Kitschvergnügt mit Kunst und Krempel
Von Andreas Bovelino
Kettenbrückengasse, Samstag, fünf Uhr Früh. Während Nachtschwärmer benommen in die U-Bahnsitze fallen, um verwirrt an irgendeiner Endstation wieder aufzuwachen, brechen ausgeschlafene Jäger und Sammler zu ihrem wöchentlichen Beutezug auf. Ihr Revier: der Flohmarkt am Naschmarkt. Die potenzielle Beute: alte Bilder, Bücher, Vasen, Schallplatten, Geschirr, Spiegel, Spielzeug, Schmuck. Und alte Socken, kaputte Radios, Porzellankitsch, dreckige Stofftiere und Ladekabel für Dinge, die längst wieder vergessen sind. Offizieller Verkaufsstart ist zwar 6.30 Uhr, aber echte Profis halten sich an den Lieblingssatz meines alten Geschichtsprofessors: Der frühe Vogel fängt den Wurm.
Der Stand von Miriam und Rene sieht aus wie die die Auflösung einer Studenten-WG
Und so wird schon im blauen Licht der Dämmerung gefeilscht und gehandelt, diskutiert und gegrantelt, gustiert und gekauft. Bis sich um 6 Uhr die ersten Sonnenstrahlen zwischen den Hütten des Naschmarkts durchzwängen, sind Wolfgang und Erna schon gut zwei Stunden bei der Arbeit. Seit 40 Jahren verkaufen sie ihre Ware hier, und als der Flohmarkt noch „Am Hof“ in der Innenstadt abgehalten wurde, hatten sie dort auch schon einen Stand. „Des hat sich irgendwie so ergeben“, sagt Wolfgang, ein rüstiger 80er, und lacht. Die beiden verkaufen hauptsächlich amerikanische Werbetafeln aus Blech und Nummerntafeln – „The Golden State“, „Aloha State“, „Sunshine State“ und so. In den 80ern waren die Teile ein echter Renner, heute hält sich der Andrang in Grenzen. „Aber wir kommen gern her, jeden Samstag, bei jedem Wetter. Es sind so viele schöne Erinnerungen für uns“, sagt die fünf Jahre jüngere Erna. Eine Amerika-Reise in den 70ern brachte die beiden auf die Idee mit den Nummerntafeln. Seitdem sind die USA-Fans praktisch jedes Jahr rübergeflogen, kennen die Highways von Florida bis Kalifornien, Louisiana bis zu den Carolinas wie ihre Westentasche. Was sie so an dem Land fasziniert? „Die unglaubliche Weite – und die amerikanische Art, diese positive Stimmung findet man in
Wien nicht“, sagt Erna ein wenig traurig. Sie weiß nicht, wie oft sie den weiten Flug noch machen können. Aber sie wollen auf jeden Fall noch einmal nach Florida, wo auch das Klima freundlich ist. Selbstverständlich haben sie dort auch einen Lieblingsflohmarkt: „Den Swap Shop in Fort Lauderdale“, sagt Wolfgang, „dort findet man wirklich witzige Sachen.“ – „Und die Leut sind so nett. Ganz anders wie da“, sagt Erna.
Miriams Leidenschaft
Aber nette Leut gibt’s natürlich überall. Wir treffen Miriam und René, die mit ihrem Stand, der ein wenig wirkt als würden sie eine Studenten-WG auflösen, genau den Geschmack des Publikums treffen. USB-Kabel, Chianti-Flaschen, Bücher, CDs – ein kunterbunter Mix. „Gegenstände einfach wegzuwerfen, weil man sie nicht mehr braucht, das mögen wir nicht“, sagt René, der wie Miriam schon als Kind von Flohmärkten begeistert war. „Ich mach das jetzt seit fünf Jahren – und es ist schon eine Leidenschaft von mir“, sagt Miriam. Ihre noch größere Leidenschaft: Sie studiert ökologische Landwirtschaft und möchte einen Bio-Bauernhof führen. Wenn man sieht, wie begeistert sie über Permakulturen im Alpenraum referiert, freut man sich schon darauf, bald auch Obst und Gemüse von ihr kaufen zu können.
Bilder auf alten Gemüsekisten – Szabolcz (links) und sein Partner produzieren ihre Ware selbst
Wir treffen Colinne aus London, die Modeschmuck verkauft und erzählt, bei „Liebesgeschichten & Heiratssachen“ schon mal im Fernsehen gewesen zu sein, weil ein Teilnehmer bei ihr einen Ring für seine Angebetete gekauft hat; den melancholischen CD-Verkäufer Rico, der versucht „eine aussterbende Gattung an den Mann zu bringen, für die heute niemand mehr Geld ausgeben will“. Den fröhlichen Ungarn Szabolcz, der mit einem Freund selbstgemachte Bilder auf Gemüsekisten verkauft. „In Budapest, Wien und Edinburgh“, wie er stolz betont. Franz, ein echter Flohmarkt-Profi nimmt uns mit zu einen Streifzug auf der Suche nach altem Blechspielzeug. „Jahrhundertwende. Aber die vorige“, erklärt er augenzwinkernd. Findet er hier tatsächlich unerkannte Perlen unter all dem kaputten alten Spielzeug? „Das ist wie Weihnachten – einmal im Jahr. Höchstens!“, sagt er lachend. „Aber ich treffe Freunde, wir tauschen uns aus, es ist ein angenehmer Zeitvertreib.“ Woher kommt seine Faszination an Spielzeug? „Ich komme aus einer Arbeiterfamilie, bei uns gab es kaum Spielzeug. Ich hatte Glück, durfte gute Schulen besuchen, hatte einen guten Job – vielleicht kompensiere ich da jetzt ein bissl was“, sagt Franz, der demnächst 70 wird. Wieso er so jung aussieht? „Das ist die Freude an der Jagd – die hält jung.“
"Hauts eich über d' Heisa!"
Was Erna meinte, als sie davon sprach, dass Amerikaner freundlicher seien, erleben wir allerdings auch. Die John-Lennon-Brille auf der spitzen Nase des Krimskrams-Händlers zittert nervös, bis er uns schließlich ein hysterisches „Haut’s eich über d’ Heisa!“ entgegenspuckt. „Frog an andern Trottel, Oaschloch!“ knurrt der Mann, der aussieht wie einst der freundliche Trödler Abraham. Gut gemeinte Wünsche und Ratschläge allesamt, aber kaum eine gute Ausgangslage für ein freundschaftliches Plauscherl über das Leben auf dem Flohmarkt.
Das tatsächlich faszinierend zu beobachten ist: „Da, gibst du zwei Euro, nimmst du Gitarre“, sagt ein dicker Mann zu einem dünnen. Der Pullunder des Dicken reicht nicht bis zum Bund seiner Cordhose und ein weißes Hemd quillt wie das vom Wind prall gefüllte Segel eines mittelalterlichen Handelsschiffs darunter hervor. Der Dünne nimmt die Gitarre und huscht davon. Mit einer erstaunlich eleganten Bewegung lässt der Dicke die Münzen in der Hosentasche verschwinden, während er sich mit der linken Pranke nachdenklich über seine Wangen mit ihren drahtbürstendicken Bartstoppeln streicht. Er hat keinen Stand, sieht auf die zu seinen Füßen liegenden Gegenstände. „Bitteschen, sehen die gute Messer!“, ruft er schließlich und bückt sich ächzend, um einen dürftig bestückten Messerblock aufzuheben.
Die USA-Fans Wolfgang und Erna sind hier, seit es den Flohmarkt gibt: seit 40 Jahren.
„Wos kost des Kistl?“ – „40 Euro. Mit Schlüssl.“ – „Und ohne Schlüssel?“ Ein müdes Lächeln des Antiquitätenverkäufers. Der Kunde begutachtet die alte Holzschatulle von allen Seiten, kneift die Augen zusammen, streicht mit den Fingern sanft über die Verzierungen. „Na guat, 35.“ – „40.“ – „Geh kumm, da hast zwa 20er, wennst ma fünfe zruckgibst!“ – „40.“ – „Geh bitte heast, gimma fünfe zruck!“ – „Na, das Kistl kost 40.“ Der Käufer knallt seine zwei 20er auf den Tisch und wünscht dem Verkäufer noch ein schönes Leben.
„Das is ja interessant“, sagt ein großer, etwa 30-jähriger Mann mit braunem Lockenkopf, der sich eine Juwelierlupe ins rechte Auge geklemmt hat und den Griff einer silbernen Schöpfkelle begutachtet. „Die Steuerpunze is gfälscht!“ – „Jo wenn, dann aber net von mir“, sagt der Verkäufer ein bissl nervös. „Na eh, das sagt ja keiner. Da wollt sich der Hersteller um die Steuer drücken. Schaun S', wie schlecht des A gmacht ist, des schaut aus wie ein griechisches Delta!“ Er nimmt die kleine Lupe ab. Seine Augen leuchten. Ein Jäger, der ein besonders scheues Tier entdeckt hat. Nein, er sei kein Historiker, erklärt er später bereitwillig, aber sammle Wiener Silber und „kennt sich halt ein bissl aus“. Warum hat er bei der Kelle nicht zugeschlagen? „Na ja, 50 Euro sind zu viel. Und Privatverkäufer sind meistens sehr stur. Ich geh normalerweise lieber zu Händlern – mit denen kann man eher handeln, das sagt ja schon der Name. Aber vielleicht ... schau ich ein bissl später nochmal vorbei.“
Rico handelt mit CDs. Ein hartes Geschäft
„Die Leute glauben, Musik müsse gratis sein. Für CDs will niemand mehr Geld ausgeben“, sagt Rico, der CD-Händler. Ob sein zweites Standbein ihn da rausreißt, ist mehr als fraglich: Wenn er keine CDs verkauft, handelt Rico mit Büchern ...