Psychoanalyse mit Hypnose: „Freud würde arbeiten wie ich“
Von Nina Horcher
„Pendel sind veraltet, die verwendet man heute zur Hypnose nicht mehr“, erklärt der Psychotherapeut Juan José Rios und räumt sogleich mit einem hartnäckigen Klischee auf. In seiner Praxis im 6. Wiener Bezirk werden seine Patienten auf einer bordeauxroten Chaiselongue in Trance versetzt – ohne materielle Hilfsmittel. „Manchmal erzähle ich zu Beginn der Hypnose Geschichten, manchmal gelingt es auch durch bewusstes Wahrnehmen des Körpers und eine langsamere Atmung.“
Was der gebürtige Peruaner dann macht, ist in Österreich in der Hypnosetherapie neuartig: Rios praktiziert eine psychoanalytische Hypnose, er wendet die Psychoanalyse nach Sigmund Freud also bei Menschen an, die in Trance versetzt sind. „Ich glaube, Freud würde heute so arbeiten wie ich“, sagt er. Auch Rios arbeitet ohne Suggestion, gibt seinen Patienten im Gegensatz zur klassischen Hypnosetherapie im Trancezustand also nicht vor, was sie fühlen, sehen oder tun sollen.
Nidal Moughrabi steht einer solchen Vorgehensweise kritisch gegenüber. „Im Trancezustand ist der Mensch besonders zugänglich für Suggestion, das macht also durchaus Sinn“, sagt der Arzt und medizinische Hypnotherapeut dazu.
Wenn man in der Hypnose in das Unterbewusste geht, sollte der Patient dabei begleitet werden. „Es ist wie ein unbeleuchteter Keller, in dem man ohne Licht nichts sieht. Dort können versteckte Ängste lauern, die man selbst noch gar nicht kennt. Es kann auch zur Retraumatisierung kommen“, sagt der Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin.
„Besser sei es, wenn der Patient von jemandem begleitet würde, der die Situation aus eigener Erfahrung einschätzen könne. „Es wäre für den Patienten hilfreich, ihn sozusagen an der Hand zu nehmen.“
Die Psychoanalyse ist in wissenschaftlichen Kreisen umstritten, „es dauert oft Jahrzehnte, bis alles aufgearbeitet werden kann“, sagt Moughrabi, „aber es hängt davon ab, wann die Person offen dafür ist.“
Zwar verspricht auch Rios keine schnellen Erfolge, dafür aber langfristige, wie er im Gespräch mit dem KURIER erklärt.
KURIER: Im Sommer besonders schmerzhaft: Flugangst. Wie kann Ihre Form der Hypnosetherapie dabei helfen, diese nachhaltig zu überwinden?
Juan José Rios: Wichtig ist, dass – anders als bei der klassischen Hypnose – nicht nur die Symptome der Flugangst behandelt werden, also das, was passiert, wenn sie ausbricht. Die Angst ist nur das, was an der Oberfläche zu erkennen ist, das wahre Problem liegt aber vielleicht ganz woanders. Ziel der Psychoanalyse ist, tiefer zu graben. Die Hypnose erleichtert das, weil im Trance-Zustand das Bewusste ausgeblendet wird.
Was ist der Unterschied zur klassischen Hypnosetherapie?
Ich verzichte auf Suggestionen, sage also nicht, was passieren wird oder was die Personen in ihren Gedanken tun sollen. In der klassischen Hypnose würde man positive Assoziationen wecken, zum Beispiel, dass der Patient, wenn er im Flugzeug sitzt, an eine schöne Urlaubserinnerung denken soll. Das funktioniert vielleicht für die nächsten Flüge, löst das Problem aber nicht dauerhaft. In der Psychoanalyse geht es genau um das Gegenteil: Der Patient muss die Angst erkennen und sie genau hinterfragen.
Sie sagen, dass Sie ohne Suggestion arbeiten, die Patienten während der Hypnose also nicht beeinflussen. Wie erkennt man dann, wo die Angst seinen Ursprung hat?
Während der Hypnose können viele Gefühle, Bilder, oft auch Kindheitserinnerungen aufpoppen. Ich lasse die Patienten im Trancezustand selbst imaginieren und die Zusammenhänge der Symbole erkennen. Wenn jemand unter Flugangst leidet, kann es sein, dass er sich plötzlich an eine Situation erinnert, in der ihn sein Vater als Kind hoch in die Luft geworfen hat. Oder es ist etwas ganz anderes, das man mit der Angst gar nicht mehr verknüpfen würde. Wie Freud gesagt hat: „Was unbewusst ist, muss bewusst werden.“
Sigmund Freud hat auch versucht, mit Hypnose zu arbeiten, hat dann aber davon abgelassen. Warum haben Sie es trotzdem versucht?
In der Ausbildung zur Psychotherapie hat mich das Thema Hypnosetherapie sehr fasziniert. In Österreich hat sie viel mit den Prinzipien der Psychoanalyse zu tun, das fand ich sehr spannend. Freud hat anfangs auch mit Hypnose gearbeitet, sein Problem war aber, dass die Symptome nach gewisser Zeit aber wieder zurückgekommen sind. Also dachte er, dass die Hypnose nicht bei jedem Menschen funktionieren würde und hat damit aufgehört. Ich dachte mir, was wäre passiert, wenn er es weiter versucht hätte – also habe ich es selbst gemacht (lacht).
Bleiben wir bei der Flugangst – wie lange dauert die Therapie, bis man davon befreit ist?
Das kann man nicht klar sagen. In einer klassischen Hypnosetherapie, wo Suggestionen angewendet werden, kann es schnell gehen. In der Psychoanalyse wird aber viel mehr aufgearbeitet – oft merken Patienten dabei erst, dass es sich um ein ganz anderes Problem dreht.
Kann jeder Mensch mit Hypnose behandelt werden?
Wenn er es möchte und offen dafür ist, schon. Wenn jemand in meine Praxis kommt, hat er sich in der Regel schon mit dem Thema auseinandergesetzt und ist bereit dazu, sich hypnotisieren zu lassen.