Leben/Gesellschaft

Kann denn Küssen Sünde sein?

58 Stunden, 35 Minuten und 58 Sekunden - so lange dauerte der bisher längste Kuss der Welt. In Tagen gemessen, bedeutet das mehr als zwei Tage im Lippenclinch. Die Rekordhalter sind ein Paar aus Thailand: der 44-jährige Ekkachai Tiranarat und seine 33-jährige Frau Laksana.

Raffiniertes Muskelspiel

Rein physiologisch betrachtet ist ein Kuss ja fast nichts anderes wie essen, trinken, Kaugummi kauen. Ein raffiniertes Zusammenspiel von Muskeln und Sehnen: Der Jochbeinmuskel aktiviert den Oberlippenheber, zeitgleich ziehen Unterlippensenker und Mundwinkelsenker nach unten, et voilà, da ist sie auch schon, diese wunderbare Kontraktion des Musculus orbicularis oris, des Mundringmuskels. Sie ist‘s, die nun auf das Mundwerk des anderen gepresst wird. Küsschen!

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Im besten Fall kommt jetzt Zündstufe 2: der Zungenkuss. Die Lippenmuskulatur entspannt sich, insgesamt neun mögliche Zungenmuskeln kommen zum Zug. Vermutlich wird jetzt auch die eine oder andere Substanz ausgetauscht – und: Viren oder Bakterien. Aber Halt, man muss wirklich nicht alles wissen. Besser: Man küsst viel, genießt – und denkt wenig. Auch nicht an die Kalorien, die man allenfalls dabei verbrauchen kann (unter uns: Je nach Intensität sind es zwei bis sieben. Pro Minute.).

Sprache des Paradieses

"Küsse sind das, was von der Sprache des Paradieses übriggeblieben ist, sagte Joseph Conrad . Genau betrachtet ist jeder Kuss eine Symphonie. Lippen und Gehirn transponieren die Sprache des Kusses in Gefühle. Dabei mischen alle fünf Sinne mit – sie sind es, die im Sekundentakt Botschaften ans Gehirn schicken und dort ein Neuronengewitter erzeugen. Jeder Berührungsreiz – in diesem Fall über die hochempfindlichen Lippen erlebt – landet in Sekundenbruchteilen im Kopf. Im Kuss-Fall ist das der sensomotorische Cortex, jene Region im Gehirn, die Berührungsreize, Temperatur- und Schmerzempfinden verarbeitet. Und Empfindungen in Interpretationen und Gedanken verwandelt, wie die Wissenschafterin Sheril Kirshbaum ("Science of Kissing") weiß. Am Ende stehen dann Gedanken wie: "Hat der gerade Zwiebel gegessen?" Oder: "Was macht der nur mit seiner Zunge?" Im besten Fall sind wir sprachlos und denken einfach nur: "Wow!"

Ein paar nette Gedanken: 1.) Im besten Fall verbringt ein Mensch bei durchschnittlicher Lebenserwartung etwa 10.000 Minuten mit Küssen. Immerhin: 76 Tage. Das macht Hoffnung. 2.) Zwei Drittel der Menschen halten beim Küssen die Nase nach rechts. 3.) Die Mehrheit der Frauen und Männer (60 Prozent) spricht beim Schmusen. 4.) In 90 Prozent aller Gesellschaften kommt Küssen vor, sogar in der Tierwelt (etwa bei den umtriebigen Bonobos). 5.) Natürlich ist Küssen gesund, es senkt das Stresshormon Cortisol im Blut.

Kuss-Fest im Belvedere

Vielleicht sollte man aber doch noch das Thema „Speichel“ einbringen. Es wird nämlich vermutet, das darin die menschliche Kuss-Lust begründet ist. Im Speichel, wissen Forscher, seien chemische Botenstoffe enthalten, die bei der Partnerwahl eine wesentliche Rolle spielen. So lässt sich wohl gut erklären, warum bei manchen Menschen nach den ersten paar Küssen schon wieder Schluss ist. So, als ob man einander nicht schmecken konnte. Wer vom Küssen nicht genug kriegen kann, dem sei dieses Buch empfohlen: Das Werk „Opus polyhistoricum de osculis“, erschienen im Jahr 1680, hat 1600 Seiten und widmet sich dem Küssen.

Nicht nur: Auch im Belvedere wird am 6. Juli ein Kuss-Fest gefeiert. Dort zeigt man im Rahmen des Projekts "Klimt & Warhol – Kuss & Kiss" eine spannende Auseinandersetzung mit dem Thema. Am "Welttag des Kusses" gibt es spezielle Führung dazu. Auch fein: Via Facebook können Besucher des Belvedere digitale Kuss-Botschaften in alle Welt verschicken.