Vor Tinder: Wie Dating entstanden ist
Von Julia Pfligl
Von "Tinder" bis zum "Bachelor": Dating ist in aller Munde, aber wie und warum ist es überhaupt entstanden? Die New Yorker Autorin Moira Weigel hat dieser Frage ein lesenswertes Buch ("Dating – Eine Kulturgeschichte", btb Verlag, 352 S., 10,30 €) gewidmet.
KURIER: Dating gibt es erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Was war ausschlaggebend?
Moira Weigel: Das Wort "Date" tauchte erstmals 1896 auf: Frauen zogen in die Städte, um zu arbeiten; wenn sie sich mit einem Mann treffen wollten, mussten sie Zeit und Ort vereinbaren. Früher wurden männliche Werber zu Hause empfangen – wir kennen das aus Jane-Austen-Romanen. Die Ersten, die Dates hatten, waren Arbeiterinnen und Immigranten, weil sie alleine in die Städte kamen oder mit vielen Familienmitgliedern in winzigen Wohnungen lebten, wo sie keine Privatsphäre hatten. Nach dem Ersten Weltkrieg begannen auch Wohlhabende zu daten – aus einer Notwendigkeit wurde etwas Schickes.
Die Geschichte des Dating ist also auch eine Geschichte des Feminismus?
Exakt. Nirgendwo gab es Dating, bis Frauen begannen, in Städten außerhalb des Hauses zu arbeiten. Es ist faszinierend: In den vergangenen 15, 20 Jahren haben wir das, was um 1900 in den USA passiert ist, in China gesehen. Als China 2001 der WTO beitrat, gab es nicht einmal ein Wort für "Dating"; jetzt gibt es Dutzende Dating-Shows im staatlichen Fernsehen. Dating hängt also wesentlich davon ab, dass Frauen ein gewisses Maß an Freiheit und Mobilität erlangen.
Die New York Times beklagte kürzlich den Untergang des Dates, andererseits boomen Dating-Apps – was stimmt nun?
Es ist ja nicht so, dass das Umwerben von der Steinzeit bis zum iPhone 6 immer gleich ausgesehen hat. Die ersten Frauen, die sich in der Öffentlichkeit von fremden Männern auf einen Drink einladen ließen, wurden häufig von Sozialarbeitern verfolgt oder sogar verhaftet. Seit es Dating gibt, sagen Experten, dass es tot ist oder stirbt – dabei entwickelt es sich einfach nur weiter, jetzt eben auf mobilen Plattformen. Dating ist tot, lange lebe das Dating!
Sie schreiben, Dating sei harte Arbeit – warum?
Es entsteht ein Druck, dass wir an uns arbeiten sollen, um uns zu begehrenswerten Gütern zu machen – trainieren, shoppen, sich zurechtmachen, Online-Dating-Profile optimieren. Online-Dating erinnert mich oft an meine Arbeit im Medienbereich: Man kreiert eine Marke, teilt Meinung und Persönlichkeit über eine App. Nur, dass man statt Twitter Tinder verwendet. Und Dating viel erfordert von dem, was Soziologen „emotionale Arbeit“ nennen: Um erfolgreich zu daten, wird uns Frauen eingeredet, dass wir an unseren Gefühlen arbeiten müssen, wir dürfen nicht zu viel Interesse zeigen, müssen aufmerksam sein etc.
Moira Weigel: Die Autorin wurde 1984 in Brooklyn geboren, machte ihren PhD (Vergleichende Literatur) in Yale und forscht an der Harvard University. Sie lebt mit ihrem Mann in San Francisco.
Dating ist also immer noch von Rollenbildern geprägt?
Als Frau wird einem ständig eingeredet, dass man passiv, das Objekt der Begierde sein muss, um beim Daten zu „gewinnen“. Als Frau zu sagen, was man will, fühlt sich immer noch radikal an. Entgegen dieser allgemeinen Weisheit finde ich aber, dass das sehr sexy sein kann. Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern sind tief in der DNA des Dating verwurzelt: Am Anfang zahlten Männer das Dinner, weil sie viel mehr verdienten als Frauen. Das ist immer noch so. Deswegen sage ich manchmal: Einen Mann bezahlen zu lassen, ist nichts weiter als eine Lohnumverteilung.
Wird #MeToo Dating nachhaltig verändern?
Ich hoffe es. Die Debatte sollte sich zwar weiterhin auf Ungleichheiten im Job konzentrieren, also, dass Frauen weniger verdienen und seltener in Führungspositionen sind. Jedoch formen diese Ungleichheiten auch unser Privatleben: Sie sind der Grund, warum Dating für Frauen eher Arbeit, für Männer eher ein Spiel ist. Historisch betrachtet haben Frauen Männer immer mehr „gebraucht“ als umgekehrt. Machtverhältnisse bedingen nicht nur sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, sie beeinflussen auch die Datingkultur. Ich hoffe, dass Frauen in Zukunft selbstbewusster sagen, was sie in der Liebe und beim Sex wollen, und sich nicht nur zu begehrenswerten Objekten machen.
Inwiefern unterscheidet sich die amerikanische Datingkultur von der europäischen?
Dating ist eine amerikanische Erfindung. Es entstand unter anderem durch eine romantische (manchmal naive) Vorstellung: Viele Menschen zogen weg und vermischten sich – in dem Glauben, dass man, egal, woher man kommt, die Liebe finden kann, wenn man hart dafür arbeitet. Ich denke, dass die familiären und sozialen Verbindungen in Europa enger sind; es ist wahrscheinlicher, dass man sich im Bekanntenkreis kennenlernt, man muss sich nicht unbedingt mit Fremden verabreden. Viele Europäer sagen mir aber, dass mit Apps wie Tinder und OkCupid eine amerikanische Datingkultur Einzug hält: Man vermischt sich mehr mit Fremden, geht mehr aus. Insofern hoffe ich, dass mein Buch für Österreicher eine Art Dating-Schummelzettel sein kann. (lacht)