Meinung

Beruhigungspillen

Der Anstieg von Anzeigen in einem bestimmten Bereich – wie etwa bei der Verhetzung – lässt regelmäßig den Ruf nach härteren Strafen erschallen

Ricardo Peyerl
über Verhetzung

Es ist immer der gleiche Reflex: Der Anstieg von Anzeigen in einem bestimmten Bereich – wie etwa bei der Verhetzung – lässt regelmäßig den Ruf nach härteren Strafen erschallen. Politiker verteilen sie gern als Beruhigungspillen für aufgebrachte Bürger. Nachhaltige Wirkung ist freilich nicht zu erwarten. Der Schreibtischtäter zahlt die Geldstrafe, ohne zu begreifen, wofür eigentlich; seine Vorurteile und seinen Hass baut er dadurch nicht ab; gelernt hat daraus niemand.

Aber wie sonst soll man damit umgehen? Ein auch bei anderen Kriminalitätsformen (noch viel zu selten) praktiziertes Erfolgsmodell heißt Diversion: Der Hassposting-Verfasser leistet gemeinnützige Leistungen, z. B. in einer Flüchtlingsunterkunft. Er begreift: Die Fremden, gegen die er gehetzt hat, sind Menschen wie er. Sie bekommen ein Gesicht. Das hilft, die böse Fratze abzulegen. Denn face to face tut man sich ungleich schwerer, Beleidigungen abzusondern, als anonym hinter dem Computer-Bildschirm.

Dieser direkte Austausch des Täters mit dem Opfer (und umgekehrt) führt übrigens erwiesenermaßen wesentlich seltener zu einer neuen Straftat als eine Haft- oder Geldstrafe. Er lässt sich halt nicht so gut verkaufen. Womit wir wieder bei den Beruhigungspillen wären.