Verteidigungsministerin Tanner: "EU ohne Westbalkan nicht vollständig"
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) hat am Mittwoch in Belgrad ihren serbischen Amtskollegen Nebojša Stefanović getroffen. Tanner, für die es der erste offizielle Besuch Serbiens ist, will vor allem die militärische Kooperation mit Serbien vertiefen, um die sicherheitspolitische Stabilität am Westbalkan nachhaltig zu stärken, wie sie sagte. Serbien und die fünf anderen Westbalkan-Staaten streben eine EU-Mitgliedschaft an. Zugleich ist die Region nach wie vor von früheren kriegerischen Konflikten geprägt.
"Leider ist die Europäische Union ohne die Länder des Westbalkans nicht vollständig. Deshalb wird Österreich Serbien und andere Länder des Westbalkans auch weiterhin beim EU-Beitritt unterstützen", sagte Tanner laut einer Aussendung des serbischen Verteidigungsministeriums.
Spannungen
Jüngst haben dies wieder erhöhte Spannungen zwischen Serbien und seiner früheren Provinz Kosovo gezeigt. Auch darüber will Tanner mit Stefanović sprechen. Die kosovarische Regierung hatte im September eine Polizeisondereinheit in den von Serben bewohnten Nordkosovo geschickt, um eine Verordnung durchzusetzen, die Autos mit serbischen Kennzeichen die Einreise in den Kosovo verbietet. Damit ließ der Kosovo "Gegenseitigkeit" walten, denn umgekehrt erlaubt Serbien die Einreise mit kosovarischen Nummerntafeln auch nicht. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić antwortete allerdings auf die Sonderpolizei mit Artillerie und Panzern, die er an die Grenze zum Kosovo schickte.
Schließlich konnte die Lage durch EU-vermittelte Verhandlungen in Brüssel entschärft werden. Nun soll eine dauerhafte Lösung im Kennzeichen-Streit ausgearbeitet werden. Serbien erkennt den zu 90 Prozent von Albanern bewohnten Kosovo, der nach dem Kosovo-Krieg 1998/99 und Jahren unter UNO-Verwaltung 2008 die Unabhängigkeit ausrief, nach wie vor nicht als eigenen Staat an. Anfang Oktober fand Vučić aber bei einem EU-Westbalkangipfel in Brdo in Slowenien klare Worte: "Ohne die Dinge mit Prishtina zu lösen wird Serbien nicht der EU beitreten können", sagte er laut Nachrichtenagentur Reuters.
Engere Zusammenarbeit vereinbart
Stefanović dankte Österreich explizit für den Beitrag des Bundesheeres zur NATO-geführten KFOR-Truppe im Kosovo, die u.a. auch zum Schutz der serbischen Volksgruppe dient. Die KFOR sei ein Stabilisierungsfaktor; der Minister sprach sich dagegen aus, die Truppenanzahl weiter zu reduzieren. Eine Eskalation im Kosovo lehne Serbien ab, betonte Stefanović: "Wir sorgen uns lieber darum, dass die Menschen ein besseres Leben haben." Stefanović betonte, dass es mit Österreich durchaus Differenzen in der Kosovo-Frage gebe, gehörte doch Österreich zu den ersten Ländern, die die Unabhängigkeit 2008 anerkannten.
Tanner und Stefanović hatten erst am 13. September in Krems einen bilateralen Staatsvertrag zur militärischen Zusammenarbeit unterzeichnet. Diesen gilt es nun zur Förderung der bereits bestehenden Kooperation mit Serbien mit Leben zu erfüllen. Konkret geht es laut der Ministerin dabei um die Ausbildung von Führungskräften, die Nutzung der Infrastruktur zur Bekämpfung atomarer, biologischer und chemischer Waffen in Serbien durch ABC-Soldaten aus Österreich, und "wir haben auch eine engere Zusammenarbeit im militär-medizinischen Bereich vereinbart", sagte Tanner zur APA. Die ÖVP-Politikerin bot ihrem Amtskollegen zugleich an, dass künftig serbische ABC-Soldaten an einschlägigen internationalen Trainings in Korneuburg teilnehmen könnten.
Wehrpflicht auch ein Thema
Derartige Staatsverträge gibt es demnach auch mit den anderen fünf Westbalkan-Staaten, die eine EU-Mitgliedschaft anstreben - aber mit jeweils anderen Schwerpunkten. Bei Nordmazedonien liegt dieser etwa beim Austausch mit der Militärakademie in Wiener Neustadt. "Der Westbalkan liegt vor unserer Haustür, die Herausforderungen, die da sind, sind nur gemeinsam bewältigbar", betonte Tanner. Gerade jetzt müsse Österreich einmal mehr die EU-Integration der Westbalkan-Staaten unterstützen, angesichts eines fehlenden Zeitrahmens für Beitritt und Verzögerungen "merkt man gerade jetzt in allen sechs Staaten eine zunehmende Ungeduld".
Stefanović betonte die europäische Ausrichtung der früher stark an Russland ausgerichteten serbischen Streitkräfte. So gehe gerade der Kauf von Militärhubschraubern von dem europäischen Rüstungskonzern Airbus über die Bühne: Wenn man Teil der Europäischen Union werden wolle, sei es auch angebracht, europäische Ausrüstung zu kaufen, so Stefanović.
Tanner und ihr Gastgeber tauschten sich auch über das Thema Wehrpflicht aus. In Serbien wurde sie abgeschafft, es läuft aber eine Diskussion über die Wiedereinführung. Dazu erhofft sich Stefanović Antworten auf konkrete Fragen und Erfahrungsberichte zum österreichischen Grundwehrdienst-Modell. Völlig offen ist, ob Serbien künftig alle Männer verpflichten will oder sogar alle Männer und Frauen oder ein gemischtes System aus Pflicht und Freiwilligkeit. Die Frauenquote beim serbischen Heer gab Stefanović mit 15 Prozent an; Tanner jene für das Bundesheer mit vier Prozent.