Leben/Gesellschaft

Virtual Reality: Abenteuer in der virtuellen Welt

Hinter mir mein Raumschiff. Darüber das pechschwarze Weltall mit Myriaden silbern leuchtender Sonnen. Im Nebel vor mir erkenne ich die Lichter einer riesigen Alien-Stadt. Aus dem Nebel erheben sich kleine UFOs, Drohnen, die sich rasch nähern. Und das Feuer eröffnen! Aber ich bin gut vorbereitet. In der Linken trage ich einen transparenten Energieschild, rechts hab ich eine Multifunktionswaffe – Dauerfeuer, Strahlenkanone, Granatwerfer und Traktionsstrahl, you name it! Leichtfüßig tänzle ich über die Oberfläche des Planeten, weiche elegant den ersten Schüssen der Drohnen aus, um die Energie meines Schildes nicht zu früh zu verbrauchen – und dann hol ich die Biester gnadenlos vom schwarzen Himmel. Sie explodieren unter lautem Dröhnen, tauchen den Nebel unter ihnen in Orange, Rot und Gelb oder stürzen wie Kometen mit brennendem Schweif in die Finsternis. Mit mir ist nicht zu spaßen, ich bin eiskalt und präzise, kenne keine Furcht. Ich bin der größte Held des Universums!

Mitten drin statt nur dabei

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Nein, eigentlich trage ich eine VR-Brille. Zum ersten Mal in meinem Leben. Und ja, es ist ein überwältigendes Gefühl. Beinahe als wäre man plötzlich mitten in einem Film. In dem man sich – innerhalb eines maximal 25 m² großen Raumes – völlig frei bewegen kann! "Man arbeitet derzeit an Lösungen, wie man den Aktionsradius vergrößern kann. Weil die virtuelle Welt ja prinzipiell endlos ist, man in seinem Wohnzimmer aber doch rasch an Grenzen stößt", erklärt mir Florian Sam, Chef der "Vrei", Europas erster Virtual-Reality-Bar. Hier kann man die derzeit erhältlichen High-End-Geräte "Oculus Rift" und "HTC Vive" benutzen – und die "Samsung Gear-VR", das Teil, in das man einfach nur sein Handy stecken muss, um in virtuelle Welten abzutauchen. Funktioniert das wirklich? "Es gibt natürlich qualitative Unterschiede und auch unterschiedliche Anwendungsgebiete. Aber ja, für Filme, Dokus oder auch einfach 360-Grad-Fotos funktioniert es super – und ist durchaus spektakulär. "Ausprobieren?", fragt Florian Sam. Natürlich will ich! Und der Film, eine vom Cirque de Soleil eigens für das Medium gestaltete Performance, ist einfach atemberaubend. Mit einem Schlag sitze ich mitten in einer Manege und wohin ich mich auch drehe, gibt es etwas zu bestaunen. Die bekannte Magie der franko-kanadischen "Zirkus"-Truppe wird so im wahrsten Sinn des Wortes raumfüllend. Da stelle man sich jetzt mal Tier-Dokus oder Filme der Universum-Reihe in 3D mit Headset vor: Mitten im Löwenrudel statt wie seit Professor Grzimeks Zeiten nur vor der Mattscheibe. Oder mit dem Turmfalken tatsächlich einmal rund um den Stephansdom – wow! Spielfilmtechnisch ist die Umsetzung natürlich schwieriger, scheint aber um nichts weniger aufregend. Vielleicht könnte es ja ähnlich funktionieren wie Paulus Mankers Theaterspektakel "Alma", mit uns Zuschauern als stille Beobachter mitten im Geschehen ...

Virtueller Sex?

Aber das ist Zukunftsmusik. So wie die Revolutionierung menschlichen Sexualverhaltens durch Virtual-Reality-Pornos. Wobei’s natürlich oft gerade die urmenschliche Lust am Laster ist, die technische Entwicklungen vorantreibt. Und in diesem Fall scheint es die Pornoindustrie richtig ernst zu meinen – und könnte durchaus für eine raschere Verbreitung der Technologie sorgen. Erstaunlich übrigens, dass bei ersten Tests in den USA vor allem Frauen begeistert waren. Vor allem von der Gelegenheit, die ganze Sache aus der Perspektive des Mannes zu "erleben". Umgekehrt stieß diese Chance auf neue Einsichten allerdings auf wenig Gegenliebe.

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Sei’s drum, Pornos haben im "Vrei" nichts verloren, dafür wartet eines der Prunkstücke des Lokals auf mich: Etwa 12.000 Euro wert ist das Equipment für den "Assetto Corsa", den Hightech-Rennsimulator. Gut 3.000 für den Rechner, der Rest geht für die Hardware drauf – Lenkrad und Gangschaltung, der Wahnsinns-Fahrersitz mit Hydraulik und allem Brimborium. Die Oculus Rift kostet auch heute noch satte 700 bis 800 Euro. Und ohne das Software-Package um etwa 1.200 Euro funktioniert der ganze Spaß trotz Super-PC dann gar nicht. Nichts also, was man einfach so zuhause hat, wenn man nicht gerade selbst VR-Entwickler ist oder ein Development-Nerd mit superaufgemotztem PC, der sonst wenig Tagesfreizeit hat. Quasi eine einmalige Gelegenheit, die sich einem Gelegenheits-Gamer an diesem Ort bietet. Und der auch Fotograf Jeff Mangione kaum eine Sekunde widerstehen kann. Nach einigen pflichtbewussten Fotos zwängt er sich in den Rennsitz, setzt die Brille auf – und schneidet mich gleich bei Start-und-Ziel, dass es eine Freude ist. Wir fahren mit Sportwagen der Gerade-noch-Straßenkategorie, weil Chef Sam uns glaubwürdig erklärt, dass wir "Newbies" uns mit echten Formel-1-Boliden ständig um die Leitplanken wickeln würden. Ist auf Dauer dann auch kein Spaß. Während die Fahrt mit unseren Flitzern nachvollziehbar und deshalb umso "realer" wirkt. Über Bordfunk kann ich Jeffs ätzende Kommentare hören, als es mir nicht gelingt, mit ihm mitzuhalten, weil ich im echten Leben lieber U-Bahn und Zug als Auto fahre. Was mich nicht daran hindert, in dieser Welt, die beinahe erschreckend wirklich ist, beinhart ans Limit zu gehen. Wofür ich nach einem Schaltfehler vor der Haarnadelkurve mit gefühlt 100 Rotationen um die eigene Achse bezahle. Bist du deppert, das Auge ist ein Trickser, der dich sogar nicht existente Fliehkräfte spüren lassen kann! Vor der Zuschauertribüne sehe ich dann Jeffs verwaistes Auto, nachlässig im Grünstreifen geparkt. Was ist mit ihm passiert?

Nur keine Hemmungen!

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Ich steige aus oder nehme einfach den VR-Helm ab, mit Kleinigkeiten wollen wir uns hier nicht aufhalten. Jeffs Cockpit ist auch im echten Leben leer, er musste ganz spontan "wohin" und kommt etwas blass im Gesicht wieder. Die früher gefürchtete "Motion Sickness", die dadurch entsteht, dass es zwischen gefühlter "echter" Bewegung und projiziertem Bild zu einer minimalen Verzögerung kommt, tritt inzwischen zwar kaum mehr auf, einem 3.000-Euro-PC und der neuen Technik in den Brillen sei Dank. Aber vielleicht ja doch ... Vielleicht hat Jeff sich aber auch nur einmal zu oft gedreht auf seiner ehrgeizigen Jagd nach dem Rundenrekord. Die Knie wackelten mir nach dem Rennen nämlich ebenfalls. Woran liegt es eigentlich, dass es einem erwachsenen Mann in den besten Jahren – also mir – schwer fällt, den Schritt vom Gehsteig in der Lindengasse in ein VR-Spieleparadies zu wagen? Beinahe so, als würde ich etwas Verbotenes oder Unanständiges tun. "Wir haben hier in Europa leider eine andere Spielkultur als in den USA – oder auch in Asien", erklärt Florian Sam. Ein erwachsener Mann der spielt – wenn’s nicht grad Fußball ist – gilt bei uns als unmännlich. Kindisch. Peinlich. Andererseits: Das galt vor etwas über 100 Jahren auch für Männer, die Romane lasen.

Virtueller Fahrtwind - gibt's das?

Meinen ersten Lichtschwert-Kampf muss ich leider aufs nächste Mal verschieben, so wie die Ninja-Fruit-Attacken mit zwei rasiermesserscharfen Katanas. Die Zeit ist hier irgendwie einfach verflogen. Aber eine rasche Achterbahnfahrt geht sich noch aus. Der Platz neben mir bleibt leer, Jeff lehnt dankend ab. Dabei ist es wirklich genial. Der Magen hebt sich und das Herz rutscht in die Hose, ganz wie im richtigen Leben. Und dennoch hat der Achterbahnphobiker in mir immer die unglaublich beruhigende Gewissheit: Wenn sich hier wider jede Wahrscheinlichkeit doch eine Schraube lockert oder sich der Sicherungsbügel öffnet, stürze ich nicht in den Tod, sondern falle höchstens vom Sessel. Super. Und die immersive Kraft dieser künstlichen 3D-Welt ist tatsächlich so hoch, dass ich mir sogar einbilde, den Fahrtwind zu spüren. Als ich geschafft und glücklich lächelnd aus meinem Sitz klettere, sehe ich aus dem Augenwinkel, wie Florian Sam unauffällig einen Ventilator zur Seite schiebt ...

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Zukunft der Unterhaltung oder Jahrmarktsattraktion?
Der Knackpunkt ist wohl, wie schnell sich VR-Brillen in den Haushalten verbreiten. Je mehr potenzielle Kunden, desto größer wird auch das Angebot der Unterhaltungsindustrie. Für ein unverbindliches "Erleben" dieser virtuellen Welt empfiehlt sich das „Vrei“, Lindengasse 53, 1070 Wien www.vrei.at