Leben/Gesellschaft

Rust: Die Störche zieht es wieder in den Süden

Das morgendliche Stillleben von Rust bleibt sich im Sommer gerne treu: Nicht viel los hier. Die Touristen hocken noch beim Frühstückstisch, die Kirchturmglocken machen Pause, und Traktor tuckert auch keiner vorbei. Aber da ist doch etwas. Und es kommt von oben!

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Ohne das Geklapper in den gewaltigen Nestern in schier jedem Rauchfang der Stadt wäre es fast wie eine Szene in einem Western. Aber es sind keine Geier, die hier Eindringlinge in „ihrer“ Stadt begrüßen. Es sind Weißstörche. Viele Weißstörche. Ein Schauspiel der Sonderklasse, ein ständiges Kommen und Segeln sozusagen. Immer wieder landen ausgewachsene Tiere mit Futter im Schnabel elegant auf den ausladenden, bis zu 600 Kilogramm schweren Horsten, um den Nachwuchs zu füttern. „Sie müssen ihre Jungen aufpäppeln“, erklärt Josef Karassowitsch vom Storchenverein Rust. „Es geht nämlich bald los.“

Bald. Das bedeutet: in etwa zwei Wochen. Und los: Rund um den 20. August heißt es für die lokale Storchengemeinde erfahrungsgemäß „auf Wiedersehen“. Der Abflug nach Afrika steht an. „Sie peilen Mali oder Mauretanien an“, vermutet der „Storchenvater“. Die Flugroute kenne er nicht genau, eines aber steht fest: „In Südspanien legen die Störche üblicherweise einen Zwischenstopp ein.“

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10.000 Kilometer Flugstrecke

Das klingt jetzt nicht so dramatisch, in Zahlen ausgedrückt aber schon: Die Flugstrecke beträgt insgesamt an die 10.000 Kilometer. Ein Storch aber ist kein Airbus, sondern ein filigranes, etwa ein Meter langes, höchstens fünf Kilo schweres Wesen mit einer Flügelspannweite von gut zwei Metern. Und: Er ist mehr Segler als Flieger. Das heißt, er kennt alle Tricks der Thermik, nutzt Aufwinde wie ein Ballonfahrer oder Drachenflieger und spart so viel Kraft.

Drei Monate "on the road"

Der Nachteil dabei: Durch das ständige Kreisen beim Aufsteigen nimmt die Strecke fast kein Ende. Der Flug zum Winterquartier dauert bis zu drei Monate. Retour geht es im März dank Rückenwind schneller. Aber zwei Monate in der Luft sind auch mehr als nur ein Ausflug. Kein Wunder, dass immer mehr Störche an Spaniens und Portugals Küsten überwintern. Denn auch dort entfliehen sie der Kälte. „Sie treiben sich auf riesigen Mülldeponien herum, wo sie genügend Nahrung finden“, ergänzt Josef Karassowitsch.

6 Kilo Futter pro Tag

Fressen tut eine Storchenfamilie einiges, bis zu sechs Kilo Würmer, Fische, Frösche, Mäuse und anderes Kleingetier pro Tag. So eine Menge an Futter muss man erst einmal bereithalten.

Rust macht es. Aber auch erst, seit eine lange brach gelegene Wiese am Stadtrand wieder gepflegt wird. Störche sind hier seit dem Jahr 1910 bekannt. Anfang der 1960er-Jahre brüteten noch bis zu 40 Storchenpaare. „Aber es gab Jahre, da wuchs das Gras so hoch, dass sie sich auf der Futtersuche nicht reintrauten. Aus Furcht vor Füchsen“, erklärt Winzer Herbert Triebaumer. Das waren die Jahre, in denen immer mehr Störche im Frühjahr der „Stadt der Störche“ ferngeblieben sind. Das aber darf nicht sein. Denn: „Das Image der Stadt ist total daran geknüpft, dass es den Störchen gut geht“, sagt er, der strikt biologisch agiert: „Je vielfältiger unsere Landschaften und je mehr Nützlinge in den Wiesen, desto besser ist es für die Störche und desto besser geht es ihnen.“

Romanze in Schwarzweiß

Bisweilen so gut, dass sie gar nicht mehr weg wollen. „Im Vorjahr sind vier Störche dageblieben“, so die Auskunft im Hotel Katamaran mit Blick auf den Neusiedler See. Klingt fast romantisch.

Malena & Klepetan

Apropos: Aus einem anderen Hotspot für Störche, dem slawonischen Dorf Brodski Varoš, erzählt man sich die Liebesgeschichte von Malena und Klepetan. In einer Zeit der Bindungsangst eine totale Seltenheit: Das Storchenpaar ist seit mehr als siebzehn Jahren zusammen.

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Das Besondere dabei: Da Malena nicht mehr fliegen kann, seit sie einem italienischen Jäger vor die Flinte flog, kümmert sich Stjepan, der pensionierte Hausmeister der Volksschule, um sie. Storch Klepetan kehrt alle Jahre wieder zurück zu seiner Frau. Damit Malena das Flugerlebnis nicht allzu sehr missen muss, sitzt sie in Stjepans Auto gerne am Beifahrersitz, hält den Schnabel in den Fahrtwind. Und freut sich.