Leben/Gesellschaft

Hunde wissen, wann wir wütend sind

Höchste Aufmerksamkeit. Im Training hatte die Schäferhündin gelernt, dass eine richtige Entscheidung belohnt wird. Berührte sie das fröhliche Frauengesicht auf dem Touch-Screen, gab es ein Leckerli. Wählte sie das zornige Porträt auf dem Monitor, wurde der Bildschirm rot, und sie ging leer aus. Für die Studie im "Clever Dog Lab" der Veterinärmedizinischen Universität Wien konzentrierte sich der Vierbeiner dann nur noch auf Gesichtshälften.

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Auch die Aufgabe mit den Augen- bzw. Mundpartien durchschaute sie rasch. Und verdeutlichte damit im Versuch mit zehn weiteren Hunden, dass die domestizierten Verwandten des Wolfes Emotionen in menschlichen Gesichtern unterscheiden können: Hunde verstehen die nonverbale Kommunikation des Menschen.

Sehsinn

Der Sehsinn ist bei Hunden nicht besonders gut entwickelt. Deshalb waren die Kognitionswissenschaftler des Messerli Forschungsinstitut überrascht, als sie vor zwei Jahren nachwiesen, dass Hunde verschiedene Menschen auf Bildern auseinander halten können. Im Frühjahr 2014 starteten Ludwig Huber und Corsin Müller daher eine Folgestudie. "Menschen vermitteln Menschen gegenüber sehr viel auf der visuellen Ebene – über Gesten und Mimik. Gesichtsausdrücke sind ein Paradebeispiel", sagt Univ.-Prof. Huber: "Wir wollten wissen, wie das in der engen Beziehung von Mensch und Tier bei den Haustieren ausschaut." Reagieren Hunde auf die Stimmungen ihrer Halter?

Tatsächlich lernten die Studienteilnehmer zwischen vergnügten und wütenden Gesichtshälften zu differenzieren. Die meisten schafften anschließend auch die richtige Zuordnung völlig unbekannter Gesichter. Die Leistung lässt den Schluss zu, dass Haustiere nicht einprägsame Merkmale abspeichern, sondern zu einer Interpretation fähig sind.

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Keine Auswirkungen hatte es, ob die Versuchstiere die Hälfte mit Kinn oder die mit den Haaren präsentiert bekamen. Der Gesichtsausdruck dagegen beeinflusste das Ergebnis maßgeblich: Tiere, die auf das freundliche Gesicht stupsen sollten, lösten die Aufgabe viel schneller. Tiere, die das verbissene Gesicht identifizieren sollten, brauchten drei Mal so lang. "Offenbar tun sich Hunde schwer und müssen sich überwinden, ein zorniges Gesicht zu berühren", erklärt Univ.-Prof. Huber. Die Schule des Alltags prägt, die Vierbeiner schöpfen aus ihren Erinnerungen.

Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler nun heraus finden, ob sich ihre Erkenntnisse – veröffentlicht im Fachjournal Current Biology – verallgemeinern lassen. Diesmal wurden aus praktischen Gründen ausschließlich Frauenfotos einbezogen, sie boten sich in der Bilddatenbank an. Künftig sollen die Tests auch mit Männer-Porträts durchgeführt werden und mit Personen anderer Ethnien. "Bei unserer Studie waren alle Haustierbesitzer Europäer. Wir vermuten, dass sich die Hunde mit anderen Hautfarben schwerer tun, weil sie dafür kein Alltagswissen haben", formuliert der Biologe die Hypothese.

Wolf Science Center

Auch zahme Wölfe sollen künftig ins Labor. Univ.-Prof. Huber: "Sollten sich Unterschiede zwischen Hund und Wolf herausstellen, könnte zur Erfahrung der Domestikationseffekt kommen. Er gibt Hunden mehr Möglichkeiten, Menschen zu erkennen, zu lesen und zu deuten."