Der Friede hat viele Gesichter
Alle Leute haben eine Nähmaschine, ein Radio, einen Eisschrank und ein Telefon. Was machen wir nun? fragte der Fabrikbesitzer. // Bomben, sagte der Erfinder. // Krieg, sagte der General. // Wenn es nicht anders geht, sagte der Fabrikbesitzer. (Wolfgang Borchert)
Es genügt nicht, Frieden zu wollen oder davon zu träumen. In einer Welt, die mehr denn je von Konflikten geprägt ist, braucht es Menschen, die sich aktiv für ein friedvolles Miteinander engagieren. Das beginnt im Kleinen, in der Umgebung, in der Familie. Gleichzeitig braucht es ein Verständnis dafür, wie Gewalt entsteht oder welche Mechanismen Konflikte so zuspitzen, dass daraus Krieg wird. Es ist auch wichtig, Konflikte zu nützen, um aus ihnen etwas zu lernen – über sich, den Mikro- und den Makrokosmos. Friede hat viele Gesichter – und wird unterschiedlich interpretiert. Der KURIER stellt junge Menschen vor, die sich mit Leidenschaft für das "Projekt Frieden" engagieren. Sie alle sind überzeugt: "Friede beginnt bei jedem Einzelnen".
Großartige Menschen aus aller Welt
Manon Roeleveld (28), Friedens- und Konfliktforscherin, engagiert sich für das „Many Peaces Magazin“ (magazine.manypeaces.org), ein Projekt von AbsolventInnen des „Peace Studies Programs“ der Uni Innsbruck. In zwei Ausgaben pro Jahr werden leidenschaftliche Friedensarbeiter vorgestellt: „Bewegende Geschichten und großartige Menschen aus der ganzen Welt.“ Für die Niederländerin, die in Wien lebt, ist es ein Privileg, die Freiheit zu haben, unterschiedliche Perspektiven und Meinungen präsentieren zu können. Sie ist überzeugt: „Friedensarbeit ist überall und auf allen Ebenen präsent. Obwohl man sie meistens mit der Arbeit in Krisenregionen assoziiert, findet sie am Arbeitsplatz, in der Schule, im Rahmen der Familie und eben auch in uns selbst statt.“ Die Idee des „Frieden-Schließens“ mit sich selbst ist allerdings nicht frei von Konflikten: „Falls das Ziel des inneren Friedens sein sollte, jegliche Konflikte zu vermeiden, dann würde ich sagen, dass dies gar nicht möglich und auch nicht erstrebenswert ist. Konflikte sind bis zu einem gewissen Grad genauso wichtig wie Frieden, da beide essentiell sind, um innerlich zu wachsen und sich selbst kennenlernen zu können.“ Ein lebenslanger Prozess: „Mit sich selbst Frieden zu schließen, bedeutet für mich zu einem großen Teil zu akzeptieren, dass ich mich in einem fortwährenden Selbstentwicklungsprozess befinde und stets im Wandel bin.“ Dazu gehöre es, neuen Dingen gegenüber aufgeschlossen zu sein. Aus ihrer Sicht hänge die Ursache vieler Konflikte mit einem mangelnden interkulturellen Verständnis zusammen. „Man muss mehr Augenmerk darauf legen, die Ängste der Menschen ernst zu nehmen und ihnen optimistische Alternativen anbieten. Dabei spielen Medien eine entscheidende Rolle, um diese Angebote zu vermitteln bzw. einen realistischen Überblick zu geben.“ Ist es möglich, anderen Menschen Frieden beizubringen? Ja, sagt sie: „Viele Schulsysteme könnten davon profitieren, würde man einen stärkeren Fokus auf Zusammenarbeit und Kooperation anstelle von Wettbewerb legen.“
Wo der Friede aufgezeichnet wird
Die Kultur- und Sozialanthropologin Kathrin Kaisinger, die Pädagogin Anna Achleitner und die Comiczeichnerin Valerie Bruckbög sind sich weitgehend einig. Zu dritt haben die jungen Oberöstereicherinnen die Initiative Blickwinkel (www.mutzurperspektive.at) gestartet.
Den Grundgedanken ihres Non-Profit-Projekts skizziert Koordinatorin Kaisinger so: „Wir haben damals, während der großen Flüchtlingsbewegung, begonnen. Wir wollten eine positivere Sicht auf die kulturelle Vielfalt bieten.“ Dabei spielt auch ein Gedanke, der in der Friedensarbeit verwendet wird, für Kaisinger eine wichtige Rolle: „Es ist nicht zielführend, jemandem eine Meinung vorzuschreiben, aber es können sehr wohl Denkanstöße gegeben werden. Dialog, gegenseitiges Zuhören und Verständnis für die Situation des Gegenübers sind ein wichtiger Schritt in Richtung einer Gesellschaft, in der Transparenz, Respekt und Solidarität vorherrschen.“
Mittel zum Zweck der Non-Profit-Initiative sind für das Trio die Comics. Über deren Vorzüge weiß die Zeichnerin Valerie Bruckbög bestens Bescheid: „In einem Comic-Strip kann man sich leichter in die Rolle der Protagonisten hineindenken. Wir können leichter Empathie erzeugen und auch für schwierige politische Themen die Hemmschwelle senken. Das funktioniert im Übrigen bei Älteren und Jüngeren gut.“ Bis dato haben die drei ehrenamtlich arbeitenden Perspektivenwechslerinnen zwei kürzere Comics und ein Comicbuch samt pädagogischen Anleitungen herausgegeben. Diese kann man derzeit noch zum Selbstkostenpreis für die eigene Konflikt- und Friedensarbeit erwerben. Vor allem das positive Echo aus Schulen lässt sie mutig in die Zukunft blicken.
Kaisinger, Achleitner und Bruckbög sind sich auch einig: „Es ist mutig und ziemlich naiv, auf eine friedvolle Weltgesellschaft zu hoffen, aber wir möchten zumindest die Idee davon nicht aus unserem Denken verbannen. Wir würden uns wünschen, dass der Mensch irgendwann mehr zählt als Geld, Macht und Nationalität.“
Waisenkinder als Jungunternehmer
Etienne Salborn (31) hat Erfahrung beim Schaffen solcher Räume. Seine Eltern in Berlin waren zwar nicht happy, als ihnen ihr Etienne nach dem Abitur eröffnete, dass er seinen Zivildienst in einem Waisenhaus in Uganda ableisten möchte. Sie wussten wohl, was das bedeutet: Elf Jahre später arbeitet ihr Sohn noch immer in Uganda. Aus den Waisenkindern, die er als Zivildiener betreut hat und die er später dank privater Bildungspatenschaften seiner deutschen Landsleute bis zur Matura begleitet hat, sind inzwischen junge Erwachsene geworden. „Der eine oder die andere hat inzwischen seine eigene Firma gegründet“, sagt der junge Friedensstifter stolz. Und das kam so: Salborn wollte im Jahr 2013 keine Masterarbeit schreiben, „die mir einen akademischen Titel verleiht, dann aber in den Regalen der Universitätsbibliotheken verstaubt“. Daher hat er sein wissenschaftliches Interesse an der Friedensforschung mit seinem sozialen Engagement verbunden. Salborn ging der Frage nach, wie man für die Maturanten aus den Waisenhäuser neue Arbeitsplätze schaffen könnte. Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 83 Prozent in Uganda keine Leichtigkeit: „Schnell wurde klar, dass wir einen Ort schaffen müssen, an dem die Jugendlichen ihre eigenen Arbeitsplätze schaffen können.“ Daraus ist die Social Innovation Academy (www.socialinnovationacademy.org) entstanden, für die er heute noch arbeitet. Einige Leute haben dort bereits Arbeit und Einkommen gefunden.
So begann eine junge Frau, die ihre gesamte Familie durch HIV verloren hat, mit dem Projekt Ask Without Shame, das sexuelle Aufklärung anonym per Handy leistet. Schulkollegen von ihr haben wiederum einen Bodenbelag entwickelt, aus Eierschalen und Plastiksäcken. Etienne Salborn erzählt am Telefon, dass er viel von den jungen Menschen in Afrika gelernt hat: „Vor allem, dass man mit ganz wenig Ressourcen doch etwas bewirken kann.“ Seine Eltern sind heute übrigens stolz auf ihn und wollen ihn im Herbst in seiner zweiten Heimat besuchen. Seine Friedensvision lautet: „Dass jeder Mensch für sich selbst Entscheidungen treffen kann und keine Befehle befolgen muss.“
Ihr Schauspiel zeigt neue Wege auf
Lena Drummer (31) hat sich intensiv mit Konflikten und deren Transformation beschäftigt. Als Friedensforscherin rein akademisch, darüber hinaus aber auch als Leiterin von speziellen Theaterworkshops, die in der Tradition des Kanadiers David Diamond sowie des Brasilianers Augusto Boal zu sehen sind. Vor allem Diamonds „Theater zum Leben“ hat es ihr angetan: „Dabei geht es nicht um die Belustigung des Publikums, sondern um den Versuch, zwischenmenschliche Dynamiken und Konflikte auf der Bühne darzustellen und mögliche Handlungsoptionen erfahrbar zu machen.“
Wer mehr über dieses Theaterlabor erfahren möchte, den lädt die derzeit an der Uni Innsbruck mit ihrer Doktorarbeit beschäftigte Friedensforscherin Anfang September ins Innsbrucker Haus der Begegnung, wo ein Workshop mit David Diamond stattfindet (www.spectact.at). Für die Doktorandin, die in Freiburg geboren und in Göppingen bei Stuttgart aufgewachsen ist, stellt das Theater eine wichtige Ergänzung zur analytischen Konfliktarbeit dar: „Auf der Bühne können wir viele Konflikte spielerisch auflösen und dadurch neue Wege aufzeigen.“ Mit dem Theater begonnen hat Drummer vor zwei Jahren. Seither hat sie zehn Workshops geleitet, in Schulen und auch im Rahmen der Erwachsenenbildung. Hoch interessant war für sie auch die Arbeit mit muslimischen Jugendlichen: „Da ging es vor allem darum, traditionelle Rollenbilder den intimen Empfindungen der Teilnehmer gegenüber zu stellen.“ Drummer kann auf viel Erfahrung bauen: Nach dem Studium für Internationale Betriebswirtschaft und Interkulturelle Studien mit einem Schwerpunkt auf arabische Kulturen und Sprache hat sie Friedens- und Konfliktforschung studiert. Sie hat auch längere Zeit in Ägypten gelebt und dort für Nichtregierungsorganisationen im Bildungsbereich gearbeitet. Wie ein roter Faden zieht sich durch ihre Studien und ihre aktuelle Arbeit: „Ich möchte Vorurteile abbauen.“ Durch die aktuellen globalen Konfliktherde will sich Lena Drummer nicht aus ihrem Konzept bringen lassen, wenn sie sagt: „In der Innsbrucker Tradition der Friedens- und Konfliktforschung vertreten wir den Standpunkt, dass Frieden im Plural gedacht und in konkreten Beziehungen und Begegnungen erfahren werden kann.“