Leben/Gesellschaft

Lehren aus der Umweltgeschichte

Seit 5000 Jahren stauen Menschen Flüsse auf. Die ersten Talsperren datieren aus dem Jahr 2500 v. Chr., ein Nilstaudamm bei Sadd-el Kafara südlich von Kairo, mit dessen Hilfe Wasser für die Versorgung und Bewässerung der Felder aufgespart werden sollte. Doch dieser frühe Versuch ging schief, kurz vor der Fertigstellung wurde die Nilsperre von einem Hochwasser vernichtet. Die Arbeiten wurden nicht mehr aufgenommen.

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Erst im frühen 20. Jahrhundert gelang es in den USA, Megatalsperren zu errichten, die dem Druck der Wassermassen standhielten. Der Mensch hatte die Natur unterworfen, zumindest in seiner Fantasie, eine Zäsur in der Umweltgeschichte, sagt Verena Winiwarter, Umwelthistorikerin. Davor mussten die Menschen die Vormachtstellung der Natur "nolens volens akzeptieren", nun konnten sie gigantische Bauwerke errichten, angefangen mit der ersten Assuan-Talsperre in Oberägypten 1905 und später, in den 1930er-Jahren, mit dem Hoover Dam, der den Colorado River zähmte.

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In ihrem Buch "Geschichte unserer Umwelt", einer von zwei Neuerscheinungen in Koautorenschaft mit dem Ökosystemforscher Hans-Rudolf Bork, unternimmt Winiwarter 60 Zeitreisen. In diesen beschreibt sie die Wechselwirkungen von Mensch und Natur. Penibel listet Österreichs Wissenschaftlerin des Jahres 2013 auf, dass das Lake Mead Reservoir des Colorado 4 Milliarden kWh "sauberen" Stroms liefert, sowie Wasser für die umliegenden Felder und außerdem Lebensraum für 250 Vogelarten. Die Tiere haben den Stausee als Natur aus zweiter Hand angenommen. Oberhalb der Talsperre.

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Ökologisch bedenklich sind die Zustände flussabwärts. Die ausbleibenden Hochwässer verändern Ökosysteme, im Golf von Kalifornien verschwanden viele Tierarten für immer. Der Colorado trocknete seit dem Bau immer wieder aus. Auch die sozialen Kosten von Megatalsperren seien hoch, sagt Winiwarter. Millionen Menschen weltweit müssen umgesiedelt werden. Winiwarter: "Ich würdige in meinem Buch sehr wohl, dass die Megatalsperren erneuerbare Energien gewinnen. Ich merke aber kritisch an, dass sie so viele Nebenwirkungen haben, dass man sich überlegen muss, ob so große Kraftwerke eine wirklich nachhaltige Option sind." Forscherin Verena Winiwarter versteht Umweltgeschichte als eine Weltgeschichte der Nebenwirkungen. "Der Blick in die Vergangenheit kann helfen, Fehler zu vermeiden, die schon einmal gemacht wurden."

Beispiele dafür: Selbst lange zurückliegende Dezimierung von Fischbeständen aus vorindustrieller Zeit wirken sich bis heute negativ aus (siehe Zusatzbericht unten). Und man lernt aus der Umweltgeschichte, dass gut gemeinte Naturschutzmaßnahmen zu neuen Interessenskonflikten führen. "Wenn der Mensch Verantwortung für die Natur übernimmt, holt er die Natur in die Gesellschaft herein." Die Fischtreppen am Kraftwerk Freudenau seien ein Versuch, die negativen ökologischen Auswirkungen der Donausperre abzumildern. "Aber was ist mit dem Biber, der unter Naturschutz steht und dem es gefällt, in den Fischkanälen seine Dämme zu bauen. Darf er das?"

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Eigentlich schon. Es ist schließlich nicht die Schuld des Bibers, dass sein Lebensraum zusammenschrumpft. Eine weitere Lehre aus der Umweltgeschichte: Meist ist es besser, große Eingriffe in die Natur zu vermeiden.

Ende der 1990er gab es laut der Weltkommission für Talsperren fast 900.000 Stauwerke. Ihre Reservoire bedeckten beinahe 1 Mio. Land. Etwa 45.000 Staumauern sind große Talsperren, ihre Dammkronen sind mindestens 15 Meter hoch. Giga-Bauwerke, die zum Größten zählen, was die Menschheit je gebaut hat. Für einige zu gigantisch. Denn mancherorts schlägt das Pendel in die Gegenrichtung aus. In den USA werden die ersten Talsperren wieder abgerissen, für den Naturschutz etwa der Glines Canyon Dam im Bundesstaat Washington. Die Regenbogenforellen kehren bereits in den Oberlauf des Elwha River zurück. Für Winiwarter: "Bemerkenswert."