Leben/Gesellschaft

Generation Ego unter Leistungsdruck

Politisch völlig desinteressiert, arbeitsscheu, verantwortungslos, konservativ, partygeil oder einfach nur bieder und brav. Vieles davon mag auf junge Menschen zutreffen, vieles wiederum nicht. Fakt ist: Das Bild ist sehr vielfältig – nie zuvor war eine Generation so inhomogen wie heute.

Was die jungen Menschen von heute aber eint, ist die Sehnsucht nach Sicherheit und der Rückzug in eine hedonistische Welt: Freizeit, Freunde und Unterhaltung stehen auf der Hitliste der Prioritäten ganz oben. Das bestätigt die Soziologin und Jugendforscherin Martina Schorn. "Junge Menschen sind mit Krisenszenarien konfrontiert. Dazu gehören Kriege, Terror, das Platzen der Internet-Blase, Unsicherheiten auf den Finanzmärkten und neue Herausforderungen in der Arbeitswelt."

Dazu kommen die oftmals hohen Leistungsansprüche der Eltern – sie sind ein Grund, warum sich viele später nicht auf die Karriere fokussieren, sondern ein ausgewogenes Privatleben bevorzugen. Mehr als die Hälfte der 14- bis 19-Jährigen sagen, dass sie in Arbeit, Schule oder Studium stark unter Druck stehen. Das geht aus der Jugend-Werte-Studie des Instituts für Jugendkulturforschung hervor. Jeder Dritte hat sogar das Gefühl, dass nur die Leistung zählt, nicht der Mensch. Nach der Schule erwartet sie eine Arbeitswelt, in der es immer weniger Fix-Anstellungen, aber viel Unsicherheit gibt. Sein Leben lang im gleichen Job zu bleiben, wird zunehmend unüblich.

Diese Unverbindlichkeit im Arbeitsleben schlägt sich im Privatleben nieder. Statt längerfristig zu planen, leben die Jungen im Hier und Jetzt. Dass viele die Werte und Eigenschaften der Eltern hochhalten, zeigte eine aktuelle Studie von Marketagent. Sie ergab aber auch, dass die Jungen nicht so leben wollen wie ihre Eltern. Statt Haus bauen lieber ein Jahr durch die Welt reisen – das ist der Plan. "Wir sprechen von einer sehr selbstbezogenen Jugend, die enttäuscht ist von der Politik und sich daher mehr für ihre eigenen Anliegen interessiert, und nur Verantwortung übernimmt, wenn es um das Nah-Umfeld geht", analysiert Schorn.

Vier Job-Typen

Was das konkret für künftige Arbeitgeber bedeutet, haben sie und ein Team vom Institut für Jugendkulturforschung untersucht. Dabei kristallisierten sich vier Typen heraus. Die zwei größten Gruppen bilden die sogenannten "Traditionell-Soliden" und die "Nicht-jetzt-Akteure". Erstere wählen einen sicheren Beruf, der Stabilität, aber kaum Karrierechancen garantiert. Die zweite Gruppe möchte arbeiten, hat aber keinen genauen Plan, was sie später erreichen will. "Sie ruht sich auf dem bisher Erreichten aus, Freizeit ist ihr besonders wichtig."

Apropos Work-Life-Balance. Alexander Knechtsberger, Geschäftsführer der DocLX-Holding hat als Unternehmer und FH-Dozent mit jungen Berufseinsteigern zu tun. Er berichtet, dass sich bei ihm viele Menschen bewerben, die hohe Anforderungen ans Berufsleben stellen. "Da kommen gut ausgebildete, selbstbewusste Leute, bei denen Karriere und Erfolg nicht im Mittelpunkt stehen. So wie früher zu sagen, wir arbeiten jetzt zehn Jahre durch, 80 Stunden in der Woche – das gibt es nicht mehr. Die sind selbstbewusst und sagen: Was kannst du mir bieten? Wenn ich nicht zu meinem Mountainbike-Training komme oder zu wenig Zeit für Familie und Freunde habe, dann mache ich diesen Job nicht."

Die zukünftigen Unternehmer sind, laut Schorn, jene, die Eigeninitiative starten, sich selbstständig machen, Arbeitsgemeinschaften wie Co-Working-Spaces gründen. Viele davon zieht es als Ein-Personen-Unternehmen in die Kommunikations-Branche. Schorn sieht hier die Gefahr, des totalen Auspowerns. "Das sind die künftigen neuen Burn-Out-Kandidaten. Bei ihnen stehen die Selbstverwirklichung und Karriere im Vordergrund. Sie neigen dazu, ihren Handlungsspielraum zu überschätzen."

Die vierte Gruppe, die Orientierungslosen, bezeichnet Martina Schorn als Minderheit. "Diese jungen Menschen haben keine konkreten Berufsziele, sind wenig motiviert, nicht flexibel und wollen nur arbeiten, weil es halt sein muss." Mit dieser Einstellung heben sie sich deutlich von der Mehrheit ab. Die ist nämlich davon überzeugt, dass es wichtig sei, sich permanent gut zu verkaufen.

Freizeit & Freunde

Eine Bühne für dieses Marketing in eigener Sache bietet das Internet. Selfies – also das Posten von Selbstporträts im Netz – ist aber nur eine Form davon. Kommunikationswissenschaftlerin Beate Großegger erklärt, was hinter diesem Phänomen der Selbstdarsteller steckt: "Wer sich zeigt und dabei von anderen nicht nur gesehen, sondern auch positiv bewertet wird, verschafft sich ein befriedigendes Gefühl und empfindet so etwas wie Selbstgenuss."

Ein zentraler Bestandteil des Eigen-Marketings ist gutes Aussehen. Für 89 Prozent der befragten Jugendlichen des aktuellen Jugend-Trend Monitors ist es besonders wichtig. Weiße Zähne und ein gut trainierter Körper sind Teil ihres Schönheitsideals. Sieben von zehn Befragten gehen ins Fitness-Studio oder machen einen anderen Sport, um gut auszusehen. Diesen Trend bestätigt Großegger und beschreibt in ihrem Buch "Kinder der Krise" den Körper-Kult: "Das Body-Workout ist in den Alltag der Jugend fest eingeschrieben. Wer etwas auf sich hält, trainiert – oft bis zum Geht-nicht-mehr. Und definiert sich dann irgendwann einmal wohl komplett darüber."

Neben Fitness-Kult und egozentrischer Nabelschau sind den jungen Menschen Familie und Freunde sehr, sehr wichtig. Das wiederum scheint beruhigend.

Eine hochgebildete Generation, die ihre Jugend im Zeitraum von 1998 bis 2010 erlebte. Das Y steht für den Ausdruck Why und drückt ihre hinterfragende Grundhaltung aus. Sie gehen nicht auf die Barrikaden, sind aber nicht unpolitisch oder arbeitsfaul. Sie wollen nach ihren Vorstellungen arbeiten, fordern flexible Arbeitszeiten und mehr Zeit für Familie und Freunde. Bei der Familienplanung setzen sie auf Gleichberechtigung. Sie sehen sich als heimliche Revolutionäre, weil sie mit ihren Ansichten unsere Gesellschaft verändern.

Zuerst Party, dann in die Schule oder ins Büro. Statt Wodka, Wein und Speed gibt’s Frucht-Smoothies und Croissants – so genannte Frühstücks-Raves finden nicht am Wochenende, sondern montags oder mittwochs ab 6.30 Uhr statt. Unter dem Motto „Rave your way into the day“ tanzen sich in London Angestellte, Anwälte, Krankenpfleger oder Studenten in den Tag hinein. Diesen Trend ortet das Institut für Jugendkulturforschung auch für Österreich – und er passt zum ausgeprägten Fitness- und Körperbewusstsein der Jungen.

Ein neuer Nischen-Trend, der vor allem junge Männer mit Migrationshintergrund anspricht, ist die Kombination aus exzessivem Training im Fitness-Studio und gesunder Ernährung. Das Biber-Magazin schrieb über diese „Diät-Männer“: „Was früher noch alleiniges Territorium der Brigitte war, ist heute Basiswissen unseres Bruders, Kollegen und Barmanns. Ernährungsexpertise, Kalorienkonzepte und Rohkost sind neuerdings Männersache.“

Schon was von POIDH gehört? Das Akronym steht für „Pics or it didn’t happen“. Es bezeichnet ein Phänomen, das aus sozialen Netzwerken bekannt ist: Alles wird mit dem Smartphone fotografiert und als Beweis auf Instagram oder Pinterest veröffentlicht. Besonders beliebt: Essens-Fotos etwa von selbst gemachten Heidelbeer-Pancakes, Chia-Müsli oder im angesagten Frühstückslokal. Die Gegner der Bewegung schlagen mit schrägen, unappetitlichen Bildern zurück.

Je weniger Freunde, desto besser – zumindest, was Facebook betrifft. Hier legen sie keinen Wert mehr darauf, mit vernetzt zu sein. „Defrienden“, also entfreunden, ist die Bezeichnung für das Reduzieren der Facebook-Freunde auf ein Minimum. Der Grund: Facebook nervt und ist definitiv out. Die Statusmeldungen der Freunde werden als Spam – Müll – gesehen. Radikaler sind die, die sich gleich vom sozialen Netzwerk abmelden. Der Kommentar einer Abtrünnigen: „Facebook verdient sein Geld fast nur mit Werbungen. Und ständig kommt irgendeine Benachrichtigung, wer was geliked und einen Kommentar abgegeben hat.“

Medienwissenschaftlerin Danah Boyd bezeichnet Teenager als digitale Flaneure: Sie wollen in der Öffentlichkeit sein, aber auch Privatsphäre haben. Anonymität ist kein Muss, Hauptsache, man bleibt unerkannt. Das sind sie auf Plattformen wie tumblr, wo ein Pseudonym reicht, oder in geschlossenen Netzwerken wie Snapchat oder ask.fm.

Von den Großstadt-Discos bis zu Feuerwehrfesten am Land – der Alkohol fließt, das allerdings weit weniger als noch vor einigen Jahren. Auch der 22-Jährige, der erst kürzlich im Vollrausch sein Dienst-Auto wo abstellte, sich am nächsten Tag nicht mehr erinnern konnte und es als gestohlen meldete, bleibt eher ein Einzelfall.

Die HBSC-Studie zeigt, dass der Alkoholkonsum bei Schülern in Österreich gesunken ist. Während 2002 noch 18,6 Prozent einmal wöchentlich Alkohol getrunken haben, waren es 2010 nur mehr 14,5 Prozent. Alexander Knechtsberger, Veranstalter der X-Jam Maturareisen beobachtet einen Rückgang beim exzessiven Feiern. „Den Jugendlichen ist wichtiger, dass sie sich zurückziehen können und es genügend Chill-Out-Bereiche gibt. Die heutige Maturantengeneration geht mit Alkohol viel bewusster um als ältere Jahrgänge.“

Ist die Zeit der so genannten Komasäufer also vorbei? Ja, meint Martina Schorn. Mit dem Begriff hat die Jugendforscherin ohnehin ein Problem. „Das ist eine Etikette, die den Jugendlichen von den Medien verpasst wurde. Natürlich probieren sich Jugendliche aus und überschreiten dabei mit intensivem Alkoholkonsum ab und zu die Grenze des Verträglichen. Wann, wenn nicht in jungen Jahren sollten Jugendliche ihre Grenzen austesten.“

Auch was Drogen betrifft, haben junge Menschen, laut Jugend Trend Monitor, ein geringeres Interesse. Nur vier von zehn Befragten konsumierten schon einmal Marihuana. Für 14 Prozent bleibt es bei der einmaligen Erfahrung, wohingegen 25 Prozent angeben, schön öfter Marihuana geraucht zu haben. Eine Legalisierung lehnt die Hälfte der Befragten ab, während sich nur ein Drittel explizit dafür ausspricht.

Kein Jugendlicher ist wie der andere – zumindest aus Sicht der Marktforschung. Sie unterteilt die Jugend in sechs Typen. Ferdinand Altenburg (17) ist von den Kriterien nicht überzeugt: „Ich kenne viele Jugendliche, die konsumorientiert sind und trotzdem gut in der Schule. Jeder hat verschiedene Facetten, das kann man nicht so deutlich trennen.“
Für den Schulsprecher des Wiener Wasa-Gymnasiums ist es sowieso viel einfacher – er teilt die Jugendlichen nur in zwei Gruppen: „Es gibt Interessierte und Nicht-Interessiert an der Schule, an Politik, an sozialen Fragen, an Erfolg, an vielem. Die Kluft zwischen ihnen wird immer größer“, meint er. Auch in seinem Umfeld seien verschiedene Typen vertreten. „Wenn man in einer desinteressierten Familie aufwächst, wird man selbst auch eher nicht interessiert sein. Das könnte heißen, dass es immer weniger aktive und engagierte Leute geben wird.“

Diese Entwicklung sei nicht nur von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern abhängig, glaubt er: „Interesse hat nicht unbedingt mit arm und reich zu tun. Ich denke, es gibt gute kostenlose Möglichkeiten in Österreich, etwa in Bibliotheken.“ Es sei wichtig, solche Kultur-Angebote auszubauen: „Es bringt nichts, Theater zu fördern, wenn niemand hingeht.“

Kritik an der Jugend sei nicht neu: „Ich habe das Gefühl, dass die ältere Generation immer schon von der jüngeren Generation enttäuscht war. Dass die erbost sind über die Jungen. Aber es stimmt: Wenn ich heute in der U-Bahn oder im Bus sitze, merke ich, dass jeder nur mit seinem Handy herumspielt und sich kaum mit etwas beschäftigt oder was liest.“

Lust auf Verantwortung

Die Politikverdrossenheit sei nicht auf die Jugendlichen beschränkt, merkt Altenburg an. Mit welchen Themen punktete er in seinem Wahlkampf als Schülervertreter? „Es geht da viel um Sympathie und nicht nur um Inhalte, aber wir haben eine enorm hohe Wahlbeteiligung. Ich habe zum Beispiel eine Reise ins Konzentrationslager Auschwitz organisiert. Und ich habe gefordert, dass unsere Bibliothek, die jetzt nicht genutzt wird, interessanter gemacht oder anders genutzt werden soll. Eine andere Kandidatin hat sich dafür eingesetzt, dass die Klassen gemeinsam Patenschaften für Kinder in der Dritten Welt übernehmen.“

Er kenne viele Maturanten, die ein freiwilliges soziales Jahr machen: „Die sammeln Müll in der Nordsee oder bringen Kindern in Südamerika das Lesen bei. Es läuft nach dem Motto ‚Wenn schon, denn schon‘.“

Shirel Katz ist 15 und weiß genau, was sie will: „Im Moment investiere ich sehr viel Zeit in die Schule. Ich denke, dass gute Noten viele Türen öffnen, zum Beispiel für ein Auslandsstudium. Denn ich möchte später sehr gerne ins englischsprachige Ausland gehen. Deswegen habe ich mich in meiner Schule für einen USA-Schüleraustausch beworben. Dort mache ich Erfahrungen, die ich für meine Zukunft nützen kann.“

In ihrer Freizeit engagiert sie sich in einer Jugendorganisation und nimmt Gesangsunterricht. „Einerseits zum Spaß, andererseits könnte ich mir gut vorstellen, das auch beruflich zu machen“, sagt Shirel optimistisch.

Sie kennt Jugendliche, die viel lieber Party machen wollen, aber „in meiner Klasse sind die meisten sehr engagiert“. Elternhaus und Schule prägen die Persönlichkeit, entscheiden sie aber nicht, findet sie: „Wir sind Drillinge, aber mein Bruder ist ganz anders als ich. Der könnte stundenlang vor dem Computer sitzen. Ich glaube, dass Mädchen und Buben sehr unterschiedlich sind: Mädchen sind bereit, mehr für die Schule zu leisten und sind in dem Alter oft auch reifer.“ Natürlich mache sie sich Gedanken über die Zukunft, dass sie „später einmal für Kinder sorgen muss“.

Kindheit verpassen

„Wenn ich Sendungen wie ,Saturday Night Life‘ sehe, wundere ich mich. Ich verurteile die trinkenden Jugendlichen nicht. Ich glaube, dass man in einem gewissen Alter gerne feiern geht, aber nicht dauernd.“

Was sieht sie als Bedrohung für die Jungen? „Ich glaube, dass die heutigen Jugendlichen viele Dinge früher machen. Dass Zwölfjährige schon in Clubs gehen. Ich weiß nicht, ob die sich hinausschleichen oder ob die Eltern das erlauben. Ich denke, dass solchen Jugendlichen die Kindheit fehlt.“