Wie man sich seiner Angst stellt
Von Axel Halbhuber
Er hängt von Berufswegen ohne Sicherung in 400 Meter hohen, aalglatten Felswänden. Der bayrische Extremsportler Alexander Huber ist eine Hälfte der berühmten Speed-Bergsteiger-Brüder „Huberbuam“ und eine Free-Solo-Klettergröße.
Der logischen Annahme, er sei deshalb angstbefreit, widerspricht Huber im Interview, das der KURIER zur Erscheinung seines Buches „Die Angst, dein bester Freund“ mit ihm geführt hat.
KURIER: Herr Huber, was macht jemanden zum Angstexperten, der Sätze schreibt wie: „Je größer meine Angst ist, desto intensiver erlebe ich die Momente“?Alexander Huber: Ich schreibe aber auch: Die Angst ist etwas Gewolltes, sie zeigt mir, welche meiner Ideen langweilig, welche hirnrissig und zu gefährlich sind. Weil es ein wichtiger Prozess bei meinen Projekten ist, dass ich schlecht schlafe, sie mich quälen, ich Angst empfinde. Aber im Alltag unterliege ich den normalen Ängsten aller Menschen.
Im Jahr 2000 schlitterten Sie selbst in eine Angstkrise. Ich bin damals zu lange vor meinen Ängsten weggelaufen, vor allem, dass ich als Berufs-Bergsteiger existenziell davon abhänge. Plötzlich war die Leidenschaft weg, ich fragte mich: Was, wenn ein Projekt scheitert, ich mich verletze und keine Vorträge mehr halten kann, von denen ich lebe. Ich hatte damals Schulden durch die Expeditionen und mir wurde bewusst: Ich bin zum Siegen verdammt. Ich hatte keine Freude mehr, wollte nicht mehr trainieren und mied schließlich den Kontakt zu Kollegen, damit sie mich nicht darauf ansprechen. Irgendwann verlässt man nicht einmal mehr das Haus. Dann habe ich professionelle Hilfe angenommen. So kam ich da raus. Angst hat ein schlechtes Image. Wer Ängste zugibt, gilt als Versager, den man nicht mit Verantwortung betreuen würde. Dabei ist gerade die Auseinandersetzung mit Ängsten wichtig.
Im Buch halten Sie allerdings ein wahres Plädoyer für Angst: „Angst macht unser Leben reicher.“ Angst schützt doch, auf dem Berg sogar vor dem Tod? Setzt man sich hirnlos einer extrem exponierten Situation aus, ignoriert man die Angst ja. Wenn ich sie aber gar nicht zulasse, gehe ich um den Berg ewig herum und beginne nie mit dem Aufstieg. Wären wir als Menschen nie aufgebrochen, dann würden wir alle noch in der Höhle sitzen. Wenn man sich mit Angst auseinandersetzt, macht es das Leben reicher. Es macht Sinn, den richtigen Moment abzuwarten, aber ich kann nicht ewig entkommen. Nicht jeder muss Extremsportler werden. Aber es lohnt, beizeiten ein gewisses Risiko einzugehen.
Gilt das auch für Existenzängste im Alltag? Sie berichten von der Angst um ihren Bruder, als er sich bei einer Expedition tagelang nicht meldete. Was war an dieser Angst toll? Die Angst vor Kontrollverlust erleben wir als extrem negativ. Aber setze ich mich damit auseinander, tue ich künftig alles dafür, dass solche Situationen nicht mehr passieren. Es gibt nicht die eine richtige Aussage. Es gibt kein angstfreies Leben. Das müssen wir lernen.
Man könnte ein möglichst risikofreies, wenn auch etwas banales Leben anstreben und Karotten im Garten züchten. Aber das Leben ist reicher, wenn ich mich besonderen Aufgaben stelle, die mich erfüllen. Es kommt ja am Ende nicht darauf an, wie alt man wird, sondern wie viele Jahre mit Leidenschaft erfüllt waren.
Zur Person
Die Huberbuam (huberbuam.de) gelten als Ikonen des Kletterns und halten zahlreiche Rekorde. Das größte Aufsehen erregte die Speed-Besteigung 2007 der 1000 Meter langen Route „The Nose“ (El Capitan, Yosemite-Tal, Kalifornien) in 2:45,45 Stunden. Alexander Huber, 1968 geboren und zwei Jahre jünger als Thomas, stand mit zwölf Jahren auf seinem ersten Viertausender. Der diplom-ierte Physiker ist der analytische der beiden. 2008 absolvierte er die erste Free-Solo-Besteigung (ungesichert, alleine) des Grand Capucin im Montblancmassiv.
Das Buch
Alexander Huber: „Die Angst, dein bester Freund.“ Ecowin Verlag, 184 Seiten, 19,95 Euro.