Welt-Reise, Tag 5 - Nigeria
Das andere New York
Ankunft in Lagos, Nigeria, dem New York Westafrikas, wie manche Menschen hier sagen, ohne je in New York gewesen zu sein. Was aus dem klimatisierten Auto sofort auffällt: Jede Einfahrt zu einem Haus ist ein Arbeitsplatz. Manchmal stehen oder sitzen auch fünf Männer in der Gegend herum. Und bewachen, hm, was eigentlich? Vor den rot geschalteten Ampeln dienen selbsternannte Verkäufer Wasser, Sprite, Cola, Erdnüsse, Ramsch, Zeitungen usw. an. Längst ufert die Hafenmetropole im Golf von Guinea an allen Enden aus, schon ist sie auf dem Weg, die größte Megacity Afrikas zu werden. Die, die hier ihr Glück versuchen, kommen aus dem ganzen Land und auch aus den Nachbarstaaten nach Lagos, in der Hoffnung, hier ihrer Armut zu entfliehen. Die Wenigsten schaffen das. In Nigeria herrscht ein System, das kapitalistischer nicht sein könnte: Jeder, der auf der Straße - als einer von Zigtausenden - irgendetwas feilbietet, oft in einer selbst zusammengezimmerten Holzbox, ohne reale Aussicht auf ein richtiges Einkommen, ist Unternehmer. Und gilt daher nicht als arbeitslos. Es reichen wenige Stunden in Lagos, schon kann man jeden Wiener Augustin-Verkäufer aus Nigeria ein bisserl besser verstehen.
Das ist Spitze!
Nicht weit vom Flughafen sitzt Rudi Bösch in seinem Büro. In seiner Stickerei. Dem wird es auch nicht gerade leicht gemacht. Bösch ist der letzte Firmeninhaber, der versucht, eine bemerkenswerte Export-Geschichte des Ländles fortzuschreiben. Die Geschichte geht ungefähr so: In den 1960er-Jahren hat man in Nigeria erkannt, dass die Vorarlberger ideale Stoffe für die teils bunten Landestrachten liefern können. Diese werden auf allen großen Familienfesten getragen, angefangen von der Taufe über die Hochzeit, Weihnachten, Geburtstage bis zum Tod. Der 57-jährige Dornbirner kann sich noch an 25 Vorarlberger Stickereien erinnern, die sich in Lagos angesiedelt haben. Die sind Geschichte. Dennoch ist es bis heute so: Wann und wo immer im Riesen-Land etwas Großes zelebriert wird, sind auch die Spitzen-Produkte aus Lustenau und Umgebung zu sehen. Der Rudi trotzt hier allen ökonomischen und sozialen Widrigkeiten. Hält es aus, dass das Land von chinesischer Billigware überschwemmt wird. Beschwert sich nur insgeheim, dass er keine Hilfe von den hiesigen Banken erhält. Nimmt zur Kenntnis, dass seine Kunden nicht immer bezahlen können, was sie bestellt haben. Bedauert, dass die Nigerianer jetzt auch für ihre Feiern kaum Geld haben. Doch der Rheintaler kann auch stur sein. So leicht gibt er nicht auf. Wohl auch, weil er sich in dieses Land und seine Leute verliebt hat. Das hat er wirklich. Immerhin hat er eine Nigerianerin geheiratet, was seinen Vater nicht unbedingt zu Jubelstürmen bewegt hat.
Mein Freund, der Chief
Heinz König ist ein echter Chef. In dem kleinen Dorf außerhalb von Lagos, in dem der umgängliche Lustenauer von 1976 an 18 Jahre lang gelebt hat, haben sie ihn am Ende zum Chief ernannt. In unsere Sprache und Kultur übersetzt: Zu einem Ehren-Gemeinderat ernannt. Was mehr als nur eine gelungene Integration bedeutet. Doch der 67-jährige Pensionist ist noch aus einem ganz anderen Grund ein Chef. Derzeit hilft er bei seinem Freund Rudi Bösch aus, der in Lagos versucht, sich einigermaßen über Wasser zu halten. Einfach so hilft er seinem Freund. In der Pension, sagt er, sei ihm eh ein bisserl fad gewesen. Und irgendwie muss er ja als Chief auch ab und zu nach dem Rechten schauen. Dazu kommt, dass er mit den jahrzehntealten Stick- und Nähmaschinen, die beim Rudi noch laufen, auf Du ist. Seit der Werkmeister in der Fabrik des Freundes nach dem Rechten sieht, gibt es praktisch keinen Stillstand mehr. Ob er auch zu Hause, in Lustenau, die Hosen anhat? Herr König, der wie gesagt ein Chief ist, lächelt. Dann sagt er stolz, nicht überheblich: "Ich glaube schon, denn sonst hätte mich meine Frau nicht so einfach ziehen lassen."
"Go, bring beer!"
Der Widerspruch könnte gewaltiger kaum sein: Draußen auf dem glühenden Asphalt, den die Äquatorsonne auch im Dezember tagsüber zum Dampfen bringt, versuchen mehr als zehn Millionen Menschen irgendwie über die Runden zu kommen; im Fünf-Sterne-Sheraton surrt derweil für ein ausgewähltes Publikum die Klimaanlage auf Hochtouren. Draußen fällt immer wieder der Strom aus. Hier herinnen liegt - dank Diesel-Generator - Schampus auf Eis. Und auch der Internetempfang ist rund um die Uhr garantiert. Draußen trifft man Menschen, die freuen sich, dass sie einen weiteren Tag überlebt haben. Hier herinnen hört man gelegentlich Gringos holprig, dafür umso lauter herrschen: "Go, bring beer!" Das sind die Momente, in denen Alexander Gassauer gerne vergessen würde, wen er hier eigentlich darstellt. Der 58-jährige Salzburger aus Bad Gastein ist seit 2004 der Area Manager für eine bekannte internationale Kette in Nigeria. Und er bereut diese Entscheidung keinen Tag. Jüngst hat ein Kellner 3500 Dollar unter einem Tisch gefunden. Damit hätte er seine Familie wohl eine Weile durchbringen können. Doch der Kellner hat den Fund sofort seinem Chef gemeldet. Schlimm, dass man so etwas überhaupt erwähnen muss: Nicht alle 150 Millionen Nigerianer sind Drogendealer in Österreich. "Auch ich bin mit einer falschen Vorstellung nach Lagos gekommen", eröffnet Gassauer, der seit 1974 fast durchgehend im Ausland tätig ist. "Doch ich habe schnell festgestellt, dass es hier verdammt viele gescheite Leute gibt." Gewiss, der gut bezahlte Manager begrüßt in seinem goldenen Käfig nur reiche Nigerianer und nicht minder reiche Europäer. Dennoch ist es interessant, was ihm zum Thema Integration einfällt: "Die war für mich überhaupt kein Problem hier. 95 Prozent meiner Freunde sind Nigerianer."
Dieser Blog erscheint redaktionell unabhängig in Kooperation mit der Außenwirtschaft Österreich der Wirtschaftskammer Österreich. Die Export-Offensive go-international soll österreichische Unternehmen zu geschäftlichen Aktivitäten im Ausland motivieren und dabei unterstützen.