Besuch beim "1. Wiener Ich-kann-nicht-singen-Chor"
Im Nebenzimmer der privaten Ordination haben sie bereits einen Sesselkreis gebildet. Durch den Türspalt sind neun Frauen und zwei Männer auszumachen. Unter uns: An diesem Sesselkreis wäre dieses Projekt fast gescheitert. Denn der Neuankömmling hätte nie im Leben sagen wollen: "Hallo, mein Name ist Uwe, ich würde gerne singen, aber ich trau’ mich nicht."
Will man das? Will man nicht! Muss man auch nicht.
Denn die Chorgründerin Heidi Holub weiß aus eigener Erfahrung, wie die Angst vor dem Singen lähmt. Die 56-jährige Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin ist im Vorjahr über ihren eigenen Schatten gesprungen und hat den 1. Wiener Ich-kann-nicht-singen-Chor gegründet.
Holub heißt den Neuen herzlich willkommen – und auch der Sesselkreis erweist sich sofort als eine Ansammlung sympathischer Leidensgenossen.
Und dazu die großartige Chorleiterin: Giti Huber, ausgebildete Sängerin, Singschullehrerin und Musikwissenschafterin. Sie lässt sofort den strammen Professor aus dem Gymnasium vergessen, der in der Erinnerung einem Zehnjährigen schon in der ersten Stunde die Freude am Singen vermieste, indem er ihn vor der Klasse "Alle meine Entlein" singen ließ, um ihn nach der ersten Strophe noch mehr bloßzustellen. Anders Giti Huber. Sie könnte gut und gerne mit ganz anderen Chören arbeiten. Das will sie aber nicht, weil es ihr sichtlich Freude macht, auch Nicht-Sängern eine Stimme zu verleihen.
Großartig sind ihre Aufwärmübungen für Stimmbänder und Zwerchfell, die sie auch leicht verständlich erklärt. Der Chor atmet zuerst aus, dann ein. Sodann beginnt er mit dem Sprechgesang von Vokalen und Konsonanten, um wenig später das erste Indianerlied anzustimmen. Das ist textlich nicht ganz die Erbauung, dafür hat seine Melodie den ungemeinen Vorteil, weder weit in die Höhe zu gehen noch zu sehr in die Tiefe zu stürzen.
Nach jedem weiteren Lied ist eine nette Mischung aus noch etwas unsicherem Kichern und erquicktem, entspanntem Lachen zu hören. Dass neben dem Neuankömmling zwei vom selben Geschlecht sitzen, ist übrigens kein Nachteil.
Das leicht schlüpfrige "Veronika, der Lenz ist da" verlangt den Stimmen bereits deutlich mehr Volumen ab, doch mit vereinten Kräften und mehreren Wiederholungen helfen die Talentierteren und die Chorleiterin auch über jene Klippen, in die man als Rookie allzu leicht abstürzt. Mit dem gemeinsam getankten Selbstvertrauen wird sogar "Schön ist so ein Ringelspiel" von Hermann Leopoldi zu einer Hetz.
In der Euphorie hält man die Bezeichnung des Chors kurzfristig für eine Schutzbehauptung, weil einige im Kreis wirklich schön singen. Endgültig vergessen ist nun auch das Gymnasiallehrer-Trauma. Das zustimmende Nicken der Sitznachbarin tut dem lange lädierten Selbstvertrauen zusätzlich gut.
Mehr Selbstvertrauen
"Es ist nie zu spät, so zu sein, wie man gerne gewesen wäre." Dieser Satz der britischen Schriftstellerin George Eliot ist das Motto von Heidi Holub. Wenige verkörpern dieses Motto mehr als die Fachärztin, die erst mit 31 ihr Medizinstudium begann und mit Mitte 50 als Nicht-Sängerin ihren eigenen Chor ins Leben gerufen hat.
"Ich war nie ein Mensch für die Bühne", erzählt Heidi (beim Singen ist man schnell per du) nach der Probe. "Der Chor hat sicher mein Selbstvertrauen gestärkt."
Der Erfolg gibt ihr in jedem Fall recht. Inzwischen sind es bereits sieben Gruppen, die Woche für Woche gemeinsam üben (die eine oder andere Männerstimme fehlt vielleicht noch). Und am 16. Dezember ab 18 Uhr sind Holubs nette Leute beim Christkindlmarkt auf dem Wiener Rathausplatz zu sehen und natürlich zu hören.www.laienchor.atMehr zu Heidi Holubs Chorprojekt
Gemeinsames Klang-Erlebnis: Chorgründerin Heidi Holub und Chorleiterin Giti Huber laden KURIER-Leser zur Chorprobe ein. Das eineinhalbstündige fröhliche Singen findet am Freitag, 12. Jänner 2018, ab 18 Uhr in 1070 Wien, Kaiserstraße 67 statt. Anmeldung ab 2. Jänner 2018 unter mahoo@gmx.at. Die ersten zwanzig Leser, die sich anmelden, sind fix dabei.