Leben/Gesellschaft

Macht eine Umarmung glücklich?

Wir brauchen vier Umarmungen pro Tag zum Überleben. Wir brauchen acht Umarmungen pro Tag zum Leben. Wir brauchen zwölf Umarmungen pro Tag zum Wachsen." Wenn die bekannte Familientherapeutin Virginia Satir (1916–1988) – von ihr stammt dieses Zitat – Menschen in ihren Seminaren begrüßte, dann reichte sie jedem einzelnen die Hand. Und auch während der gemeinsamen Arbeit spielte Berührung bei ihr eine tragende Rolle. Sie war überzeugt: Berührung ist ein universelles menschliches Bedürfnis. Mit ihrer Hilfe ist es möglich, über Grenzen hinweg zu kommunizieren – ohne Worte, intensiv und tief greifend.

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Knuddeln – jetzt!

Den Freunden des angewandten Kuschelns wird das gefallen. Speziell heute: Der 21. Jänner wurde nämlich vor knapp 30 Jahren von US-Pastor Kevin Zaborney zum Weltknuddeltag erklärt. Die Idee: Familienmitglieder, Freunde, Bekannte sollen ermutigt werden, einander wieder mehr zu berühren. Wo doch wissenschaftlich belegt ist: Umarmungen machen glücklich, Berührung lindert Schmerz und schützt vor den bösen Folgen von Stress.

Als wohl berühmteste "Umarmerin" der Welt gilt die Inderin Mata Amritanandamayi. Die "Hugging Saint" umarmt jeden, der das wünscht. Der Kuschel-Andrang ist mittlerweile so groß, dass dafür eigens Nummern ausgegeben werden müssen. Auf Matas Homepage steht, dass sie bereits 34.000.000 Menschen umarmt hat. Seid umschlungen, Millionen.

Zurück in die Niederungen des Alltags. Lässt sich Umarmung verordnen? Soll man sie – einfach so – verschenken? Der persönliche Kurz-Test ergab: kommt darauf an. Spontan auf den Tankwart des Vertrauens zuzugehen, um zu fragen: "Möchten Sie vielleicht eine Umarmung von mir?", löste eine Art "Huch!-Reflex" aus: "Ham’s die Bankomatkarte vielleicht daham vergess’n?" Berührung, aus dem Kontext gerissen – anbiedernd –, kann danebengehen. Das weiß der Psychotherapeut und Shiatsu-Lehrer Eduard Tripp: "Umarmungen sind per se etwas sehr Schönes. Doch selbst die schönste Sache wird zum Problem, wenn Grenzen überschritten werden. Jemanden zwanghaft zu beglücken, ist keine gute Idee. Wenn auf mich jemand auf der Straße zukommt, um mir eine Umarmung anzubieten, kann das fein sein, wenn es passt. Aber wenn ich schlecht drauf bin, denke ich nur: Bleib’ mir vom Hals!" Der Kontext müsse stimmen. Apropos – Nachsatz: Strenge Rechnung, gute Freunde und vielleicht doch eine Umarmung. Nachdem das Benzin bezahlt wurde, grinste der Meister des Brennstoffs und sprach mit Dackelblick zu mir: "Gnä’ Frau, warum net?"

Wie unterschiedlich Berührung wahrgenommen und folglich angenommen wird, zeigt das Beispiel der eigenen Tochter. Je nach aktuellem Hormonstatus wird die mütterliche Zuneigung – Kuscheln oder Busseln – unterschiedlich rezipiert. Von "Lass mich in Ruh’, raus da und Tür zu" bis "Du bist die beste Mami der Welt" ist alles drin. Shiatsu-Experte Tripp erwähnt hier erneut das Thema Achtsamkeit.

Darüber hinaus zähle die Art der Berührung. Sie kann ja auch mechanisch daherkommen: "Als bloßes Ritual, nichts dahinter". Qualitätsvolles Berühren hingegen bedeute, einen anderen wertzuschätzen, ihn zu bestätigen und als Mensch so anzunehmen, wie er ist. Laut Tripp brauche es dafür nicht zwingend körperliche Berührung. Blicke, Gesten, Worte oder ein Herzerl per SMS drücken das ebenfalls aus und sind ein Stück Nähe. Symbolisch zumindest.

Selbstversuch, Teil 3 – der Ehemann, hektisch zwischen Terminen. Verblüffter Blick – und die Frage: "Was willst?" Vielleicht probiere ich es doch beim Kollegen.