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Generationenkonflikt im Feminismus: Worum es sich noch zu kämpfen lohnt

„Pornografie ist etwas, das die Menschheit immer begleitet hat.“ Adrineh Simonian ist ehemalige Opernsängerin und hat sich im Alter von 42 Jahren dazu entschieden ihre Karriere an den Nagel zu hängen, um Pornoregisseurin zu werden. Um genauer zu sein, konzentriert sie sich vor allem auf sogenannte „Femme Pornos“. Sie möchte damit vor allem gegen die typisch alten Stereotypen ankämpfen und diese auch verändern.

„Das heißt, die Rolle der Frau hat im Geschehen, in den bewegten Bildern, eine genauso wichtigste Rolle, wie auch der Mann. Sie sind auf Augenhöhe“, erklärt Simonian den Begriff „Femme Porn“.

Für Simonian geht es aber auch um das Selbstverständnis junger Frauen per se.

„Für mich gibt es zwei unterschiedliche Gruppen von jungen Frauen. Es gibt eine Gruppe von biederen und konservativen Frauen, andererseits gibt es auch junge Frauen, die angefangen haben Fragen zu stellen. Warum werde ich als „Bitch“ bezeichnet, wenn ich in einer Woche mit zwei unterschiedlichen Männern geschlafen habe? Und wieso wird ein Mann als cool bezeichnet, wenn er mit zwei unterschiedlichen Frauen geschlafen hat?“, fragt die Pornoregisseurin.

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Es sind Fragestellungen wie diese, die den heutigen Feminismus vermehrt umtreiben. Ging es in den 70er- und 80er- Jahren noch darum, konkrete Unterschiede zum Beispiel in der Bezahlung anzuprangern, widmet sich der Feminismus in den letzten Jahren verstärkt auch den Fragen der Identität und der Selbstliebe zum eigenen Körper.

In den letzten Jahren ist aufgrund von Social Media vermehrt das Thema „Body-Positivity“ zu hören gewesen. Eine Bewegung, die es damals so noch nicht gegeben hat. Es wird sich für die Abschaffung unrealistischer und diskriminierender Schönheitsideale eingesetzt, welche auf Social Media jungen Menschen präsentiert wird.

Neue Themen, neue Konflikte

Mit solchen neuen Themen haben sich auch neue Konflikte aufgetan – nicht zuletzt innerhalb der Feministinnen selbst. So wird der „alte Feminismus“ wie Alice Schwarzer ihn gelebt hat von den meisten Feministinnen heute nicht mehr befürwortet.

Gerade die jetzige Generation, „Gen-Z“, setzt vor allem auf die Werte Freiheit, Individualität und Diversität. Das eigene Wohlbefinden in seinem Körper und seiner Identität steht an höchster Stelle. Und das für alle. Also auch für jene, die sich im falschen Körper wähnen und sich keinem Geschlecht eindeutig zugehörig fühlen.

Simonian bemerkt, dass sich die Gen Z viel mehr mit dem eigenen Körper auseinandersetzt.

„In Gesprächen mit der jüngeren Generation habe ich gemerkt, dass sie angefangen haben sich mit sich selbst zu beschäftigen und ihre Identitäten auch so leben zu können. Bis vor 40, 50 Jahren war das noch nicht der Fall.“

Alice Schwarzer, TERFS und die versteckte Misogynie dahinter

Alice Schwarzer heute und gestern: 1977 gründete die Aktivistin mit der Emma die wichtigste feministische Zeitschrift im deutschsprachigen Raum. 

Selbst 1987 war die Welt noch eine ganz andere. Eine Welt, die sich die heutige Generation so gar nicht mehr vorstellen kann. Damals startete Alice Schwarzer, eine der bekanntesten Feministinnen des 20 Jahrhunderts mit „PorNO“ sogar eine Anti-Porno-Kampagne. Frauen sollten nicht erniedrigt werden durch pornografische Darstellungen.

Und was sagt Porno-Produzentin Adrineh Simonian heute dazu?

„Alice Schwarzer hat zu ihrer Zeit widrige Schritte gesetzt.“ Für Simonian war es damals notwendig, diese Art von Feminismus zu fahren, „um dort zu gelangen, wo wir jetzt sind.“

Jedoch können sich vor allem junge Menschen nicht mehr mit Alice Schwarzer identifizieren. Sie hätte Ende der 80er anfangen sollen, sich weiterzuentwickeln müssen und mit der Zeit zu gehen, um heute noch ein Vorbild für Jugendliche zu sein.

„Alice Schwarzer ist für mich inzwischen eine peinliche Figur. Bei allem, was sie sagt, bin ich nur am Kopfschütteln und finde es furchtbar, dass es diese Gruppe von Feministinnen gibt und diese Gruppe der Feministinnen wird größer…leider.“

An wohl keiner Figur zeigt sich der Konflikt zwischen den alten und den neuen Feministinnen so klar, wie an Alice Schwarzer.  

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Von Vertreterinnen eines diversen und inklusiven Feminismus wird Alice Schwarzer auch die Bezeichnung „TERF“ gegeben. Ursprünglich kommt der Begriff aus dem Englischen und steht für „Trans-Exclusionary-Radical-Feminist“.

Es wird für Personen verwendet, die einen radikalen Feminismus vertreten, aus dem sie jedoch Trans-Personen ausschließen. Alice Schwarzer hat im Laufe der Jahre so einige kontroverse Aussagen zu verschiedenen Themen wie Transfeindlichkeit oder Rassismus gemacht. Hinter diesen Aktionen der benannten „TERFs“ kann in weiterer Folge eine versteckte Misogynie stecken - der Hass gegen Frauen, so der Vorwurf der neuen Generationen.

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Und abseits des – zugegeben recht kleinen – Feldes des Femme Porn? Wie schaut es aktuell aus? Wie setzt sich die heutige Generation generell für Feminismus ein und wie wird es in Zukunft damit ausschauen?

Die Neugestaltung des Feminismus

„Der Feminismus heute wird ganz anders gelebt als damals“, findet Gertraud Klemm. Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich die Schriftstellerin mit dem Thema Feminismus und geht umgekehrt mit der aktuellen Debattenführung der neuen Generation hart ins Gericht.

„Der Fokus wird in der heutigen Generation nicht mehr so sehr auf das Demonstrieren gelegt.“ Die jungen Menschen würden sich in der Kunst und Kultur mit den grundlegenden Bausteinen des Feminismus beschäftigen und auseinandersetzen, sich dabei aber wenig um die Lebensrealitäten von Frauen kümmern.

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Heute wird sich nicht mehr für die Altersarmut oder ähnliche Themen eingesetzt, es geht viel mehr im Diskurs um Identitätsdebatten und über Sexarbeit. „Es geht viel zu wenig, um das, was Frauen wirklich im Alltag belastet.“

Junge Frauen seien nicht genug gebildet, um den alten Feminismus, wie er gelebt und wie Frauen sich damals dafür eingesetzt haben, zu verstehen, sagt Klemm. „Wenn man keine Vergangenheit hat, hat man auch keine Zukunft.“ Auch sie musste ihr Wissen, welches sie sich über die Jahre angeeignet hat, durch Recherche und Erfahrung erlernen. Es benötigt hier laut Klemm, „ein gewisses Bildungssystem“. Ein System, das der heutigen Generation die Vergangenheit des Feminismus lehrt und sie damit vertraut macht, inwiefern der alte Feminismus den heutigen Feminismus beeinflusst und unterstützen kann.

Eine solche Bildungslücke, könne den beschriebenen Generationenkonflikt auslösen. "Es wird sich dann nur gegenseitig vorgeworfen, was eine Generation erreicht, hat und vor allem, was nicht erreicht worden ist." Der Zusammenhalt unter den Generationen selbst, sei mangelhaft und muss geändert werden, appelliert Klemm. Trotzdem dürfe gerade im Feminismus nicht jedes Rad neu erfunden werden, denn die Frauenbewegung kann der heutigen Generation viel Erfahrung mitgeben, aus der Jüngere lernen könnten.

Klemm kritisiert, dass sich der aktuelle Feminismus nur im Netz und nur in der Theorie bewegt. Klemm spricht von „Netzfeminismus“. Es sei einfach, Forderungen im Netz zu teilen und reposten. Aber um die tatsächlichen Schwachstellen des Feminismus wirklich zu sehen, benötigt es laut Klemm „ein paar Jahrzehnte am Buckel.“

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Der Feminismus ist auch schon lange keine reine Frauen Angelegenheit mehr. Auch Männer können einen wertvollen Beitrag leisten, indem sie ihre Vorteile und Privilegien erkennen und sich aktiv dafür einsetzen, dass diese abgebaut werden. „Es kann niemals die Aufgabe der unterpräsentierten Gruppen sein, um für Gleichstellung zu sorgen. Sondern es braucht jene, die in diesen Positionen sitzen.“, erklärt Gerhard Wagner, Gründer des Wiener Vereins „He for She“.

Als Mann ein Teil der Feminismusbewegung zu sein, hat laut Wagner nur Vorteile. Einerseits können die starren Männlichkeitsbilder aufgebrochen und geändert werden. Die Frage „Was bedeutet es ein Mann zu sein?“ kann neu definiert oder Berufe, die tendenziell Frauen zugeschrieben werden, sollen ohne Bedenken auch von Männern ausgeführt werden. Und andererseits hat es laut Studien natürlich auch gesundheitliche und psychische Vorteile für Männer. „Sie sind glücklicher in Beziehungen“, erklärt Gerhard Wagner.

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Frauenfragen

Auch die Journalistin Mari Lang möchte mit ihrem Podcast „Frauenfragen“ Männer verstärkt, durch Themen, über die normalerweise mit Frauen gesprochen wird, auf den Feminismus aufmerksam machen. „Ich möchte Männern ein bisschen in die Lebensrealität von Frauen entführen und ihnen zeigen, dass wir – auch wenn in derselben Gesellschaft und Welt leben - wir doch sehr unterschiedlich behandelt werden.“

„Wie fühlt es sich an, in einer Männer Domäne zu arbeiten?“ oder „Wie lassen sich Kinder und Karriere vereinbaren?“, sind nur zwei der vielen Fragen, die Lang aufgreift, um zu versuchen den Männern die Realität des Frauseins in Alltag und Berufsleben näherzubringen. Vielen Männern sind die Ungleichheiten, die Frauen spüren, gar nicht bewusst. „Es ist offenbar möglich, als Mann mit Scheuklappen durch die Welt zu gehen und diese Thematik auch völlig auszublenden.“

Das kann dann auch der Grund sein, wieso ein Großteil sich noch immer nicht aktiv für die Gleichberechtigung einsetzt – da es sie nicht negativ betrifft. Einerseits profitieren sie indirekt von der nicht vorhandenen Gleichberechtigung. Mari Lang beschreibt es mit dem finanziellen „Vermögens-Gap“.

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Männer verdienen noch immer mehr und stehen finanziell besser da als Frauen. Wieso sollten sie dabei auch etwas ändern wollen? Man setzt sich doch nicht für etwas ein, das einen selbst schlechter dastehen lässt.

Aber was genau können Männer nun tun, um sich aktiv für die Gleichstellung einzusetzen?

Diese Frage, wird Feministinnen oft gestellt. Und die erste Antwort, die hier kommt, ist folgende: „Es ist nicht die Aufgabe von Frauen, den Männern zu erklären, was sie tun sollen bzw. was sie davon hätten. Hier ist es besonders wichtig, auf die Eigenverantwortung zu setzen. Männer müssen selbst die Wichtigkeit hierbei erkennen.“

Lang, Wagner, Simonian und Klemm – sind alle selbsternannte Feministinnen und Feministen unterschiedlicher Generationen – was sie verbindet, ist vielleicht der Kampf um die gleiche Sache: Die Sache der Frau. Dass ihre Antworten darauf so unterschiedlich ausfallen, mag vor allem zeigen: Der Weg zur Gleichberechtigung ist noch ein weiter. Im Job, bei der Bezahlung, und ja, sicher auch in der Pornographie.

  1. 1893 wurde der „Allgemeine Österreichische Frauenverein“ gegründet
  2. 1918 erhielten Frauen das allgemeine Wahlrecht in Österreich
  3. 1966 ist Grete Rehor (ÖVP) erste Sozialministerin geworden
  4. 1975 ist der Schwangerschaftsabbruch bis zum dritten Monat entkriminalisiert worden
  5. 1975 – Die Familienrechtsform stellt Frauen und Männer rechtlich gleich. Das heißt, dass Frauen ohne Zustimmung des Mannes arbeiten, über den Wohnsitz und den Familiennamen wählen dürfen.
  6. 1977 – UN erklären den 8. März zum Internationalen Frauentag
  7. 1989 ist durch die Sexualstrafrechtsreform Vergewaltigung und geschlechtliche Nötigung in der Ehe oder Lebensgemeinschaft strafbar
  8. 1990 ist Johanna Dohnal (SPÖ) als erste Frauenministerin angelobt worden
  9. 2006 ist Barbara Prammer (SPÖ) die erste Frau an der Spitze des österreichischen Nationalrats
  10. 2007 wurde Alexandra Föderl-Schmid die erste Chefredakteurin einer österreichischen Tageszeitung, des „Standard“

 

  1. „We are Feminists: Eine kurze Geschichte der Frauenrechte “
  2. „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt! 25 Bullshitsätze und wie sie sie endlich zerlegen.“
  3. Die Patriarchen: Auf der Suche nach dem Ursprung männlicher Herrschaft“
  4. „Oh, Simone! Warum wir Beauvoir wiederentdecken sollten“
  5. Dramaqueen: Frauen zwischen Beurteilung und Verurteilung“