Pferde verstehen Menschen
Von Hedwig Derka
Die Stirn in Zornesfalten gelegt, die Zähne gefletscht – mit stechendem Blick funkelte der Glatzkopf von der Schautafel. 28 Pferde mussten sich Fotos von Menschen mit negativen Gesichtsausdrücken anschauen.
Dann hielt ihnen Amy Smith von der University of Sussex Porträts von Menschen mit positiver Mimik vor. 30 Sekunden lachte der Glatzkopf nun mit strahlendem Gebiss und ebensolchen Augen die Stuten und Hengste aus fünf britischen Pferdeställen an. Und siehe da: Die Unpaarhufer reagierten deutlich unterschiedlich auf die gezeigten menschlichen Emotionen.
Emotionen
Vor einigen Jahren war umstritten, ob Tiere Emotionen haben. Die Frage ist geklärt. Jetzt beschäftigen sich Wissenschaftler damit, welche Gefühle Tiere empfinden. Freude und Furcht stehen bereits außer Zweifel. Neueste Studien belegen, dass zumindest Primaten, Hunde und nun eben auch Pferde die Fähigkeit besitzen, artfremde Emotionen wahrzunehmen. Sie können die Stimmungen von Menschen unterscheiden.
"Man muss als Wissenschaftler sehr vorsichtig mit der Interpretation sein", sagt Univ.-Prof. Ludwig Huber. Der Kognitionsbiologe am Messerli Forschungsinstitut der Vetmeduni Wien bezweifelt nicht, dass Reize wie verärgerte bzw. freundliche Gesichter Tiere erregen.
Das belegte er in einer Studie mit Hunden schon vor einem Jahr (siehe rechts). Das können Forscher überprüfen: Herzfrequenz und Körpertemperatur lassen sich messen, (Stress-)Hormone können in Blut, Speichel oder Urin nachgewiesen werden. Blickrichtung und Körperhaltung geben indirekt Auskunft. Univ.-Prof. Huber warnt aber vor der "Vermenschlichung der Tiere" bei der Auswertung der Daten und betont: "Man weiß die emotionale Färbung nicht."
Hirnaktivitäten
Mit einem Blick ins Gehirn von Hund, Pferd & Co. könnte sich das ändern. Darin liegt die Zukunft der Verhaltensforschung. Eine Magnetresonanztomografie etwa könnte Klarheit schaffen, in welchen Hirnarealen verschiedene Reize verarbeitet werden. Allein das Vorhandensein des limbischen Systems lässt den Schluss zu, dass Emotionen erlebt werden, der Bereich ist für die Verarbeitung derselben zuständig.
Amy Smith untermauert ihre Erkenntnis – aktuell veröffentlicht in Biology Letters – durch zwei Methoden: Zum einen beobachtete sie, dass die Pferde in ihren Tests böse Gesichter vornehmlich mit dem linken Auge betrachteten – ein Verhalten, das bei verschiedenen Tierarten mit der Wahrnehmung negativer Reize assoziiert wird. Zum anderen konnten sie einen schnelleren Anstieg des Pulses feststellen, offenbar verursachte die bedrohliche Visage Stress.
"Pferde besitzen ein funktionales Verständnis für die Bedeutung menschlicher Gesichtsausdrücke", schließt die Forscherin. Insgesamt lösten die negativen Eindrücke stärkere Reaktionen aus als das Lächeln. Smith deutet das als "Warnsystem, das es Pferden ermöglicht, negatives menschliches Verhalten, wie etwa einen groben Umgang, vorauszusehen".
Angeboren oder erlernt
Offen bleibt, ob jedes Pferd diese Fähigkeit im Laufe seines Lebens erlernt hat. Oder ob dieses Wissen angeboren und Resultat des Jahrhundertelangen Zusammenlebens von Mensch und Tier ist.
Fest steht für die Wissenschaftlerin Smith die "faszinierende Erkenntnis, dass Pferde die Emotionen über die Artengrenze hinweg akkurat erkennen und deuten können und das trotz der doch starken Unterschiede in der Gesichtsmorphologie von Pferden und Mensch".
Vor einem Jahr sorgte eine Studie der Vetmeduni Wien für Aufsehen. Die Kognitionsbiologen Ludwig Huber und Corsin Müller wiesen nach, dass Hunde die Gesichtsausdrücke von Menschen erkennen, abstrahieren und deuten können – und das obwohl der Sehsinn der Haustiere nicht besonders gut entwickelt ist. „Bei unserer Studie waren die Hunde darauf trainiert, sehr kleine Gesichtshälften zu unterscheiden“, sagt Univ.-Prof. Huber. Die elf Versuchtstiere bestätigten schließlich, dass Hunde fähig sind, freundliche bzw. ärgerliche Gesichter zu unterscheiden.
Studie
Die Wissenschaftler konfrontierten 17 Hunde mit Fotos und Klängen. Entweder waren ein fröhlicher Mensch, ein verspielter Hund zu sehen und entsprechende Audioclips von Stimmen bzw. Gebell zu hören. Oder es waren ein ärgerliches Gesicht, ein aggressiver Hund und passende Hörproben.
„Hunde haben die Fähigkeit, mindestens zwei unterschiedliche Quellen sensorischer Informationen in eine folgerichtige Wahrnehmung der Emotionen zu integrieren. Diese Fähigkeit erfordert ein System für eine innere Kategorisierung emotionaler Zustände.“ Studienautor Kun Guo vermutet, dass auch Affen und Katzen ein Gespür für positive und negative Emotionen anderer haben, möglicherweise in schwächer ausgeprägter Form.