Von der Fecht ist in Buenos Aires geboren. 1953. Als Sohn einer Berliner Architektin und eines Grazer Ingenieurs, die bald nach dem Weltkrieg ihr Glück in Argentinien versucht haben. Er spricht ein Deutsch, das mehr an seine Mutter, den Besuch der deutschen Schule in Buenos Aires sowie an ein zweijähriges Praktikum in westdeutschen Anwaltskanzleien erinnert, denn an den Vater aus der Steiermark. Dennoch fühlt er sich Österreich "sehr verbunden". Cristobal anstelle von Christoph auf seiner Visitenkarte, das soll wohl auch deutlich machen, dass er ganz nebenbei auch die Sprache der argentinischen Richter perfekt beherrscht. Der Anwalt ist seit vielen Jahren ein enger Vertrauter der Firma Swarovski. Bei Red Bull zieht man ihn wiederum gerne bei besonders kniffligen Fragen zu Rat. Darüber darf er natürlich keine Auskunft geben. Es ist allerdings in Buenos Aires kein großes Geheimnis, dass der Getränkekonzern - wie zuvor auch schon in anderen Ländern gehört - Probleme mit der Zulassung seines Energy Drinks hat.
Mütter Courage
Buenos Aires ist eine Stadt, die in Kürze 15 Millionen Menschen zählen soll. Einladend wirken bis heute die vielen Kaffeehäuser in den alten Vierteln der Spanier und der Italiener. Und natürlich wird fast an jeder Straßenecke auf den Tango aufmerksam gemacht. Die Stadt spiegelt aber auch die politischen Brüche eines Lands, dem ein früherer US-Präsident eine große Zukunft voraus gesagt hat, mit dem Nachsatz, dass diese Zukunft nie eintreten werde. Auch schon bald dreißig Jahre her folgende Geschichte: Die argentinische Militärjunta setzte damals, 1982, alles auf eine Karte. Vor allem aber setzte sie das Leben vieler junger Rekruten aufs Spiel. Um die eigene Macht zu erhalten. Doch die Generäle hatte ihre Rechnung ohne die englische Premierministerin Margaret Thatcher gemacht. Den Argentiniern schickte die von ihren Landsleuten "Eiserne Lady" genannte Thatcher einen eisernen Besen. Ihre Elitetruppen ließen den unerfahrenen Regimesoldaten im Falkland-Krieg, hier Guerra de las Malvinas genannt, nicht den Funken einer Chance. Nach der militärischen Niederlage mussten die Generäle, die zuvor blutig gegen ihre Gegner vorgegangen war, bald einmal abdanken. Einen kleinen Beitrag zu ihrer Vertreibung haben auch die demonstrierenden Mütter und Großmütter geleistet. Schon seit dem Jahr 1978 kamen sie regelmäßig zur Plaza de Mayo im Stadtzentrum von Buenos Aires, um auf das Schicksal ihrer verhafteten, verschleppten und verschwundenen Söhne aufmerksam zu machen. Anfangs nur vom Geheimdienst wahrgenommen, wurden sie mit Fortdauer ihres stummen Protests immer mehr zu einem Symbol des zivilen Widerstands. Der Sieg der argentinischen Zivilgesellschaft über die Militärs hat damit auch viele Mütter. Rudl, das symbolische Zugpferd für die österreichischen Exporteure, ist darauf trainiert, sich möglichst nicht in fremde Angelegenheiten einzumischen, auch darauf zu achten, dass ihm möglichst nicht die Pferde durchgehen. Doch sein Respekt vor dem Mut der protestierenden Mütter veranlasst ihn heute dazu, eine Ausnahme zu machen.
Dieser Blog erscheint redaktionell unabhängig in Kooperation mit der Außenwirtschaft Österreich der Wirtschaftskammer Österreich sowie mit dem Wirtschaftsministerium. Die Export-Offensive go-international soll österreichische Unternehmen zu geschäftlichen Aktivitäten im Ausland motivieren und dabei unterstützen.