Leben/Gesellschaft

Sexismus-Debatte: Frauen, wehrt euch!

Viel wurde in den vergangenen Tagen über Macht und Missbrauch diskutiert – nun meldet sich erstmals Österreichs bekannteste Machtanalytikerin zu Wort. Nach #metoo wünscht sich Wirtschaftscoach Christine Bauer-Jelinek (aktuelles Buch: "Machtwort") unter dem Hashtag #sonicht Beispiele von Frauen, die sich erfolgreich gegen Übergriffe gewehrt haben. Wie das geht und was männliche Chefs künftig besser machen können, erklärt sie im KURIER-Interview.

KURIER: Warum sind es so oft ältere Männer in Machtpositionen, die Frauen bedrängen?

Bauer-Jelinek: Salopp gesagt: Wenn einer nicht mächtig ist, kann er auch nichts anbieten. Sehr oft wird mit Macht ein geringes Selbstwertgefühl oder mangelnder Sex-Appeal verdeckt. Häufig sind es Narzissten, die aufsteigen – und Narzissmus hängt sehr oft mit einem gesteigerten sexuellen Verlangen oder speziellen Vorlieben zusammen. In höheren Positionen kann man diese leichter ausleben.

In der Vergangenheit konnte man immer wieder zusehen, wie die Karrieren mächtiger Männer an deren Eskapaden zerbrachen. Warum nehmen dieses Risiko so viele in Kauf?

Weil Macht blind macht. Männer gefährden ja auch durch Steuerhinterziehung oder Korruption ihre Karrieren, und trotzdem passiert es. Außerdem hat dieser Typ Mensch eine große Neigung zum hohen Risiko. Das ist natürlich eine Eigenschaft, die man in einer Machtposition braucht – die aber auch dazu führt, dass sich viele denken: Naja, bis jetzt ist es ja auch gut gegangen, und wie im Extremsport die Dosis steigern. Manche kommen damit durch, manche eben nicht

Welche Rolle spielt das Alter?

Natürlich ist das auch ein Generationenthema, weil die älteren Männer in den Siebzigern sozialisiert wurden, als ein völlig anderer, lockerer Umgang mit Sexualität toleriert und sogar cool war, während es jetzt wieder eine starke Verengung, eine Forderung nach politischer Korrektheit gibt. Es lösen sich aber auch Rollenklischees auf, weil die heutigen Männer unter 40 zum großen Teil nicht mehr als Machos erzogen wurden, wiewohl es auch bei ihnen Ausnahmen gibt.

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Warum sind umgekehrt Übergriffe so selten? Gehen Frauen anders mit Macht um?

Erstens, weil es noch nicht so viele mächtige Frauen gibt, zweitens, weil sich ihr Umgang mit Sexualität erst langsam ändert. Man sieht in neuen Filmen oder Serien, dass Frauen in Machtpositionen sexuell viel aktiver dargestellt werden. Drittens, weil sich betroffene Männer nicht darüber beklagen können, weil sie keine Akzeptanz finden. Ein großes Tabu sind homosexuelle Übergriffe. Diese Männer werden belächelt, wenn sie sich beschweren – da ist in keiner Weise Gleichstellung erreicht.

Was kann man tun, damit Machtstrukturen in Zukunft nicht mehr ausgenutzt werden?

Dass diese sexualisierte Form von Machtmissbrauch geächtet und rechtlich verfolgt wird, ist eine wichtige Seite. Die andere ist die Selbstverantwortung der Betroffenen. Ich vermisse in der Diskussion die Beispiele jener, die sich erfolgreich gegen Übergriffe gewehrt haben. Jeder sollte ein großes Repertoire an Reaktionen beherrschen und angemessen einsetzen können (siehe unten). Oft genügt es, auf eine geringe Belästigung mit einer geringen, persönlichen Reaktion zu antworten, und nicht gleich mit einer Anzeige. Natürlich muss man das tun, wenn es rechtlich relevant ist.

Ist die Diskussion über freizügige Outfits in diesem Kontext überhaupt zulässig?

Da gehen die Meinungen auseinander. Die einen sagen: "Ich ziehe an, was ich will, die Männer sollen sich zurückhalten!" Man kann aber auch nicht leugnen, dass Signale Wirkung zeigen. Und wenn man sexuelle Signale aussendet, muss man damit rechnen, dass sie beantwortet werden. Wenn man das nicht will, muss man reagieren und sagen: So nicht!

Was raten Sie Männern, die ob der Debatte verunsichert sind?

Viel aufmerksamer als früher sein und darauf achten, was sie sagen, wie sie schauen, wo sie sich positionieren, wenn sie neben einer Frau stehen. Neue Verhaltensweisen kann man lernen, so wie man sich in anderen Kulturen zur Begrüßung verbeugt, statt die Hand zu geben. Z. B. tritt man nicht von hinten zu jemandem an den Schreibtisch. Zufällige Berührungen sind absolut tabu, wenn man keine private Beziehung hat. Auch eine übertriebene Bussi-Bussi-Kultur sollte man hinterfragen. Komplimente auf der persönlichen Ebene sind zu unterlassen. Wenn eine Controllerin in ein Meeting geht, ist es unerheblich, ob sie schöne Haare hat. Ein Kompliment wäre eine Abwertung, weil die Haare keine Rolle spielen – sondern die Kompetenz.

Wird sich die "Macho-Kultur" in Unternehmen ändern?

Ich glaube, dass es Machtmissbrauch durch sexuelle Übergriffe immer geben wird. Die Frage ist, in welchem Ausmaß und wie groß die Angst ist, etwas dagegen zu tun. Das wird besser: Wer sich heute wehren will, findet Unterstützung.

Jeder braucht einen "Werkzeugkoffer" mit Techniken, um von der Belästigung bis zum Übergriff angemessen zu reagieren zu können, ist Christine Bauer-Jelinek, Wirtschaftscoach und Psychotherapeutin, überzeugt. Ihre Tipps:

Eskalation

1. Schießen Sie nicht mit Kanonen auf Spatzen: Blöde Sprüche zuerst ignorieren und bei Wiederholung mit einer frechen Antwort reagieren. Wenn jemand dann noch weitermacht, fordern Sie ihn (oder sie) mit einer sachlichen Ansage auf, es sofort zu unterlassen. Erst wenn die Eigeninitiative nicht zum Ziel führt, folgt die Meldung an Vorgesetzte, Gleichbehandlungsstelle oder eine Anzeige.

2. Seien Sie mutig: Bei anscheinend zufälligen körperlichen Berührungen muss die Eskalation rascher erfolgen. Sagen Sie sofort, dass Sie das nicht wollen, wehren Sie die Hand ab und gehen Sie auf Abstand. Bei Wiederholung sprechen Sie eine Warnung aus, darauf folgt umgehend die Meldung.

3 .Suchen Sie Hilfe: Bei Straftaten wie Nötigung, Erpressung, Psychoterror oder Vergewaltigung sorgen Sie umgehend für Beweissicherung und erstatten Sie sofort Meldung oder Anzeige.

Deeskalation

1. Akzeptieren Sie Entschuldigungen: Bei Fehlverhalten setzen Sie auf die Lernfähigkeit der anderen.

2. Reflektieren Sie auch ihr eigenes Verhalten und suchen Sie bei Missverständnissen ein klärendes Gespräch.