Leben/Gesellschaft

Ökosysteme hängen von Raubtieren ab

61 Prozent der 31 größten Raubtiere stehen auf der Roten Liste der bedrohten Arten und sind in ihrem Überleben als gefährdet eingestuft. Die Populationen von 75 Prozent dieser Arten schrumpften, ebenso wie ihre Lebensräume. Darauf weisen Forscher um William Ripple von der Oregon State University nun im Fachblatt "Science" hin.

Um die Ausrottung der Raubtiere und die damit einhergehenden Folgen zu verhindern, regen die Wissenschaftler eine globale Initiative zum Schutz der Tiere an. Denn das Aussterben von Löwe, Luchs & Co hat weitreichende Auswirkungen auf die Ökosysteme insgesamt, etwa auf den Artenreichtum von Vögeln, Säugetieren und Wirbellosen, auf Vegetation, Landwirtschaft und sogar auf den Klimawandel.

Studie

Um die Situation konkreter zu erfassen, konzentrierte sich das internationale Forscherteam auf sieben Großräuber: Löwe, Dingo, Puma, Leopard, Luchs, Wolf und Seeotter. Aus verfügbaren Daten ermittelten sie, wie sich ein Verschwinden der Tiere auf ihre jeweiligen Ökosysteme auswirkt.

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Meist seien die Folgen weithin spür- und sichtbar. So sind in Westafrika mit dem Rückgang von Löwen und Leopardendie Bestände der Anubispaviane stark angewachsen. Daraufhin nahm der Bestand von kleinen Paarhufern und Primaten ab, Paviane (Bild) machten fette Beute. Darüber hinaus bedrohten Pavian-Horden Farmtiere und machten sich über Feldfrüchte her.

In den Gewässern von Südost-Alaska wiederum führte der Rückgang von Seeottern zu einem starken Anstieg der Zahl von Seeigeln, die dann die Kelpwälder abweideten, berichten die Forscher.

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Ähnliches ließ sich beim Verschwinden vonWölfenin vielen Erdregionen beobachten: Die Zahl von Elchen (Bild) und anderen Hirschen, die viele Pflanzen fressen, steigt infolgedessen an. Der Rückzug der Vegetation wirkt sich wiederum auf Vögel oder kleinere Säugetiere in dem Ökosystem aus.

Zumindest in einigen Fällen seien die Veränderungen umkehrbar, schreiben die Forscher. Im Yellowstone-Nationalpark/USA hätten sich einige Bereiche nach der Wiedereinführung der Wölfe rasch erholt.

Bewusstseinsbildung

Die Forscher halten das Verschwinden der großen Raubtiere für einen der bedeutendsten Einflüsse des Menschen auf die Natur - neben dem Klimawandel. Daher schlagen sie eine globale Initiative zum Schutz der Tiere vor: Akzeptanz und Toleranz der Menschen für die großen Raubtiere sollen steigen.

"Wir sagen, dass diese Tiere ein Recht haben zu leben", betont Ripple. Nicht zuletzt haben diese Vierbeiner auch einen ökonomischen und ökologischen Wert. Allein dem Yellowstone-Nationalpark bringe der Wolf-Tourismus jährlich etwa 15 bis 35 Millionen Euro.

Selbst auf den Klimawandel hätten große Raubtiere in einigen Ökosystemen positiven Einfluss: Sie halten Pflanzenfresser in Schach, so dass die Vegetation besser gedeihen und Kohlendioxid einlagern kann.

Die Ausrottung von Wölfen im berühmten amerikanischen Yellowstone-Nationalpark führte in den 1920er-Jahren zum Zusammenbruch des dortigen Ökosystems: Wegen der starken Vermehrung der Hirsche konnten keine Jungbäume nachwachsen. Erst als die Wölfe 1955 wieder angesiedelt wurden, konnte sich der Baumbestand erholen. Die Hirsche mieden vor allem jene steilen, unwegsamen Gebiete, in dem sie nicht so leicht fliehen konnten. Mit dem Wald kehrten auch der Biber und einige gefährdete Vogelarten des Yellowstone-Auwaldes zurück.

Heimische Wälder

"Für Österreich ist diese Erkenntnis höchst relevant", findet der WWF. In heimischen Wäldern wurden für das Jahr 2013 gerade einmal drei Wölfe nachgewiesen. Die Akzeptanz ist gering.

Wegen der - im europäischen Vergleich - sehr hohen Dichte an Rothirschen, Rehen und Gämsen sind die Gebirgswälder einem starken Verbissdruck ausgesetzt. Der Wald kann sich auf riesigen Flächen nicht ausreichend verjüngen, bestätigt das Bundesforschungszentrum für Wald. Die österreichischen Bergwälder verlieren langfristig ihre Schutzfunktion gegen Hochwässer, Muren und Lawinen.

Rückkehr des Wolfes

Der Qualitätsverlust des Waldes könnte durch die regelmäßige Anwesenheit von Wölfen entschärft werden, ist WWF-Naturschutzexperte Bernhard Kohler überzeugt: „Die Beutegreifer sorgen dafür, dass sich die Rotwild-, Reh- und Gams-Bestände räumlich ungleichmäßig verteilen. Dadurch entstehen große verbissfreie Flächen, auf denen sich auch empfindliche Baumarten wie die Tanne wieder natürlich verjüngen können.“ Das trifft vor allem in Bundesländern wie Tirol zu, in denen ein Großteil des Waldes im Steilgelände liegt und wichtige Schutzfunktionen erfüllt. „Besonders die kombinierte Anwesenheit von Wolf, Bär und Luchs hätte positive Effekte, wobei es gar nicht gesagt ist, dass es zu einer dramatischen Reduktion der Wildbestände kommt. Entscheidend ist vielmehr die ungleichmäßige Verteilung der Pflanzenfresser.“