Warum es in der Liebe auch immer um Macht geht
Hin und wieder macht Wolfgang Krüger in seiner Berliner Praxis Umfragen. Und weil er Paartherapeut ist, drehen die sich meist um Beziehungsschwierigkeiten und wie man sie überwinden kann. Als er einmal wissen wollte, wie es denn um Liebe und Macht bestellt sei, antworteten 82 Prozent der Befragten, dass dort, wo es Liebe gibt, die Macht keinen Platz habe. "Das ist naiv", sagt der Psychologe lapidar. "In jeder Beziehung gibt es Interessenunterschiede", ergänzt er, um im KURIER-Interview über Kränkungen sowie das Gefühl der Ohnmacht zu erzählen – und wie wir lernen, bewusster mit Machtprozessenumzu-gehen.
Herr Dr. Krüger, warum scheitern Partnerschaften?
Wolfgang Krüger:Das habe ich mich auch immer gefragt. Am Anfang sind die Liebesbeziehungen so intensiv, wir wollen den anderen nur positiv sehen. Es ist nicht der Alltag, an dem Beziehungen scheitern. Auch nicht Langeweile oder Routine, nicht die kleinen Streitigkeiten. Partnerschaften scheitern erst, wenn es destruktive Machtprozesse gibt, in deren Rahmen man den anderen regelrecht aktiv bekämpft.
Wann beginnt das?
Die Machtkonflikte sind von Anfang an da. Nur: Wir kriegen sie nicht mit. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem die Machtprozesse entgleiten. Das passiert meist, wenn es andere Probleme gibt – etwa mit den Kindern, Krankheiten, Arbeitslosigkeit, Eltern, die betreut werden müssen. Dann radikalisieren sich die Machtkonflikte. Und das geht dann mit Entwertungen und Respektlosigkeit einher. Das zerstört die Beziehung.
Worauf muss ich achten, dass mir das nicht passiert, wenn ich mich frisch verliebe?
Das Dumme ist, dass Sie die Machtkonflikte auch am Anfang mitbekommen, aber sie nicht richtig bewerten. Wir haben ein viel zu großes Liebesverlangen und nehmen die Machtkonfikte nicht ernst. Zum Beispiel merkt eine Frau natürlich, wenn ihre neue Flamme nur über sich selbst redet, sie zu etwas drängt, was sie gar nicht will oder immer bestimmt, wohin es zum Essen geht. Sie merkt sofort, dass er ein Bestimmer ist, findet ihn aber so attraktiv, dass sie ihre Bedenken wegschiebt.
Wenn man verliebt ist, kann man nur schwer die rosarote Brille abnehmen. Was raten Sie?
Sie sagen, es gibt verschiedene Arten von Machtkämpfen. Welche?
Ja, am Anfang gibt es vor allem die unsichtbaren Machtkämpfe. Die meisten Menschen haben in ihrer Kindheit gelernt, diese stillen Kämpfe auszutragen. Das heißt: Man ist unpünktlich, man entzieht dem anderen Anerkennung, es gibt selten Sex, ich vergesse den Hochzeitstag. Das können Zufälle sein, aber in den meisten Fällen hat es etwas zu bedeuten. Diese unsichtbaren Machtkämpfe muss ich mitkriegen, weil ich ansonsten in eine Ohnmachtsfalle tappe.
Am Anfang ist der Partner viel geneigter, Dinge zu ändern, weil er verliebt ist. Je länger es dauert, desto schwieriger wird es. Wobei man in jeder Phase der Beziehung etwas verändern kann. Ich hatte jemanden in Therapie, der 20 Jahre verheiratet war, als er seiner Frau mitteilte, dass er das nicht mehr mitmache. Er hat einfach einige Nächte in einem Hotel übernachtet.
Sie postulieren auch, dass der, der weniger liebt, mehr Macht hat.
Wer sich leichter trennen kann, der hat die Macht. Am Anfang sind das eher die Männer, weil die Frauen viel mehr an der Beziehung interessiert sind. Sie investieren in die Partnerschaft, haben dann aber auch Erwartungen. Wenn die nicht in Erfüllung gehen, schalten die Frauen auf einen Machtmodus. Je länger die Beziehung andauert, desto mehr ergreifen sie die Macht. Nach etwa zwei Jahren gibt es diesen Umschwung. Dann sind die Frauen so desillusioniert und genervt, weil die Wünsche, die sie haben, nicht und nicht in Erfüllung gehen. Und weil Frauen die besseren Netzwerke und Freundschaften haben und sich auch leichter trennen könnten, sagen mir 90 Prozent der Paare, dass an diesem Punkt eher die Frauen die Macht haben. Wenn es hart auf hart geht, haben die Männer also die schlechteren Karten.
Wie ergreift man die Macht?
Einer der stärksten Faktoren, den Menschen in einer Partnerschaft suchen, ist Anerkennung. Wir alle lechzen nach Lob, bekommen im Leben erfahrungsgemäß aber nur ein Fünftel der Anerkennung, die wir haben möchten. Wir sind also alle unterversorgt. Eine der stärksten Möglichkeiten die Beziehung zu gestalten, läuft über die Anerkennung. Sie ist eines der stärksten Machtmittel.
Ist das tatsächlich so?
Ja, wir Männer kennen uns aus mit Börsenkursen und Autos, wir erklären Frauen gerne die Politik und die Welt. Aber bis zu 90 Prozent der Ratgeberbücher werden von Frauen gelesen – sie eignen sich im Leben eine große Kompetenz an, wenn es um seelische Prozesse, Liebe und Partnerschaft geht. Das bedeutet, dass Männer oft gar keine Argumente haben, wenn Frauen bei diesen Themen los-legen.
Wie kann der Machtkampf trotzdem gelingen?
Es ist schwierig. Zunächst müssen wir uns daran gewöhnen, dass es in allen Partnerschaften Interessenskonflikte gibt – das ist normal. Auch, dass jeder versucht, seine Interessen mithilfe von Macht durchzusetzen. Aber nur, wenn ich damit rechne, kann ich damit gut umgehen. Dazu braucht man Selbstbewusstsein und innere Unabhängigkeit, eine gewisse Stärke, ich muss wissen, was ich will. Und ich brauche Sozialkompetenz, muss auf den anderen eingehen. Mir zum Beispiel die Frage stellen: "Wo bin ich selbst in Machtkonflikten schwierig?". Und auch überlegen: "Wenn ich meine Wünsche durchzusetzen versuche – wie kommt das beim anderen an?". Wenn man da nicht nachdenkt, kann man jede Beziehung verheizen. Man muss einerseits sehr klar sagen, was man will. Und man muss gleichzeitig damit rechnen, dass der andere nicht sofort darauf eingeht. Man braucht also auch Beharrungsvermögen.
Machen wir das am Beispiel Hausarbeit fest!
Üblicherweise machen Männer in der Küche viel weniger als Frauen. Wenn sie Mithilfe einfordert, sagt er erst mal: "Ja." Tut es aber nicht. Das ist nur ein Einlenken der Form halber. Dann kommt: "Gestern habe ich aber..." – die Gegenwehr. Oder er geht in die Offensive mit: "Aber du hast ja auch ..."
Wenn Sie große Konflikte ansprechen, wird beim ersten Mal gar nichts passieren. Wir machen den Fehler, dass wir resignieren oder es bei jeder Gelegenheit ansprechen, ohne, dass irgendwas passiert. Wir müssen lernen, im Leben konsequent zu sein. Heißt: Wenn nichts hilft, könnte man überlegen, sein Eigenleben stärker zu leben, mit der besten Freundin weggehen, damit der Partner spürt, dass er sich mehr bemühen muss und etwas mehr Sehnsucht bekommt. Das stärkste Mittel, um den Partner zum Einlenken zu bringen, ist, ihm Beziehung zu entziehen. Das hat in den meisten Fällen Erfolg.
Ist aber auch sehr manipulativ ...
Manipulation heißt übersetzt "Kunstgriff". Es hat keinen Sinn, ständig mit dem Partner zu reden und es passiert nichts. In Machtkämpfen brauche ich eine gute Strategie. Sie sind eine Schlacht. Natürlich hat das nichts mehr mit Liebe zu tun.
Heißt das, dass man den Partner ändern kann?
Oh Gott, das ist eine heiße Frage. Grundsätzlich nein. Aber es gibt das Prinzip der indirekten Veränderung: In dem Augenblick, in dem ich mich verändere, verändere ich alles mit. Wenn ich all die Dinge tue, die ich bisher im Leben aufgeschoben habe, dann kriegt mein Leben eine solche Lebendigkeit – das ist die radikalste Möglichkeit, eine Partnerschaft zu verändern.
Bis hin zur Trennung ...???
Das Risiko ist eigentlich nur da, wenn die Beziehung schon sehr angeschlagen ist. Ich muss versuchen, die Bedingungen herzustellen, die am Anfang der Partnerschaft bestanden. Da hatte mich der Partner noch nicht ganz – er war deshalb so bemüht um mich, weil er die Befürchtung hatte, ich bekomme sie/ihn nicht. Diese leichte Furcht ist günstig für die Liebe. Das Gefühl von absoluter Zuverlässigkeit und Gewissheit bewirkt, dass man im Machtverhalten übermütig wird.
Und wie halten Sie selbst es mit Ihren Machtkonflikten?
Meine Frau und ich streiten uns sehr selten. Wenn doch, schreiben wir einander Briefe oder eMails, weil wir festgestellt haben, dass man so mit Worten geschickter ist, darüber nachdenken kann und die Emotion rausbleibt. Auch Humor hilft. Die Machtkonflikte sind normal, aber anschließend tanze ich mit meiner Frau durch die Küche. In den meisten Fällen kämpfen wir ohnedies mit dem Leben und nicht miteinander.