Weiße Weihnachten: Freude im Schnee
Von Andreas Bovelino
"Schnee? Brauch i net", sagen wir erwachsenen Stadtbewohner oft und denken an mühsames Schneeschaufeln, Winterreifen, Rutschgefahr, nasse Füße, Staus, Straßenbahnverspätungen, Verkehrschaos und grauen Matsch. "Wann schneit es endlich?", fragen hingegen die Kinder, wenn sie morgens sehnsüchtig aus dem Fenster schauen und genau wissen, worauf sie sich freuen: Schneeballschlachten, Rodelpartien, sich in einen Schneeberg reinfallen zu lassen – oder einfach so schnell wie möglich durchzulaufen, bis es staubt. Und natürlich auf Schneemänner mit Karottennasen, weil die Tränen längst vergessen sind, die sie vergossen haben, als der windschiefe Kerl letzten Februar gar so traurig vor sich hingeschmolzen ist...
Erstaunlicherweise scheinen viele Tiere die Winterfreuden der Kinder bereitwilliger zu teilen als wir, obwohl sie nichts vom Weihnachtsmann wissen und weder vom Schlitten- noch vom Skifahren träumen, sondern ihnen der Schnee das Leben objektiv betrachtet eigentlich schwerer macht.
Normalerweise gelangweilte Katzen, die ihre Weltgewandtheit mit großer Lässigkeit zur Schau stellen, jagen tatsächlich fallenden Flocken hinterher, so wie Kinder versuchen, sie mit Hand oder Zunge zu fangen.
Fischotter bauen sich Rodelbahnen und werden nicht müde, immer wieder hochzulaufen und hinunterzurutschen. Wobei Otter ja allgemein einen ausgeprägten Sinn für Spaß haben. Schneerutschen und anschließendes Bad im Eiswasser sind für sie das Wellness-Pendant zu unserem Thermenbesuch. Dabei schützt sie keine Fettschicht vor der Kälte. Nur ihr Pelz. 50.000 Haare pro Quadratzentimeter hat unser Fischotter, auf 100.000 bringt es sein Vetter aus Übersee, der Seeotter (Bild). Das sind so viele, wie ein durchschnittlicher Mensch insgesamt auf dem Kopf hat. Ein Rekord im Tierreich.
Sonst eher angeblich grantige Wildschweine nehmen ausgiebige Schneebäder und kugeln ausgelassen durch ihre Mulden, während die Jungen, die ihren ersten Winter erleben, die Pracht kaum fassen können und wie Fohlen auf der Weide herumspringen.
Ganz wie schneidige Tiroler Skilehrer, die beim Abschwung vor der Hütte ihre Schülerinnen mit einer möglichst hohen Pulver-Fontäne beeindrucken wollen, scheinen auch Pferde Freude daran zu haben, möglichst viel Schnee aufzuwirbeln. Ohne Reiter, nur zum eigenen Vergnügen stieben sie laut schnaubend und blasend durch die kalte, glitzernde Gischt. Sogar mein alter Hund, der seinen gemütlichen Couchplatz im Wohnzimmer nur für wirklich wichtige Dinge verlässt, will raus in den Garten, wenn’s frisch geschneit hat. Dort hüpft er wie ein steifes Schaukelpferd durch den Schnee, lädt mit ausgestreckten Vorderpfoten einen imaginären Hundefreund zum Spielen ein und benimmt sich albern wie ein Welpe. Steckt seine Nase tief in jeden Schneehaufen, in der Hoffnung ein Geheimnis zu entdecken, das sich unter dem Schnee verbirgt.
Drei Bambis fetzen durch den Schnee. Rehe sind übrigens näher mit Rentieren und Elchen als mit dem Rothirsch verwandt. Und passen schon deshalb perfekt in jede Schneelandschaft.
Wird’s noch richtig schneien, ein Winter wie "damals"? Schwer zu sagen, und auch das gehört zur Magie der Schneeflocke. Denn damit diese märchenhaft zarten Gebilde entstehen, die dann mit etwa zwei km/h zur Erde schweben, muss wirklich alles passen. Zwischen minus 12 und minus 17 Grad sollte es haben, hoch oben am Himmel, dann bilden sich die schönen sternförmigen Kristalle. Jeder mit sechs Zacken, und doch jeder einzigartig. Noch nie, da sind sich Wissenschaftler ziemlich sicher, hat es zwei genau gleiche Exemplare gegeben. Und immerhin sind, wie National Geographic vor ein paar Jahren errechnen ließ, seit Anbeginn der Zeiten eine Sextillion Schneeflocken auf die Erde gefallen. Wofür wir uns nur die Zahl 1 mit 36 Nullen vorstellen müssen.
Und das alles passiert auch nur, wenn sich in besagter Wolke feinste Staubpartikel befinden, Kristallisationskeime, an denen sich die winzigen Wassertröpfchen anlagern können, bevor sie gefrieren. Den Feinschliff verpasst der Schneeflocke dann noch ein anderes himmlisches Kind, nämlich der Wind. Er trägt sie durch die verschiedenen Temperaturschichten, wo sie wächst, bis sie groß genug ist, um zu sinken – und auf die Erde zu kommen. Schönheit, die vom Himmel fällt. Still. Sanft. Eine weiche Daunendecke, die sich auf Wiesen und Büsche, grauen Asphalt und harte Gehsteinkanten legt. Die das Licht verändert, milchig weiß macht und dann wieder gleißend hell, wenn die Wintersonne sich durch die Hochnebel kämpft.
"Freust du dich auch schon auf den Schnee, Papa?", hat mein Sohn heute Morgen gefragt. Ich habe weder an Staus noch an Matsch und nasse Füße gedacht, sondern daran, dass ich schon viel zu lange keine Schneeflocken mehr mit der Zunge gefangen habe. Und mich gar nicht mehr richtig erinnern kann, wie es ist, sich einfach rücklings in einen Schneehaufen fallen zu lassen. "Ja", hab ich gesagt, "und wie! Hoffentlich gibt’s weiße Weihnachten. Sonst fahren wir dem Schnee einfach hinterher." Vielleicht sehen wir dann auch ein rotes Eichhörnchen, wie es über eine weiße Wiese fliegt, und sich auf die Nüsse freut, die es sich selbst im Sommer versteckt hat ...
Nüsse zu Weihnachten: Das Eichhörnchen beschenkt sich selbst. Im Winter freut es sich an den Vorräten, die es im Herbst versteckt hat ...
Der Winter ist auch die Zeit der großen Geheimnisse. Warum dürfen nur Erwachsene dabei sein, wenn das Christkind die Geschenke unter den Baum legt? Was verbirgt sich unter einer blütenweißen Schneedecke? Zumindest diese Frage kann der kleine Fuchs bald beantworten ...
Spiel mit mir! Die meisten Hunde finden Schnee prinzipiell super. Manche müssen sich erst an den Gedanken gewöhnen, wie einer dieser beiden Bernhardiner-Welpen. Und ganz wie wir Menschen.