Nah und doch unbekannt: Tipps für 4 Tage Budapest
Von Daniel Voglhuber
Eine Cousine, die man eigentlich nie besucht, obwohl sie ums Eck wohnt. Warum? Weil eventuell die weit gereiste Freundin in Amerika, der entspannte Bekannte in Thailand oder die kosmopolitische Tante in London mehr reizen. Ringt man sich dann doch zu einem Besuch bei der Cousine durch, dann muss man sich eingestehen: „Ja, die ist eigentlich eh voll super. Warum komm ich eigentlich nicht öfter zu ihr?“
Genau so geht es vielen in Österreich mit Budapest. Die ungarische Hauptstadt liegt gerade einmal zweieinhalb Stunden Zugfahrt von Wien entfernt. Und trotzdem gibt es viele, die noch nie ihren Fuß dorthin gesetzt haben. Wenn sie es dann gemacht haben, wollen sie immer wieder kommen. Dann gibt es andere, die meinen: „Das ist wie Wien, nur etwas anders“ oder „Wie Wien, aber nicht so schön“.
Das stimmt so nicht. Na gut, die Oper sieht aus wie in Wien. Die Grande Dame oder Königin der Donau, wie sie schwülstig genannt wird, hat nämlich einen ganz speziellen Charme. Und sie ist voller Überraschungen und Eigenheiten. Hier gibt es nicht nur prachtvoll-verschwenderische Gebäude und Cafés, heiße Thermalquellen und Gulyás-Touristenfallen mit Puszta-Musikern, die nur mit ihrem Geigenspiel am Tisch aufhören, wenn man ihnen etwas Geld zuschiebt. Nein, die Stadt ist auch durch und durch jung und lebendig. Hier gibt es viele Nachwuchs-Designer (etwa in der hajós utca im Künstlerviertel), probierfreudige Köchinnen und Köche, die Klassiker neu interpretieren (etwa im seit Jahren angesagten Stand25 Bisztró). Und hier ist man – ganz anders als die derzeitigen politischen Verhältnisse in Ungarn – liberal. Und so richtig interessant wird es, wenn die Sonne untergeht. Einige Bars und Discos machen zwar doch etwas bemüht auf Berlin. Da tragen welche deutsche Namen, andere servieren mit Vorliebe Berliner Limos.
Bars in Abbruchhäusern
Doch eine Budapester Eigenheit sind auf jeden Fall die großen Ruin-Bars in ehemaligen Abbruchhäusern vor allem im jüdischen Viertel. Vollgekritzelte Wände, schummrige Räume, alte Sofas, bunte Lampions und volle Gastgärten. Die Stimmung unter den eher jüngeren Gästen ist entspannt, die kredenzten Getränke à la Mojito und Co. sind preiswert, halt nicht das Beste vom Besten. Aber auch ältere Ungarn schauen hier ab und zu auf einen Pálinka-Schnaps vorbei. „Egészségedre!“ Das heißt Prost. Ansonsten versuchen Sie niemals, Ungarisch aus dem Reiseführer zu lernen. Sie werden es nicht schaffen.
Eine Budapest-Überraschung: Es gibt die Lokale noch nicht ganz so lange, wie man etwa beim Anblick meinen könnte. Die Ruin-Pubs sind nicht nach Zusammenbruch des Kommunismus besetzt worden. Die ersten haben vor nicht mal 20 Jahren aufgesperrt. Und ihre Betreiber zahlen brav Miete an Investoren, denen die Häuser gehören. Vor dem Zweiten Weltkrieg war in der Gegend um die Große Synagoge – die größte Europas – das jüdische Leben daheim. Unter der Nazi-Besatzung war hier ein Ghetto für 70.000 Juden. Dann verfielen die Häuser zusehends, bis ihnen Junge neues Leben einhauchten. Die erste Ruin-Bar und damit auch berühmteste ist das "Szimpla Kert" in der Kazinczy utca. Bis zu 800 Personen passen aufs Gelände. Seit 2002 sieht es hier so aus wie bei Alice im Wunderland – auf LSD, wie manche Besucher meinen. Sie wurde 2012 von Lesern des Lonely Planet sogar zur drittbesten Bar der Welt gekürt. Ob das stimmt, sei dahingestellt. Nett ist es dort – gerade an einem lauen Sommerabend – allemal.
Aber wenn die angesäuselten Teilnehmer von Pubcrawl-Touren und Junggesellenabschieden einfallen, wird es Zeit, weiterzuziehen.
In andere Bars etwa. Da gibt es eine ganze Menge, im Sommer sind die vielen großen Rooftop-Lokale unschlagbar (wie die "360 Bar" in der Andrássy út 39). Andere Bars sind klein, versteckt und mysteriös. Und sehr überraschend. „Her Majesty The Rabbit“, zum Beispiel. Wer sie findet, muss eine Mitgliedschaft beantragen. Pandemiebedingt hat sie nur diesen Sommer ihre Türen für den normalen Barbetrieb geschlossen, macht aber für Gruppenbesuche auf.
Eine andere Besonderheit der Stadt ist das weit verzweigte Höhlensystem, das Besucher bei geführten Touren erkunden können. Unterm Burgberg mit den ikonischen Gebäuden wie der Fischerbastei, dem Burgpalast oder der Matthiaskirche führen mehrere Kellerebenen zu einem natürlichen Labyrinth. Dann gibt es dort auch noch das Felsenkrankenhaus-Atombunker-Museum. Wachsfiguren stellen hier die Geschichte nach. Auf 2.300 Quadratmetern wurden im Zweiten Weltkrieg und dem Ungarischen Volksaufstand Menschen behandelt, im Kalten Krieg bis 2002 war es ein geheimes Luftschutzkrankenhaus. Der frei zugängliche Bereich der Pál-völgyi-Höhle wiederum ist 7,2 Kilometer lang und hier gibt es sogar zwei Stalagmiten. Und das unter einer Millionenstadt. Wer hätte das gedacht?
Heiße Quellen
Wer zu viel vom Hochprozentigen genippt hat oder wem die Höhlentouren zu aufregend oder anstrengend waren, sollte eventuell eine Therme zur Entspannung aufsuchen. Über 100 heiße Quellen gibt es im Stadtgebiet. Pro Tag schießen mehr als 30.000 Kubikmeter mineralstoffreiches Wasser an die Oberfläche. Und die Badekultur reicht weit zurück. Die Römer haben sich hier schon im Wasser gerekelt. Die Türken haben die Bäder richtig beliebt gemacht. Sie wollten im Falle einer Besetzung noch baden gehen können. Daher haben sie ein erstes Bad innerhalb der Stadtmauern gebaut.
Ab dem 19. Jahrhundert, als man die heilende Wirkung der Quellen entdeckte, errichtete man prunkvolle Anlagen. Das Széchenyi-Bad etwa im Stadtwäldchen mit seinen Säulen, Brüstungen, gelber Fassade und vielen Statuen gleicht einem Schloss. Tatsächlich ein bisschen wie Wien wirkt das Gellért-Bad mit seinen bewegten Formen des Wiener Jugendstils. Das Hallenschwimmbad im Haupthaus ist mit Marmor und Mosaiken und türkisen Kacheln ausgestattet. Bei schönem Wetter geht das Dach auf. Und weil sich Budapest ab den 1930ern offiziell Badeort nennen darf, ist es übrigens die einzige Millionenstadt Europas, die eine Kurstadt ist. Das ist doch wieder einmal sehr überraschend. Oder?
Getrennt
Wasser mögen die Budapester überhaupt. Auf der Margareteninsel in der Donau trifft man sich am tanzenden Brunnen, der stündlich zu Musikklängen Fontänen in die Höhe schießt. Am besten – wir erinnern uns, hier liebt man die Dunkelheit – in der Nacht, weil da leuchten sie in bunten Farben. Und das Wasser ist es, das das Stadtbild prägt – und die Stadt teilt. Obwohl die von der Donau getrennten Teile Buda – der hügelige, mit Zitadelle und Burg – und Pest seit 1873 vereint sind, merkt man Unterschiede. Rund um den Berg ist es ruhig, während am Ostufer die Stadt pulsiert. Nicht umsonst heißt es: „In Buda wohnen und in Pest leben.“
Wer noch nie in Budapest war, sollte die Klassiker, die sich um die Donau an beiden Seiten gruppieren, abarbeiten. Von der Burg zur Großen Markthalle (Achtung: da wird Touristen gerne auch das Weiße aus den Augen genommen) bis zum riesigen Parlament – da, wo die Orban-Regierung zuletzt höchst bedenkliche Gesetze verabschiedet hat.
Und viele können das nicht mehr lesen, aber man kann es nicht oft genug wiederholen. Wenn Sie Gulyás bestellen, bekommen Sie eine Art Gulaschsuppe. Was in Österreich Gulasch heißt, ist hier ein Pörkölt.
- Badesachen. Auch wenn der Sightseeing-Kalender dicht getaktet ist: In vier Tagen muss es sich einmal ausgehen, in einem der berühmten Thermalbäder kurz auszuspannen.
- robustes Schuhwerk. Wer gut zu Fuß ist, kann zu einem Großteil der Sehenswürdigkeiten gehen. Die Stadt hat die passende Größe dafür. Außerdem ist die ungarische Küche gut, aber eher fettig. Da lassen sich die vielen Kalorien gleich gut verbrennen.
- Das Buch „Die Paprikantin". Ungarn für Anfänger“ (Ullstein) von Lysann Heller über eine junge Frau, die ein Praktikum in Budapest absolviert und sich mit dem Ungarischen und den ungarischen Eigenheiten herumschlägt.