Lustvoll lernen mit Minecraft, QR-Codes und Maßband
Von Heinz Wagner
Knapp nach 8 Uhr, Michael Fleischhacker kommt in die 2a der NMS Kinzerplatz ( Wien-Floridsdorf) und stellt einen Aktenkoffer auf den Lehrertisch. Schülerinnen und Schüler haben vor sich einen Zettel: „Mission impossible“. Darunter ein QR-Code. Bevor sie den mit ihren Smartphones einscannen, muss der Lehrer aber noch mit seinem Handy und Laptop Hotspots einrichten – nicht jede Schule ist bestens ausgerüstet ;(
Code führt zu Rechenaufgabe...
Der digitale Code führt zu einem kleinen Video. Der Lehrer erscheint als klotzige Figur in einer kleinen Minecraft-Welt und erklärt die Aufgabe: 5 Stationen übers Schulhaus verteilt – dort die jeweiligen QR-Codes scannen. Diese führen zu (mathematischen) Aufgaben. Die Ziffern der Ergebnisse gilt es händisch in einem großen – fast leeren – QR-Feld anzumalen. Der neue Code führt wieder zu einem Video – in dem die Ziffern für das Nummernschloss des Aktenkoffers „verraten“ werden. Die Agentinnen und Agenten wuseln – oft zu zweit oder dritt – durchs Haus. Sandra und Laura scannen den Code beim Tischtennis-Tisch. Die sich daraus ergebende Aufgabe: Der Agent knackt in 35 Minuten die Nummernschlösser von fünf Tresoren. Wie viel Zeit braucht er für zwei?
Abmessen
Übrigens Tischtennis: An einem der Tische in der Klasse sitzen Andrea, Daniela und Ahmed und berechnen den Umfang der grünen Platte – sowohl in Zentimetern als auch dann dezimal umgewandelt in Metern mit Kommastelle, wie sie von Claudia Lang, der Sonderschulpädagogin in dieser Integrationsklasse, gebeten werden. Zuvor waren sie mit Maßband, Bleistift und Block durchs Schulhaus gedüst. Andrea und Daniela maßen Länge und Breite einer Pinnwand an einer Gang-Mauer ab, später war die Platte des Tischtennis-Tisches dran. Und sie haben ihren Spaß dabei. Allein dieser kleine „Trick“, erst selber etwas abmessen zu dürfen/müssen, macht die Rechnung viel spannender als hätten sie die reine Längen- und Breiten-Angaben bekommen.
Auch die anderen freuen sich daran, die jeweiligen Rechnungen durchzuführen, um letztlich ihre Mission sehr wohl zu erfüllen. Thomas, Ahmed und Ali sind die ersten, die das Nummernschloss knacken. Auf dem Gang – übrigens wieder beim Tischtennis-Tisch – lässt sie Co-Lehrer (eine Stunde wöchentlich) Kenan Ekıçi (Ekici) in den versperrt gewesenen – und danach erneut versperrten Schätzen zugreifen zu dürfen – ein paar saure und süße Naschereien.
Dreiecke aus Trinkhalmen und Minecraft-Blöcken
Gegen Ende der Stunde wird eine Konstruktions-Hausübung durchgegangen. Aufgabe war es, drei verschiedene Dreiecke (rechteckig, stumpf, bzw. spitzwinkelig) zu – nein, nicht einfach zu zeichnen, sondern irgendwie darzustellen. Eingeblendet werden die verschiedensten Lösungen, die die Schülerinnen und Schüler dem Lehrer via WhatsApp geschickt haben. Da poppt eine Version auf, in der die drei Dreiecke mit bunten Trinkhalmen gelegt wurden, eine andere ist ein händisch nachgezeichneter YouTube-Screenshot, etliche wurden mit Minecraft-Blöcken in dieser Welt gebaut. „Das sind ja keine Dreiecke“, merkt ein Schüler bei einer Lösung an. Und richtig, da wurden zwar die Winkel gebaut, aber die dritte Seite fehlt bei einer der Figuren.
Schüler als Lehrer
Apropos Minecraft. „Da bin ich selbst nur Lehrling“, gesteht der Lehrer und führt den Kinder-KURIER mit Flo und Dominik aus der 4b zusammen. Ersterer öffnet die komplexe „Block“-Welt, die er gemeinsam mit seinem Kollegen programmiert hat – auch mit Elementen und Finessen, „die es eigentlich in der normalen Version nicht gibt“, wie Dominik verrät. Die beiden Programmiergenies – der eine spielt seit der Volksschule und der andere seit ungefähr drei Jahren Minecraft – haben unheimliche unterirdische Gänge, Hindernissen, Gärten usw. digital gebaut. An einigen Stellen sind Tafeln an den Steinen befestigt, die zu Aufgaben führen. Wenn du’s nicht schaffst, stirbst du im Spiel und musst von vorn wieder beginnen. Löst du die Bruchrechnungen, kommst du ein Level weiter.
In Freistunden in der Schule, vor allem aber zu Hause haben die beiden Jungs – der eine wird in die Chemie-HTL gehen, der andere sucht eine Lehrstelle als IT-Techniker oder Mechatroniker – daran gearbeitet. Das hat so viele Spaß gemacht, dass sie gar nicht mehr wissen, wie viele Arbeitsstunden da drin stecken. Dazwischen habe sie immer wieder mit dem Lehrer Skype-Konferenzen abgehalten, um sich über die zu stellenden Aufgaben zu unterhalten. Stolz hakt der ein, den einen oder anderen Abschnitt schon auch beigetragen zu haben. „Aber da bin ich echt nur Lehrling der beiden!“
Nächster Schritt: Florian und Dominik übernehmen die Aufgaben von Teamleadern, bilden eigene kleine Gruppen mit weiteren interessierten Jugendlichen, die weitere Welten mit Aufgaben für alle möglichen Gegenstände in Minecraft-Welten bauen. Der Lehrer wird zum Coach. Das kann dann in der Minecraft-Education-Version (von Microsoft) erfolgen. Die zuvor besprochene Bruchrechen-Welt ist in Java programmiert, das sich nicht in die genannte Version importieren lässt. Derzeit wird die Mathewelt per USB-Stick weitergereicht...
Mission possible
Nicht nur die Schüler_innen der 2a arbeiten mit Feuereifer daran, dass die Mission ganz und gar nicht impossible, sondern sehr wohl möglich zu lösen ist. Das engagierte Lehrer_innen-Team (in dieser Klasse auch noch drei Stunden wöchentlich Olga Vasyukhina) der „Brennpunkt“-Schule setzt alle möglichen Mittel ein – sei es digital oder analog -, um den Kindern und Jugendlichen nicht nur Wissen, sondern vor allem ihre natürlich Neugier (wieder) entdecken zu lassen, um ihnen so Freude am Lernen (erneut) zu vermitteln.
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