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Tischgespräche: Dieses Mal mit Johanna Rachinger

freizeit-KURIER-Chefredakteur Michael Horowitz und seine Frau Angelika luden 20 befreundete Künstler zu intensiven Gesprächen ein. Bei einem Essen, in einem Wirtshaus, in einer Atmosphäre, bei der sie sich wohlfühlten. Festgehalten wurden die "Tischgespräche" im gleichnamigen Buch. Lesen Sie in den folgenden 20 Tagen was Alfred Dorfer, Christiane Hörbiger und viele mehr bewegt. Dieses Mal zu Gast: Johanna Rachinger.

"Frei im Kopf und mit einem Bein abheben"

Johanna Rachinger genießt es, durch die Weinberge des Retzer Landes zu wandern und zu sehen, wie der Wein auf den Feldern gehegt, gepflegt und geerntet wird, um danach in ihrem liebevoll renovierten Winzerhaus zu sitzen, auf den Garten hinauszuschauen und genüsslich ein Glas Grünen Veltliner zu trinken. Friedlich schöne Stimmungen, die der Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek helfen, nach einer 60- bis 70-Stunden-Arbeitswoche den Stress ihres Berufsalltages abzubauen.

Wir sitzen jetzt hier im Retzbacherhof, die Sonne verschwindet hinter dem Kirchturm, es ist friedlich und still. Ist die Atmosphäre in diesem schönen Wirtshausgarten ein Spiegelbild dieser Gegend?

Eine von vielen schönen, friedlichen Stimmungen, die man hier im Retzer Land erleben kann. Ein herrlich ruhiger Gegenpol zur lauten Großstadt.

Ich nehme an, das war auch der Grund, warum du ursprünglich hierhergekommen bist. Hier kannst du dich nach einem intensiven Berufsleben zurückziehen und Energie tanken. Aber was hat dich als Oberösterreicherin überhaupt in dieses Gebiet verschlagen?

Ende der achtziger Jahre habe ich meine Freundin, die Schriftstellerin Barbara Neuwirth, mit der ich damals im Wiener Frauenverlag arbeitete und die das Haus ihrer Großmutter, die hier lebte, geerbt hat, erstmals ins Retzer Land begleitet. So bin ich in diese Gegend gekommen und habe mich sofort in die Landschaft verliebt.

Das heißt, du hast dich verliebt und bist sofort geblieben?

Nicht sofort. Aber für meinen Mann und mich war es immer ein großer Wunsch, einmal ein altes Weinbauernhaus zu finden und es nach unseren Vorstellungen zu renovieren. Das haben wir dann auch gemacht.

Wann war das?

Wir sind vor fünf Jahren eingezogen.

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Diese Gegend hier um Retz hat aber nicht nur für dich, sondern auch für sehr viele Künstler, wie zum Beispiel für Peter Turrini, der ganz in deiner Nähe wohnt, eine besondere Anziehung. Was macht diesen Reiz aus?

Sicherlich wirkt dieser Landstrich ganz besondere inspirierend und ist ein Platz der Ruhe und Zurückgezogenheit. Hier gibt es nichts Lautes, Lärmendes.

… abseits der schrillen Welt der Großstadt.

Genau! Warum ich all meine freie Zeit hier verbringe, hat noch dazu einen sehr pragmatischen Hintergrund: die Nähe zu Wien.

Haben die Weinviertler euch "Zua`graste", die ihr doch zumeist am Freitagabend kommt und am Sonntagabend wieder nach Wien zurückkehrt, mit offenen Armen aufgenommen?

Ja. Die Menschen hier sind sehr offenherzig. Ich glaube, das hat viel mit der Weinkultur und der Tradition in den Weinkellerwelten zu tun. Das Weinviertel war ein armes Land, aber die Kellertüren standen immer weit offen und haben eingeladen, einzutreten. Man hat sich zusammengesetzt und Wein getrunken. Alles war einfach und bescheiden, aber das wenige, das man hatte, wurde geteilt. Dieser Wesenszug ist heute noch sehr stark ausgeprägt.

Durchs Reden kommen d`Leut zam …

… und der Wein lockert die Zunge. Die Menschen hier sind sehr kommunikativ, gehen aufeinander zu …

… auch auf Fremde?

Ja. Natürlich muss man auch seinen Teil zu diesem Miteinander leisten und sie zur Kommunikation einladen. Aber wenn man selbst bereit ist zur Offenheit, bekommt man von den Menschen sehr viel zurück.

Fallen die beiden Begriffe "Kultur" und "Genuss" für dich unter ein gemeinsames Ganzes?

Unbedingt. Für mich hat Kultur sehr viel mit Genuss zu tun. Ein kleines Beispiel: Wenn ich hier in meinem schönen alten Winzerhaus sitze, ein gutes Buch lese, in meinen Garten hinausschaue und ein Glas Wein trinke, so gehört das alles irgendwie zusammen. Oder wenn ich jedes Jahr Anfang Juli das Festival Retz besuche. Zu so einem Abend gehört auch, sich danach auf dem Hauptplatz zu treffen, gemeinsam ein Glas Wein zu trinken und zu essen. Im Weinviertel, finde ich, ist die Verbindung von Kultur und Genuss besonders ausgeprägt. Sicherlich auch wiederum bedingt durch die Weinkultur.

Hat man es nicht auch in Oberösterreich verstanden, Feste zu feiern?

Ja, aber anders. Ich hatte früher nie einen besonderen Bezug zu Wein. Diese Liebe habe ich erst hier entdeckt.

Zu Weiß- oder Rotwein?

Zu beidem.

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Gibt es, wenn du es dir gemütlich gemacht hast, ein Glas Wein trinkst und liest, Autoren, zu denen besser Rot- beziehungsweise Weißwein passt?

Nein, das habe ich bis jetzt noch nicht festgestellt. Ich bemerke nur, dass ich seit einigen Jahren grundsätzlich lieber Weißwein als Rotwein trinke. Früher war das umgekehrt.

Im Land des Grünen Veltliners ist das ja fast eine Selbstverständlichkeit.

Ja, du hast Recht. Es hat aber sicherlich auch damit zu tun, dass die Weißweine hier in den letzten Jahren viel besser geworden sind. Es gibt inzwischen so viele junge Winzer, die jedes Jahr aufs Neue noch besser und noch kreativer werden und großartige Weine produzieren.

Die Zeit des "Dopplers" ist Gott sei Dank vorbei.

Meine Beziehung zum Wein hat sich aber auch dadurch verändert, dass ich sehr viel durch die Weinlandschaft wandere. An jedem Tag, den ich hier verbringe, spaziere ich vormittags durch die Weinberge und erlebe dadurch, wie diese Gärten bearbeitet werden. Der Arbeitseinsatz und die Liebe der Weinbauern zu jeder Rebe, Blüte und Frucht – das ringt mir sehr großen Respekt ab.

Harte Arbeit am Feld für ein so ein leichtsinniges Vergnügen danach …

Wenn man diesen mühevollen Arbeitseinsatz sieht und die Menschen auf den Feldern beobachtet, baut man einen anderen Bezug zu dem Produkt, der Traube, auf. Daher trinke ich heute den Wein mit einem ganz anderen Gefühl und auch mit einer gewissen Ehrfurcht.

Aber Gehen an sich hat für dich auch darüber hinaus große Bedeutung. Ich habe gehört, manchmal wanderst du sogar von Retz bis nach Znaim.

Ja, das stimmt. Gehen ist für mich sehr wichtig und Teil meiner Entspannung. Hier im Retzer Land kann man – und das ist wirklich außergewöhnlich – stundenlang auf Feldwegen durch unverbautes, nicht zersiedeltes Gebiet wandern. Wo gibt es das noch? Also spaziere ich jeden Tag nach dem Frühstück querfeldein.

Mit Stöcken oder ohne?

Ohne. Mein Mann weigert sich, mit Stöcken zu gehen, weil er meint, durch den Lärm beim Stockeinsatz höre man das Zwitschern der Vögel nicht mehr.

Ein schönes Argument gegen diesen Nordic-Walking-Wahn. Gehen kann man ja durchaus auch philosophisch betrachten. Was bedeuten diese Spaziergänge für dich? Sportliche Betätigung, Entspannung, aus dir heraus- oder in dich hineinzugehen?

Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus vielem. In Wien, wo ich jeden Tag von zuhause ins Büro gehe, bedeutet diese Fortbewegung vor allem, aktiv zu sein und von A nach B zu kommen. Hier, am Land, hat es zwar auch mit Bewegung zu tun, aber diese Wanderung durch die Weinberge dient auch der Verarbeitung meiner Gedanken. Ob ich jetzt allein oder mit meinem Mann gehe, ob wir miteinander sprechen oder still sind, es passiert sehr viel dabei.

Gehst du immer dieselben Wege oder bestimmen deine Stimmungen die Richtung?

Wenn ich beim Gartentor hinaustrete, entscheide ich mich instinktiv für den richtigen Weg.

Weißt du vorher schon, ob du eine oder drei Stunden wandern wirst?

Nein, aber zwei Stunden werden es fast immer.

Deine längsten Wanderungen dauern …

… sechs, sieben Stunden.

Und das nach einer 60- bis 70-Stunden-Arbeitswoche.

Eben deshalb!

Wie schaut der Ablauf eines freien Tages im Retzer Land aus?

Da ich eine begeisterte Zeitungsleserin bin, beginne ich meinen Tag damit, die Tageszeitungen zu lesen. Bei einem ausgiebigen Frühstück mit Rinderschinken, Käse und Marmelade. Dieses Prozedere kann schon an die zwei Stunden dauern.

Danach bist du gehbereit?

Ja, dann wird der Kopf ausgelüftet und der Körper bewegt.

Wenn du von deinen Wanderungen zurückkommst, bist du doch sicherlich wieder hungrig. Kochst du gerne?

Nein, mein Mann kocht gut und gerne. Ich bin eine begnadete und begeisterte Esserin.

Was kocht er denn besonders gut.

Seine Kochkunst hat sich in den letzten Jahren entwickelt und gesteigert. Inzwischen kocht er alles und probiert vieles aus: Zitronenhendl, Salbeispaghetti – was ihm gerade in den Sinn kommt.

Bist du ein Genussmensch?

Ja, unbedingt.

"Im Weinviertel sind die Menschen wie ihre Häuser: nach innen gewandt"

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Wenn du so eine leidenschaftliche Esserin bist, gibt es eine Speise, für die du weit gehen würdest?

Weit gehe ich auch, wenn ich nichts zu essen bekomme. Aber du hast Recht, für Erdäpfelnudel mit Sauerkraut oder eine Linzer Torte würde ich schon ein Stück weiter gehen.

Du kannst deine oberösterreichischen Wurzeln nicht verleugnen.

Nein, natürlich nicht. Auch nicht, dass ich in einem Wirtshaus aufgewachsen bin. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, dass ich gerne Menschen um mich habe und es liebe, Freunde einzuladen.

So ein richtiges Wirtshaus am Land, wie man es sich vorstellt?

Ja, genau so eines. Der Kirchenwirt von Putzleinsdorf.

Das heißt, du bist in einem Wirtshaus aufgewachsen und hast als kleines Mädchen am Stammtisch deine Aufgaben gemacht?

Ja. Das Leben im Wirtshaus war sicherlich eine sehr gute menschliche Schulung für mich. Das hat mich auch sehr geprägt. Wir waren der Treffpunkt im Ort, hatten einen Tanzsaal, ein Kino, den ersten Fernseher im Dorf. Aus diesem Leben, der Kindheit im Wirtshaus, wo immer etwas los war, habe ich auch den Wunsch mitbekommen, irgendwann ein eigenes Haus zu haben. Mit einer großen Tafel und Freunden rundherum. Ein offenes Haus, wo jeder sein Platzerl finden kann.

Das hast du ja jetzt gefunden.

Ja, genau so, wie ich es mir immer gewünscht habe. Ich mag diese alten Winzerhäuser hier so gerne. Nach außen hin scheinen sie klein, um sich dann nach hinten zu öffnen. Dann werden die Gärten breit und die Häuser groß. Das ist auch eine sehr typische Charaktereigenschaft dieser Menschen und Dörfer, dass sie nicht nach außen hin protzen und mit viel Pomp auf sich aufmerksam machen. Im Weinviertel sind die Menschen wie ihre Häuser: nach innen gewandt.

 

"`Meyers Lexikon` ist in unserem Wirtshaus schon im Schankraum gestanden, als ich noch ein kleines Mädchen war"

Ein schönes Bild.

Häuser spiegeln die Menschen wider, die darin wohnen. Wenn man das große Haustor hinter sich schließt, heißt das, man will in seine eigene, sehr abgeschlossene, stille Welt eintauchen. Dann ist man für sich in seinem Haus und seinem Garten, ist geschützt und – was ich sehr schätze – dann hat jeder seine eigene Intimität. Auf die wird hier sehr viel Wert gelegt.

Auch ein Gegensatz zum oberösterreichischen Vierkanter, der groß dasteht und wirkt.

Hier ist alles stiller und intimer. Wenn man kommunizieren will und sich dem Anderen mitteilen möchte, öffnet man sein Tor, geht hinaus und ist bereit für das Draußen, das Gespräch und den Anderen.

Das ist für Künstler und Menschen, die sich ab und zu von der lauten Welt draußen zurückziehen möchten, sicherlich ideal.

Ich bin überzeugt davon, dass sich Künstler und Menschen, die die Stille suchen, von der Architektur dieser Häuser angezogen fühlen. Hier kann jeder für sich und bei sich sein. Künstlerische Arbeit ist ja oft ein sehr einsamer Prozess.

Du hast dich Zeit deines beruflichen Lebens immer mit Büchern beschäftigt. Woher kommt dieses Interesse?

Mein Vater hat viel gelesen, und "Meyers Lexikon" ist bei uns schon im Schankraum gestanden, als ich noch ein kleines Mädchen war. Wenn die Herren vom Stammtisch etwas wissen wollten, hat mein Vater "Meyers Lexikon" aus der Glasvitrine genommen und nachgeschlagen. Dann hat er so laut und deutlich vorgelesen, dass jeder in der Gaststube zuhören musste …

 

"Ich war und bin Feministin"

Damals hatte der Wirt halt noch das Sagen.

Und das war meinem Vater auch sehr wichtig.

Wenn du heute als ehemalige Wirtstochter in ein Lokal kommst, was zeichnet für dich einen Ort aus, an dem du dich sofort wohlfühlst?

Das ist zumeist eine sehr intuitive Entscheidung. Manchmal öffne ich nur die Tür und gehe wieder. Das ist auch oft eine Frage des Geruchs oder der Gedrängtheit der Tische und Menschen. Ich will in einem Wirtshaus oder Restaurant für mich sein können und brauche eine gewisse Intimität.

Wer deine Biografie kennt, weiß, dass du immer überzeugte Feministin warst, bist du das heute noch mit derselben Verve wie früher?

Ich war und bin Feministin. Ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass für Frauen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es ihnen ermöglichen, ein gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Leben mit Männern führen zu können.

"Als Kind habe ich Dramen von Schiller auswendig gelernt"

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Bedeutet Feminismus Gleichberechtigung?

Feminismus bedeutet für mich unter anderem auch, dass Frauen ein gleichberechtigtes Leben in allen Bereichen führen können.

Aber wenn ich an Simone de Beauvoir denke, hatte Feminismus ursprünglich eine andere Bedeutung. Für sie war doch vor allem wichtig, sich frei, befreit und nicht unterdrückt zu fühlen. Oder sehe ich das falsch?

Das ist für mich dasselbe. Ich unterscheide mich in meiner Meinung überhaupt nicht von Simone de Beauvoir. Aber ich kann mich nur dann frei, befreit und nicht unterdrückt fühlen, wenn ich gleichberechtigt leben kann. Gleichberechtigt zu leben heißt selbstbestimmt, finanziell unabhängig zu leben.

Kann man dieses starke Bedürfnis nach Gleichberechtigung auch auf deine Kindheit zurückführen? War es diese Männerwelt im Wirtshaus?

Dieses Gefühl war schon immer sehr stark in mir verankert. Wir waren zuhause sechs Schwestern und ein Bruder, und unser Vater hat damals schon immer gepredigt: "Lernt etwas, verdient euer eigenes Geld, heiraten könnt ihr dann immer noch." Für einen Mann seiner Generation war das eine sehr aufgeschlossene Haltung.

Fast revolutionär würde ich sagen …

Er wollte, dass seine Töchter selbstständig leben können.

Hattest du als junges Mädchen ein Vorbild?

Nein, überhaupt nie. In keine Richtung. Ich wollte nie jemand anderem nacheifern oder so sein wie die oder der. Ich ruhte immer schon sehr stark in mir und war auch sehr selbstbewusst. Es gab nur eine Figur, die mir imponierte. Das war Pippi Langstrumpf.

Warum?

Weil sie so ein mutiges, starkes Mädchen war.

Und bist du wie Pippi Langstrumpf geworden?

Bis auf das Zaubern glaube ich alles verwirklicht zu haben. Ich bin mutig, ich habe eine Haltung, zu der ich stehe …

… und das Zaubern wirst du noch üben?

Ich glaube, die Zauberkunst werde ich in diesem Leben nicht mehr erlernen.

Deine berufliche Laufbahn bestätigt ja auch die erfolgreiche Umsetzung dieser "Pippi’schen Stärken". Mit 35 Jahren wurdest du Geschäftsführerin des Ueberreuter Verlages, mit 41 Jahren Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek

Dass ich es beruflich sehr früh sehr weit geschafft habe, hat vor allem damit zu tun, dass ich immer sehr gerne und vor allem auch sehr engagiert gearbeitet habe.

Das tun andere auch und schaffen es trotzdem nicht in die Direktionsetage der Nationalbibliothek.

Das stimmt. Ich bin darüber hinaus auch sehr leistungsorientiert, sehr zielstrebig und meine Arbeit hat mir immer viel Freude gemacht. Ich habe nie auf die Uhr geschaut, mich mit keinem Dienstgeber darüber unterhalten, ob diese oder jene Mehrstunde als Überstunde zu gelten habe oder nicht, sondern meine Arbeit immer gerne und mit großer Begeisterung gemacht.

Du hast im Ueberreuter Verlag als Programmleiterin für den Bereich Jugendbuch begonnen. Was hat dich grundsätzlich an der Verlagsarbeit interessiert? Kannst du dich noch an das erste Buch erinnern, das du herausgegeben hast?

Ja, das war im Wiener Frauenverlag das Buch „Orpheus würgt daran“. Texte von jungen österreichischen Autorinnen, die über ihre Befindlichkeiten als Frauen geschrieben haben.

Selbst zu schreiben hat dich nie interessiert?

Nein, ich wollte nie schreiben. Weil ich glaube, dass ich jene Bücher, die mir gefallen, nie selbst hätte schreiben können.

Hattest du nie den Drang, selbst künstlerisch etwas zu schaffen.

Nein. Wahrscheinlich auch deshalb, weil mich der wirtschaftliche Aspekt immer stärker interessiert hat. Ich bin sehr ökonomisch geprägt.

Lektorat hat dich nie interessiert?

Nein, nie. Auch bei der Österreichischen Nationalbibliothek reizt mich die Kombination von Kultur im Allgemeinen verbunden mit gleichzeitigem Management von Kultur. Das ist meine Leidenschaft.

Hast du als Kind schon viel gelesen?

Ja. Ich habe zum Beispiel Dramen von Schiller auswendig gelernt und gerne Theater gespielt. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich mit meiner Schwester in unserem Kirschbaum gesessen bin und Schillers "Bürgschaft" rezitiert habe.

"Ich kann nicht in den luftleeren Raum hinein agieren – ich will wissen, was morgen kommt"

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Darauf aufbauend hast du dann in Wien Germanistik studiert?

Theaterwissenschaften und Germanistik. Das musste ich mir jedoch vorher erkämpfen. Mein Vater war der Meinung, das Fach Theaterwissenschaften sei ein brotloses Studium – zum Teil auch deswegen, weil jene Studenten, die einige Jahre vorher den Industriellen Palmers entführt hatten, Theaterwissenschafter waren.

Du hast dich aber trotzdem durchgesetzt?

Ja, das habe ich.

Welche Richtung in der Literatur zieht dich heute besonders an?

Ich liebe die österreichische Literatur der Zwischenkriegszeit und die russischen Erzähler des 19. Jahrhunderts.

Und wenn du dich am Wochenende in deinem Winzerhaus in den Lehnstuhl setzt, ein gutes Glas Wein vor dir, was liest du dann?

Den neuen "Haslinger" oder das neue Buch meiner Freundin Barbara Neuwirth, aber ich lese auch gerne einen Krimi von Elizabeth George oder Donna Leon

 

Gibt es etwas, was du bis jetzt noch nicht erreicht hast, oder bist du heute beruflich dort, wo du immer sein wolltest?

 

Ich wollte immer einen Beruf, der mich finanziell unabhängig sein lässt und der etwas mit Kultur zu tun hat – obwohl ich mir da heute nicht mehr so sicher bin. Ich könnte mir durchaus auch vorstellen, etwas ganz anderes zu machen. Ich bin auch nicht dort, wo ich immer sein wollte – weil ich mir nie vorgestellt habe, in der Österreichischen Nationalbibliothek tätig zu sein. Aber Veränderungen waren mir stets sehr wichtig. Jede Veränderung hat mich einen Schritt weitergebracht und daher sehe ich auch meine jetzige Tätigkeit nicht als etwas Abschließendes an, sondern ich wünsche mir und hoffe, dass ich in meinem Leben noch viele Möglichkeiten haben werde, etwas Neues zu beginnen.

Bist du ein Mensch, der ohne Pläne in die Zukunft geht, so unter dem Motto "Schau ma mal, was morgen kommt"?

Nein, der Typ bin ich nicht. Ich kann nicht in den luftleeren Raum hinein agieren – ich bin ein Mensch, der wissen will, was morgen kommt. Ich hänge nicht an Gewohnheiten, andererseits habe ich ein sehr unverkrampftes Verhältnis zu Traditionen und feiere gerne. Weihnachten oder Ostern zu feiern, ist mir wichtig. Diese Zusammenkünfte mit der Familie und Freunden mag ich sehr. Das gibt mir Halt, das sind Rituale, auf die ich mich freue. Ich spüre meine Wurzeln ganz stark, bin geerdet und überhaupt nicht abgehoben – darauf lege ich Wert.

Man könnte dich wohl als sehr ausgeglichenen Menschen bezeichnen?

Ja. Dafür steht auch eine Bronze-Statue, die ich anlässlich der Verleihung des "Wiener Frauenpreises" erhalten habe und mit der ich mich vollkommen identifizieren kann. Sie heißt "Die Ausgewogene" und beschreibt mich eigentlich sehr gut: Standhaft, am Boden verankert zu sein auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber auch einen freien Kopf zu haben und die Bereitschaft abzuheben – zumindest mit einem Bein.

Buchtipp

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Angelika & Michael Horowitz
TISCHGESPRÄCHE
Über Essen, Trinken und die anderen schönen Dinge des Lebens
Amalthea Signum Verlag
ISBN 978-3-85002-758-8
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