Wander- und wunderbares Theater
Von Heinz Wagner
Vom Joe-Zawinul-Park durch etliche Höfe des Rabenhofes bis zum Abschluss im Gastgarten des Knusperhäuschens in der Schlachthausgasse wandern Schauspieler, Puppenspieler, Musiker und das Publikum, um die wichtigsten Szenen aus Jura Soyfers Stück "Die Botschaft von Astoria" mitzuerleben. Neben (dezenten) Aktualisierungen – die Stücke des 1939 im KZ Buchenwald umgekommenen Jura Soyfer, dessen 100. Geburtstag sich im Dezember jährt, sind im Kern immer erschreckend aktuell – haben die beiden beteiligten Theatergruppen (theaterfink und romanosvato) ihre Stärken eingebracht, die unter der Regie von Sandra Selimović zu einem wunderbaren Gesamtkunstwerk verwoben wurden: Aus Schau- und Puppenspiel, Musik, Gesang und Tanz über Luftgeschäfte, einen Staatsapparat, der keine Bürger braucht, sowie Heimat, die mehr/anderes ist, als solch ein abstraktes Unterdrückungsinstrument und die Frage/Suche danach, was Mensch-Sein ausmacht.
Ins Himmelblau die Rohstoffpreise steigen
Als holde Boten junger Konjunktur.
Nur eine Ware geht im Preis nicht mit
Und bleibt die billigste in jedem Land:
Das ist die Ausschussware "Mensch" genannt.
Jura Soyfer aus "Astoria", 1937
Auf Soyfers Spuren
Susita Fink, geniale Puppenspielerin hier in der Rolle der Goldenen Sonne von Astoria, ist Jura-Soyfer-Expertin und hatte schon vor Jahren das Stationentheater "Der Lechner Edi schaut ins Paradies" ebenfalls im 3. Wiener Gemeindebezirk organisiert. Hier hatte Soyfer einige Jahre gelebt und im Gymnasium Hagenmüllergasse maturiert.
Sandra Selimović, Vollblut-Theaterfrau und nach jahrelangem Schauspiel seit einigen Monaten auch Regisseurin, lässt Soyfers Vagabunden von Roma spielen. Die Kunstsprache Astorisch wird hier zu echtem Romanes, die fiktive Hymne des ausgedachten Königreichs zur weltweiten Hymne der Roma "Gelem, gelem".
(Finanz-)Blase
Astoria ist sozusagen Utopia. Keine Arbeitslosen, keine Kranken, keine Verbrechen, keine Umweltverschmutzung... das Traumland schlechthin. Und warum? Weil es gar nicht existiert. Nur ausgedacht. Eine schräge Millionärin, Gräfin Gwendolyn, will ihrem Ehemann, dem pensionierten Staatssekretär Graf Luitpold, einen Staat schenken. Da trifft sie auf den armen Herrn Hupka, der schon versuchte, den kalten Winter zu überstehen, indem er seine Ähnlichkeit mit einem Schwerverbrecher ausnützen wollte, um im Gefängnis Kost und Quartier zu finden.
Er dient sich ihr als erster – und einziger – Staatsbürger an. Insignien von Stempeln, Pässen bis zur Hymne, nette Zeitungsmeldungen und ein Finanzwesen werden ins Leben gerufen. Aus der fiktiven wird eine Finanzblase, weil der "Staat" auch geruch- und geschmackloses, kurz ätherisches Erdöl "produziert". Die Spekulation verschafft echte Geldeinkünfte!
Medienkritik
Doch echtem menschlichen Zustrom verschließt sich der neue "Staat" durch immer neue, schnell sozusagen aus dem Hut gezauberte Einreisebestimmungen. Da hilft selbst der Totenschein vom Hamster oder der Impfschein vom Friseur nichts mehr. Hupka verleugnet selbst seine Tochter als die nach Astoria will.
Die Blase verkommt derart zur scheinbaren Realität, dass ein Journalist, im Kaffeehaus sitzend, eine "Live"-Reportage durchgibt. Als Hupka, der genug vom Schwindel hat, der Zeitung die Wahrheit verklickern will, wird ihm beschieden, er könne ja ein mehrseitiges Inserat mit seiner Ansage kaufen.
Hervorragendes Ensemble
Neben ausgezeichneten Profis - Andrea Tizinai als Hupka, Simonida Jovanović als seine Tochter Pistoletta, Melanie Waldbauer als Rosa, die eine Gänsehaut erzeugende Wahnsinnsnummer auf dem Spielplatz singt, Saša Barbul als ihren Lover Paul und dem extrem wandlungsfähigen Ümit Derin in vielen kleinen, exakt gesetzten Rollen, aber auch Phillip Staudinger in ebenfalls einigen Kleinrollen - landete die Regisseurin auf der Suche nach authentischen Spielern mit dem Engagement von Stefka Böhme als Hortensia einen absoluten Glückstreffer. Die bulgarische Romni hatte noch nie zuvor Theater gespielt, wirkt in ihren kurzen Szenen aber genial.
Nicht vergessen werden darf das mitreißende Musikertrio Klok. Hervorragend auch die Puppenspieler – Susita Fink schlüpft in mehrere der märchenhaften Astoria-Figuren, aber auch Claudia Hisberger und vor allem Walter Kukla als Gräfin und Graf überzeugen.
INFOS zum Stationentheater
DIE BOTSCHAFT VON ASTORIA
Lil katar e Astorija
von Jura Soyfer
Zweisprachiges (vor allem Deutsch, aber auch Romanes) Stationentheater mit Schauspiel, Puppenspiel und Gipsy Music.
Schauspiel: Saša Barbul, Stefka Böhme, Ümit Derin, Simonida Jovanović, Phillip Staudinger, Andrea Tiziani, Melanie Waldbauer
Puppenspiel: Susita Fink, Claudia Hisberger, Walter Kukla
Musik: Trio Klok
Kostüm: Sandra Sekanina
Puppenbau: theaterfink
Konzept & Produktion: Simonida Jovanović & Susita Fink
Ort-Konzept & Dramaturgie: Susita Fink
Regie: Sandra Selimović
Eine Produktion von theaterfink / Wien und dem Theaterverein Romano Svato
Vorstellungen: 13., 14., 15. September, jeweils 19 Uhr
Treffpunkt: 1030 Wien; Klopsteinplatz / Joe-Zawinul-Park
Preis für "Einreisevisa" (= Kartenpreis): € 15 (Ermäßigter Eintrittspreis für Gruppen ab 10 Personen: á € 13)
Kartenreservierungen (bei ungewissem Wetter Auskunft bis 18 Uhr)unter der „Botschaft von Astoria": Telefon: 0680/126 53 86