"Was kümmert mich das nächste Dorf"
Kürzlich jährte sich der ukrainische Unabhängigkeitstag bereits zum 21. Mal. Die Ukrainerin Inga, geboren im Jahr der Unabhängigkeit, studiert in Odessa Rechtswissenschaften und war als Stipendiatin beim europäischen Forum Alpbach in Tirol.
„In der
Ukraine läuft es derzeit nicht so gut", erzählt die 21-jährige. Ihren Nachnamen oder Foto will sie nicht veröffentlicht wissen – sie hat Angst, ihren Studienplatz zu verlieren. Von dem Gefühl der Freiheit, das sich in der Ukraine nach der Orangen Revolution im Winter 2004 breit machte, ist im Sommer 2012 wenig geblieben.
aufpassen, wem man was erzählt
„Österreich ist ein wunderbares, freies Land. In der Ukraine muss man aufpassen wem man was erzählt. Sämtliche Tageszeitungen werden nach wie vor von der Regierung kontrolliert, man hat es sehr schwer an unabhängige und objektive Informationen zu kommen", erzählt Inga, die ursprünglich aus der 350.000 Einwohnerstadt Winnyzja kommt. Sie ist froh, dass zumindest ein Gesetzesentwurf für Internetzensur nicht weiterverfolgt wurde. „Der Vorwand war, die Menschen vor Pornografie schützen zu wollen, letztendlich wäre das Gesetz aber sicher auch missbraucht worden um regierungskritische ukrainische aber auch internationale Websites zu sperren." Blankes Misstrauen gegenüber der eigenen Regierung, der eigenen Opposition, der gesamten politischen Elite.
Praktisch kein Gemeinschaftsleben
Die Rechtswissenschaftsstudentin, die 2013 ihren Master auf der Universität in Odessa machen wird, hält die politische Lage für äußerst angespannt. „Die Parteien sagen alle dasselbe. Jeden Tag kommen neue Programme, die aber letztlich nie umgesetzt werden." Oppositionsführerin Julia Timoschenko in Haft – es kümmert wenige. Politikverdrossenheit total. Und das Antreten eines Stars wie Witali Klitschko sei in europäischen Medien vielleicht ein Thema, in der Ukraine hat man aber nur wenig Interesse daran.
„Wir haben praktisch kein Gemeinschaftsleben", sinniert Inga. „Alle sind so damit beschäftigt für wenig Geld viel zu arbeiten, da bleibt keine Zeit für einen gesellschaftlichen Diskurs." Oder wie ein ukrainisches Sprichwort sagt: Ich hab mein Haus, meinen Garten, meine Familie, was kümmert es mich, was im nächsten Dorf passiert.
Der Zukunft sieht Inga negativ entgegen. „Wenn es so weitergeht, wird sich das Land bald in zwei Hälften spalten." Eine Spaltung in Landesteile, zwischen Generationen, zwischen Weltbildern. „Die eine Hälfte, die für eine Integration in Europa stehen und die anderen die sich wieder an Russland angliedern wollen."
Nikolai Atefie, Alpbach
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