300 Jahre Freimaurer. Eine Geschichte zwischen obskuren Verschwörungstheorien und exklusiver Selbstfindungsgruppe. Warum wird man heute noch Logen-Bruder? Die hat mit zwei Mitgliedern des verschwiegenen Bundes gesprochen.
"Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod", sagt der Mann mit dem schmalen Kinnbärtchen. "Das wäre die Antwort auf die wichtige Frage. Die sollte nämlich nicht lauten: Warum bin ich Freimaurer geworden? Sondern: Was hat es mir als Mensch gebracht?" Der Mann sieht mich ruhig und freundlich an. Er war knapp 50 als er sich den Freimaurern anschloss, fasziniert hat ihn der geheime Orden schon seit er ein Teenager war. "Aber alles braucht eben seine Zeit", sagt er und lächelt. Natürlich, meint er, strahlten die Geheimnisse und Rituale der Freimaurer eine nicht zu verkennende Faszination aus.
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Aber bloße Neugier sei kein guter Grund, sich ihnen anzuschließen. Und natürlich weckten Grundsätze wie Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit und Begegnungen mit charismatischen Menschen, von denen er gewusst hatte, dass sie Freimaurer waren, sein Interesse. Aber soziales Engagement ließe sich einfacher in
NGOs oder in der Politik ausleben. "Und interessante Freunde hätte ich wohl auch bei den Bienenzüchtern gefunden." Der Mann mit dem Bärtchen ist jetzt etwa Ende 50 und wirkt eher gelassen als geheimnisvoll.
Schweigen als Schutz
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Worum geht's also bei den Freimaurern? Was wollen sie, woher kommen sie? Wenn heuer das 300-jährige Bestehen der ersten "Großloge von
England" gefeiert wird, heißt das nicht, dass im Jahr 1717 alles begann. Es kam damals lediglich zu einem Zusammenschluss mehrerer bereits bestehender
Logen. Freimaurer gibt es schon seit dem Mittelalter – und ursprünglich waren sie tatsächlich "freie Maurer": Steinmetze, Architekten, Bildhauer, Maler und Ingenieure. Handwerker und Künstler, die in sogenannten "Bauhütten" für die Errichtung monumentaler Kirchenbauten wie des
Kölner Doms (1248) und der
Westminster Abbey in
London (Baubeginn der heutigen Kirche 1245) verantwortlich waren. Und die guten unter ihnen waren gefragt, die kirchliche PR-Maschine, die auf Mega-Monumente setzte, um ihre Macht und ihre exklusive Nähe zu Gott zu demonstrieren, war auf diese Experten angewiesen. In Zeiten, in denen die meisten Menschen ihr Leben lang nicht aus ihrem Geburtsdorf herauskamen, bereisten sie ganz
Europa, normannische Bauhütten etwa arbeiteten in
Österreich und
Italien,
England und
Frankreich. Sie kamen mit unterschiedlichen Kulturen und Philosophien in Kontakt – und lernten wohl auch die Willkür absoluter Herrscher und Kirchenfürsten kennen. Sie schützten ihr Wissen vor Plagiatoren, und sich selbst vor dem misstrauischen Blick der Mächtigen, die in den Gelehrsamen seit jeher eine Gefahr sehen, auch und gerade wenn sie auf diese angewiesen sind. So wurden die Gespräche innerhalb dieser "Lodges" bald ebenso streng geheimgehalten, wie die alten Techniken der Steinbearbeitung, des Bogenbaus und der Anordnung besonderer Symbole.
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"Im 17. Jahrhundert wurden die handwerklichen Elemente in den Logen nach und nach verdrängt ", erzählt mein freimaurerischer Gesprächspartner und nippt an seinem Kaffee. Der Dreißigjährige Krieg hatte die Kirchen in eine schwere Krise gestürzt, die Dombauhütten hatten kaum neue Aufträge, dafür immer häufiger Mitglieder, die nur am Rande oder gar nicht mit der Arbeit am Bau vertraut waren. Maler und Bildhauer hatten seit jeher ihren Platz, es folgten Dichter, Musiker, Mathematiker, Astronomen, aber auch interessierte Adelige, Philosophen und Kaufmänner. Vor allem aufgeklärte. Denn Katholiken fanden gleichermaßen Aufnahme wie Protestanten und Juden. Die Fragen, die diskutiert wurden, drehten sich nicht mehr um den Bau von Kathedralen aus Stein, sondern um die Errichtung eines "Tempels der Humanität". "Ein wesentliches Element war – und ist –, dass in diesem Kreis das Unsagbare gesagt, das Undenkbare gedacht werden kann. Weil nichts davon nach außen getragen wird", so der Mann, der sich regelmäßig genau in diesem Kreis befindet. Zur "Arbeit", wie die wöchentlichen Treffen unter Freimaurern genannt werden. Klingt das, vor allem in die westlichen Wohlstandsdemokratien der Gegenwart verlegt, nicht nach Gesprächsrunden einer Selbsthilfegruppe? "Der Fokus liegt beim Zuhören", sagt der Freimaurer sanft, "aber ja. Die Brüder und Schwestern unterstützen mich darin, meine Gedanken zu entwickeln – ohne mich dabei zu kritisieren oder anzugreifen. Es geht ausschließlich um den Menschen – nicht darum, aktiv eine Veränderung der Gesellschaft zu planen oder herbeizuführen."
Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit!
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Und wie erklärt sich dann die Tatsache, dass der Schlachtruf der Französischen Revolution aus dreien der fünf Grundsätze der Freimaurerei bestand, dass der General der amerikanischen Revolution,
George Washington, Freimaurer war, ebenso wie
Simon Bolivar und praktisch sämtliche Revolutionäre
Südamerikas? "Diese Bewegungen fußen auf Gedanken, die in
Logen entwickelt wurden, ja", gibt der Freimaurer freimütig zu. "Aber sie waren keine Freimaurer-Revolutionen. Innerhalb der
Loge wird nicht politisch agitiert. Die Welt verändern? Ja, das ist ein Ziel – aber eben nur dadurch, sich selbst zu einem besseren Menschen zu machen und so zur Verbesserung der Gesellschaft beizutragen. Wenn der hier gewonnene Erkenntnisgewinn manche Brüder und Schwestern dazu bringt, etwas gegen bestehendes Unrecht zu tun, liegt das außerhalb der Kontrolle der
Loge." Scheint aber nicht verwunderlich ... In fast allen Ländern der Welt entwickelten sich die
Logen nach und nach zu Keimzellen der Demokratie. Den Grund beschreibt kaum jemand besser als der große österreichische Autor, Lyriker und Journalist
Alexander Giese:
Die Maurer treten ein für den Abbau von Vorurteilen, sie verwerfen den Klassen- und Rassenhass. Sie treten gegen die Anmaßung dogmatischer, fanatisierter Personen und Institutionen auf – aber nicht anders, als dass sie eben diese Fehlhaltungen bei sich selbst ändern wollen.
Kein Wunder, dass es im Lauf der Geschichte vor allem despotische Machthaber waren, die die Freimaurer fürchteten. Im Dritten Reich wurden Tausende von ihnen in Konzentrationslagern getötet. Und ebenso wenig verwunderlich, dass den Logen genau von dieser Seite Weltbeherrschungsgelüste, politische Verschwörungen, Mord und Verbindungen zu dubiosen Machtzentralen unterstellt wurden. Erstaunlich ist eher, wenn genau diese Gerüchte von naiven, selbsternannten Wächtern über die Freiheit aufgegriffen und in ihre Verschwörungstheorien eingebaut werden. Andererseits: Es gibt tatsächlich Machenschaften, in die prominente Freimaurer verwickelt sind, die nichts mit Toleranz und Demokratie oder Humanität zu tun haben. Alpe-Adria, Buwog, Skylink – in die sattesten österreichischen Wirtschaftsskandale der letzten Jahrzehnte waren auch Freimaurer verwickelt. Wie von Schmerzen geplagt, verzieht mein Gesprächspartner das Gesicht. "Was soll ich sagen?", antwortet der freundliche Freimaurer. "Wir prüfen, wir führen vor der Aufnahme viele Gespräche – aber auch wir können in keinen Menschen hineinschauen. Prinzipiell ist das gut. Nur leider sind es die Beweggründe mancher, sich uns anzuschließen, eben nicht ..." Die Alten Pflichten, das im Jahr 1723 niedergeschriebene Regelwerk der Freimaurerei untersagt die sogenannte Geschäftsmaurerei, also eben das Ausnutzen der Verbindungen für persönliche Profite, aufs Strengste. Was allerdings auch darauf hinweist, dass die Versuche einiger Brüder, genau das zu tun, nicht ganz neu sind ...
Angst vor dem Tod?
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Und wie ist das jetzt mit der Angst vor dem Tod? "Selbsterkenntnis hilft jedenfalls. Rituale und Symbole sind etwas sehr Wichtiges für den Menschen – auch wenn der Zauber, den wir da machen, für Außenstehende vielleicht befremdlich erscheinen würde." Aber was genau hat ihm nun diese Angst genommen? "Es geht darum, den Zyklus des Lebens symbolisch bis zum Ende und darüber hinaus zu durchlaufen. Der Rest ist ein Geheimnis, das nicht verraten, sondern nur erfahren werden kann …", sagt der Freimaurer ruhig lächelnd. Und sieht dabei eher gelassen als geheimnisvoll aus.
„Die Regeln der United Grand Lodge of England lassen die Aufnahme von Frauen nicht zu“, erklärt eine Freimaurerin, die unerkannt bleiben will, im Interview. „Argumentiert wird das mit Ablenkungen und etwaigen Konflikten, die unter den Brüdern entstehen könnten ...“, sagt sie augenzwinkernd. Sie gehört einer der liberalen Logen an, die sich am Regelwerk des französischen „Grand Orient de France“ orientieren. Die Ablehnung von Seiten der „Engländer“ geht so weit, dass ihren Mitgliedern sogar der Besuch einer liberalen Loge verboten ist. Diese Regeln sind für alle Logen unter dem „Dachverband“ der Grand Lodge of England, also auch die österreichische Großloge in der Rauhensteingasse, bindend. Dafür, dass es schon in alten Zeiten durchaus weibliche Freimaurer gab, spricht das sogenannte York-Manuskript aus dem Jahr 1693, in dem ausdrücklich festgehalten wird, wie „er oder sie“ ihren Freimaurerschwur zu halten hat. Abgesehen von der Geschlechterfrage sind allerdings auch die „englischen“ Logen tolerant, bei der Aufnahme wird kein Unterschied bezüglich Hautfarbe oder Religion gemacht. Die neuen Freimaurer schwören beim „Großen Baumeister der Welten“, unter dem jeder „seinen“ Gott oder auch ein naturwissenschaftliches Prinzip verstehen kann. Die englischen Logen schwören allerdings auf die Bibel – die liberalen meist auf ein Buch mit weißen Seiten ...
Prominente Freimaurer
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EDWIN "BUZZ" ALDRIN(1930) Im Jahr 1969 sorgte er für eine Kontroverse, weil er auf dem Mond eine Kommunionsfeier abhielt. In einem späteren Interview erklärte er: „Ich würde das nicht mehr tun. Denn wir sind im Namen der ganzen Menschheit auf dem Mond gelandet. Egal ob Christen, Juden, Muslime, Animisten, Agnostiker oder Atheisten.“
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JOSEPHINE BAKER(1906-1975) Nur auf den ersten Blick erstaunlich.
Baker war nicht nur eine extravagante Tänzerin, sondern auch Bürgerrechtlerin – und in der französischen
Resistance aktiv.
LOUIS ARMSTRONG (1901-1971) Wie viele Afroamerikaner fühlte sich Armstrong von den liberalen Werten und der egalitären Gesinnung der Freimaurer angezogen.
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MARK TWAIN(1835-1910) Schriftsteller, Frauenrechtler, Kämpfer gegen Rassenvorurteile. Vieles davon hat er sich nach Fehlern erst im Lauf seines Lebens erarbeitet. Ein großer Mann.
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NAT "KING" COLE(1919-1965) Auch als Star war er Rassismen und Angriffen des Ku Klux Klan ausgesetzt ...
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BUD ABBOTT(1897-1974) Der „kluge“ Partner von Costello. Einer der erfolgreichsten US-Komiker aller Zeiten.
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GEORGE WASHINGTON(1732-1799) Der General der amerikanischen Revolution gegen England und erste Präsident der USA war Freimaurer - wie sein Mitstreiter Benjamin Franklin und (mindestens) 13 andere US-Präsidenten, darunter Franklin D. Roosevelt.
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TELLY SAVALAS (1922-1994) Schauspieler, „Kojak“, Lollyfan, Philantrop.
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Sowohl Wolfgang Amadeus Mozart als auch sein Librettist Emanuel Schikaneder waren Logen-Brüder. Ihre Oper "Die Zauberflöte" (1791) gilt als eines der bedeutendsten vom freimaurerischen Gedankengut inspirierten Werke der Kunstgeschichte. Zu Mozarts Zeit war das Stück zwar ein Erfolg, das Publikum, das eine der damals beliebten Wiener Kasperl- und Zauberopern erwartete, zeigte sich allerdings vom Ernst der "freimaurerischen" Szenen um Sarastro und den "Tempel der Weisheit" einigermaßen irritiert...
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Wie eine eigene - letztendlich leider tragische - Oper liest sich die Lebensgeschichte eines Freundes und Freimaurer-Bruders des genialen Komponisten. Angelo Soliman (um 1721-1796) wurde als Kind aus Afrika verschleppt. Er kam als Sklave nach Europa, wurde, kaum zehnjährig, in Messina einer Marquise als Geschenk überreicht, die ihn als er 13 war an den Fürsten Johann Georg Christian von Lobkowitz weiterschenkte. Der machte ihn zum Soldaten und Hausdiener, Soliman rettete ihm in einer Schlacht das Leben, erlangte den Ruf eines ebenso tapferen wie intelligenten Mannes und kam an den Hof des Fürsten Wenzel von Liechtenstein.
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Wegen einer unerlaubten Heirat fiel er in Ungnade, wurde aber vom Nachfolger Wenzels wieder aufgenommen und zum Hausoffizier und Erzieher befördert. 1781 wurde er Mitglied der Freimaurerloge "Zur wahren Eintracht", war ein persönlicher Freund von
Ignaz von Born, dem späteren Großmeister - und von
Wolfgang Amadeus Mozart.
Ein Mann, der sich trotz aller Schicksalsschläge hohes Ansehen erarbeitete. Kaiser Franz II. ließ ihn dennoch nach seinem Tod ausstopfen und im Kaiserlichen Naturalienkabinett als "halbnackten Wilden" ausstellen. Die Proteste seiner Tochter Josephine und seiner Logen-brüder blieben erfolglos.
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Anlässlich der 300-Jahr-Feier der englischen Großloge läuft in der Nationalbibliothek bis anfang 2018 eine umfassende Ausstellung über Geschichte und Traditionen dieser Gemeinschaft. In Schloss Rosenau bei Zwettl befindet sich das ganze Jahr über ein Freimaurer-Museum.
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Wer sich persönlich für die Freimaurer interessiert, muss nicht unbedingt auf eine Einladung warten. Alle österreichischen Orden sind im Internet vertreten, einige halten Begegnungsabende ab, bei denen man mit Logenbrüdern diskutieren und sich informieren kann. Alles Wissenswerte gibt es unter:
www.freimaurer-wiki.de