Was Frauen zum Seitensprung treibt
Von Nina Horcher
Wenn Angelika auf Geschäftsreise fährt, schickt sie ihrem Mann Fotos von Spaziergängen in den Pausen und vom Abendessen im Hotel. Am nächsten Morgen telefonieren sie, dann legt sie auf – und legt sich zurück ins Bett zu ihrem Liebhaber. Eine Affäre erfordert Einfallsreichtum, perfekte Vorbereitung und Disziplin. "Wenn Sie keine Erfahrung im Lügen haben, üben Sie", rät Michèle Binswanger. "Für manche Frauen haben Lügen und Heimlichkeiten eine erregende Komponente, die fast noch reizvoller ist als die sexuelle Erfahrung selbst" schreibt die Autorin in "Fremdgehen, ein Handbuch für Frauen" und gibt darin praxisorientierte Handlungstipps auf dem Weg in die Untreue. Von "probieren Sie keine neuen Sachen im Ehebett aus, die Sie durch Ihren Lover entdeckt haben", bis hin zu "treffen Sie Ihren Liebhaber an einem neutralen Ort" oder "beantworten Sie keine Telefonanrufe, wenn Sie mit ihm zusammen sind" – die beschriebenen Tipps stammen aus Erfahrungen verschiedener Protagonistinnen, die die Schweizerin in den vergangenen zwei Jahren für ihr Buch interviewt hat. Angelika ist eine von ihnen, die darin ihre persönliche Geschichte vom Fremdgehen erzählt.
Mit ihrem Werk greift die Autorin ein Thema auf, das Menschen seit Jahrhunderten beschäftigt. Bereits 1896 beschreibt Theodor Fontane in "Effi Briest" die Tragödie eines Seitensprungs und wie verhängnisvoll eine zu wenig durchdachte Affäre für eine Frau sein kann. Fontane erkannte dabei bereits den Kern eines Seitensprungs: Die meisten Menschen werden untreu, weil sie sich in der Beziehung vom Partner vernachlässigt fühlen. Das bestätigt auch Sandra Teml-Jetter, Paartherapeutin in Wien. Ob Frauen oder Männer – Menschen, die fremdgehen, haben lange Zeit auch ihre eigenen Sehnsüchte und Wünsche ignoriert: "Hier geht es ganz oft um die Suche nach Lebendigkeit, oft um ein Ausbrechen aus dem ‚Gefängnis‘ der Familie oder Paarbeziehung – wobei sich viele Frauen von der Mutterrolle und den damit verbundenen Erwartungen eingeengt und fremdbestimmt fühlen", so Teml-Jetter. Mit ihrem Werk möchte Binswanger aufzeigen, was Frauen wie Angelika antreibt, fremdzugehen – von der Vergangenheit bis heute. Sie erzählt von Femmes fatales in Epochen, in denen Frauen für sexuelles Verlangen als krank bezeichnet oder gar in der Psychiatrie behandelt wurden. So lässt sie ihre Leser in die Lebenswelt der Fremdgeherinnen eintauchen. Denn Frauen, die untreu sind, würden nach wie vor starke moralische Ablehnung erfahren, insbesondere von anderen Frauen – auch wenn die Gründe nachvollziehbar seien. Die Autorin zeichnet ein klares Profil: "Fremdgeherinnen sind Frauen, die der Liebe folgend, in der Liebe ein Ventil suchen, eine Hoffnung, ein Versprechen. Und ein Abenteuer."
Motiv: Freiheit
"Was man Treulosigkeit zu nennen pflegt, ist nichts anderes als ein Mittel, unser Ich vielfältig zu leben", schrieb bereits Oscar Wilde. Binswanger und Teml-Jetter sind sich mit dem Lyriker einig: Der Begriff der Treue ist nach wie vor ein wichtiger, wird in Beziehungen aber oft falsch verstanden. Das Fatalste sei, Treue und Monogamie als Besitzanspruch zu werten. "Das gibt zwar auf den ersten Blick Sicherheit, ist aber der Beginn einer ungesunden, symbiotischen Beziehung", erklärt die Paartherapeutin.
Sexuelle Treue sei nur ein Aspekt von vielen, der eine Beziehung ausmache, schreibt Binswanger. Dasselbe gilt für den Grund, warum sich Frauen in Affären stürzen: "Um den sexuellen Akt an sich geht es am allerwenigsten", weiß Teml-Jetter, "aber oft öffnet der Schritt die Augen für andere Probleme".
So auch bei Angelika. Als sie ihrem Mann von der Affäre erzählte, erkannte sie ihren Auslöser: Seine Gleichgültigkeit. Das gab ihr die Kraft, sich zu trennen.
Buchtipp: „fremdgehen, Ein Handbuch für Frauen“ von Michèle Binswanger, Ullstein Verlag, 14,99 €