25 aus 170 Texten über "anders anders"
Von Heinz Wagner
Jeder ist anders anders“ – so lautete das Motto des dritten Wiener Jugendliteraturpreises. Rund 170 Jugendliche – nicht nur aus Wiener Schulen – haben Texte dafür eingesandt. Via Online-Voting und Fachjury waren zunächst die 25 besten Texte ausgewählt worden. Ihre Autoren konnten in den Genuss von Workshops mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern kommen.
Wie schon bei den beiden vorangegangenen Gala-Preisverleihungen im burgtheater-Kasino am Schwarzenbergplatz, lasen bekannte Schauspieler der Burg Auszüge aus diesen Final-Texten, die allesamt hervorragend waren und durch die professionelle Präsentation nochmals gewannen.
Gespräche mit rund einem Dutzend der besten jungen Autoren findest du weiter unten.
Der Dreh- und Angelpunkt für ihre – letztlich siegreiche – Geschichte „Malkasten“ fiel Melina Weger in der Schule ein, „im Zeichnen, da fiel mein Blick auf den Malkasten und alle Farben sind ja anders. Auch für fast jeden bedeutet sogar dieselbe Farbe etwas anderes“ nennt sie dem Kinder-KURIER gegenüber das Grundmotiv ihrer Geschichte. Mit dieser gewann sie den dritten Wiener Jugendliteraturpreis – und somit den metallenen Wanderpokal in Form einer Schriftrolle, in den nun ihr Name eingraviert wurde.
"Malkasten" von Melina Weger hat gewonnen. Weil Farben in diesem Text auf berührende Weise über die Unaustauschbarkeit jedes Menschen erzählen. Farbe ist eine subjektive visuelle Wahrnehmung, hervorgerufen durch Licht. Und wie Farben leuchten, so kann es auch ein Text. Diese Analogie ist einleuchtend. Farben oszillieren. Wie dieser Text.
„Als Farbe weißt du genau, wer du bist und was du zu tun hast. Du wirst zwar nicht jedem gefallen, und nicht jeder wird dich schön finden. Aber es wird immer jemanden geben, dessen Lieblingsfarbe du bist.“ Dieser Satz ist keine Definition laut DIN, sondern von Melina Weger“. Die Jury-Formulierung „aus der Feder“ schenken wir uns angesichts von Texten Jugendlicher, die diese am Computer schreiben.
Ziemlich heftig beginnt Johannes Lang seine Geschichte „Zeit“: Erzähle mir deine Geschichte, bittet der Zugfahrer den Zug. Zeige mir, wer du bist. Und der Zug erzählt. Der Zug erzählt vom Tod. Ich, ein Passagier. Der Schaffner. Dunkelblaues Sakko, schwarze Weste, rotkarierte Krawatte. Zwischen zwei Waggons. Ratatatatata. Ihre Fahrkarte bitte. Einen Moment… warten Sie eine Sekunde. Die Uhr tickt. Was? Warten Sie, hier drinnen ist es so laut. Ihr Ticket läuft bald ab. Das kann nicht sein. Sie werden in einer Minute und neunzehn Sekunden sterben. Warum denn das?Schschschschschschsch…“
Warum? Letztlich keine Antwort. Genau so wenig wie, wer oder was da sterben würde. … Der erzählende „Zugfahrer“ hört zu. Den Geschichten des Zuges, jenen von Mitreisenden. Ganz unterschiedlichen in verschiedenen Abteilen…
Genau das bewog die Jury, den Autor mit Platz 2 auszuzeichnen mit der Begründung, „dass es in dem Text nicht in erster Linie um jemanden geht, der anders ist, sondern dass die Art zu schreiben, der Aufbau des Textes sowie die verschiedenen Sichtweisen, aus denen erzählt wird, an sich schon sehr anders, sehr besonders sind. Hier wird gekonnt mit unterschiedlichen Formen und Tonlagen gespielt!“
„Die Inspiration“, so der Autor zum KiKu „ist mir bei einer Klassenreise nach Rom gekommen. So ein Zug verbindet viele verschiedene Geschichten – der Mitreisenden, von Leben, Tod, Liebe… und doch sind irgendwie alle zumindest für eine Zeitlang verbunden.“ Aus diesen Grundgedanken baute Lang die Story mit vielen kleinen/großen Geschichten und einem über eine halbe A4-Seite gehenden urur-langen Schlusssatz, der diese Verbindungsgedanken noch dazu in ein ganz spannendes Ende münden lässt: „….auf der Suche nach der Zeit findet er das Jetzt.“
Der Autor schreibt „schon sehr lange, schon als ich klein war, hat es mir großen Spaß gemacht, Geschichten zu erfinden, mit Sprache und Wörtern zu spielen“.
Weil sie oft zwischen Gräbern spaziere, sei ihr die Idee zu ihrer Geschichte eingefallen, erzählt Sophie Schmidt dem KiKu. Ihr Text handelt von einem Kind, das im Alter von zehn Jahren aus Dresden flüchten kann und 20 Jahre später, nach dem Krieg, auf dem Friedhof nach Spuren der Kindheit sucht und zufällig eine überlebende Verwandte trifft.
Während fast alle Finalisten das Bewerbsmotto in Begegnungen unterschiedlicher Menschen verpackten, packte Selina Teichmann „In Scherben“ in eine Hauptfigur „mit gespaltener Persönlichkeit“. Seit ihrer Volksschulzeit schreibt sie schon Geschichten, verrät sie dem KiKu. „Bei dem Bewerb hab ich mir nach der Vorrunde gedacht, ich probier einmal, wie anders anders in einem selber funktionieren könnte.“
Sonst Lieder und Gedichte
Sophia will beim Begräbnis ihrer Oma allein mit ihr in der Aufbahrungshalle sein. Diese Geschichte – in prosa geschrieben – verwob Clara Walla in „Der Gleichmacher“ mit Gedichtzeilen rund um Romeo & Julia. „Normalerweise schreibe ich auch Lieder und Gedichte, drum hab ich wenigstens eine Teil des Textes in dieser Form verfasst“. Die Jugendliche, die als eine von wenigen Schüler_innen Altgriechisch statt einer weiteren lebenden Fremdsprache wählte, faszinierte unter anderem das Wort nekros für tot. Bei Julia ortet sie einen Hang zur „Nekrophilie“, zur Liebe am Tod, der letztlich alle gleich macht.
Luftig
„In der vierten Klasse Volksschule habe ich schon Geschichten geschrieben, dann hab ich aufgehört und erst wieder für diesen Literaturbewerb angefangen was zu schreiben“, meint Maximiliane Dozler zum Kinder-KURIER. Fliegen und Freiheit „kam mir in den Sinn und so hatte ich dann bald die Überschrift für meinen Text: Wer in die Höhe will, muss Ballast abwerfen“.
Vergiftete Luft einzuatmen oder zu ersticken – diese alternative setzt Matthias Mayer an den Endpunkt seiner Geschichte „Luft holen“. „Beim Gehen über die Baustelle des Hauptbahnhofes hab ich mich geärgert, das hab ich dann einmal in eine Hausübung geschrieben und diesen Text auch für den Bewerb eingeschickt.“
Sonderpreis für andere Erstsprache
Schon immer anders
In „Du warst schon immer anders“ stellt Ayça Uğuz eine literarische Brücke zur Herkunft ihrer Familie aus der Türkei her – zu ihrem sie sehr beeindruckenden Großvater: „Du warst schon immer anders. Obwohl du kaum Bildung genossen hattest, kanntest du viele schlaue Lebensweisheiten, die du uns weitergabst. Du hattest immer die passenden Antworten auf meine Fragen und die passenden Erklärungen für alles, was mich interessierte.“ Schreiben abseits der Schule „mach ich jetzt wieder seit zwei Jahren. Viel früher hab ich das auch schon gemacht. In der Volksschule habe ich oft Geschichten erfunden. Wenn ich schreibe, dann hab ich meistens entweder einen Anfang oder ein Ende, das mir einfällt. Und dann beginne ich drauflos zu schreiben – meistens auf Deutsch.“
Von Köhlmaier inspiriert
Ein Unfall in den zwei Menschen durch einen unglücklichen Zufall verwickelt sind, der Tod kommt, hat auf seinem Arbeitsplan aber, nur eine Person mitzunehmen. Und verwickelt damit die beiden in eine Diskussion, wer überleben soll. Im Laufe der Debatte wendet sich das Blatt. Währen in „Am Scheideweg“ Oliver Wittich Frank und Tina erst darum ringen lässt, zu argumentieren, dass genau sie bzw. er überleben müsste, wollen sie dieses Recht danach der/dem jeweils anderen zukommen lassen. Der Fünftplatzierte des Bewerbs gesteht dem KiKu gegenüber ein, „Meine Anregung hab ich von der Geschichte „Sunrise“ von Michael Köhlmaier.“
"Platz für eigene Erklärungen lassen"
Ein ungewöhnliches Bild für ihre anders anders-Geschichte findet Lena Keresztes im Text „Regenschirme“: „Bei mir ist das anders, ich bin ich und in meinem Leben gibt es Regen. Es regnet oft, aber ich ertrage das lieber, als mir eine regenfreie Realität vorzugaukeln“… argumentiert sie gegen die Überlegungen der Schlange von Menschen, die zu diesem Hilfsmittel greifen.
Die Idee kam der jungen Autorin jedoch nicht bei einem Regen, „sondern zu Hause beim Telefonieren“, verrät sie dem KiKu. „ich hab ein Bild vor mir gesehen mit –zig-Tausenden Menschen bei Regen vor dem Big Ben in London. Und der Regenschirm schien mit als die perfekte Metapher. Ich wollte auch gar nicht so direkt und viel vom anders-sein schreiben, jede und jeder, der das liest, soll ihre oder seine Geschichte finden, sich eigene Gedanken machen. Ich will den Leuten nicht alles erklären, ich will ja auch bei einem Text selber nachdenken.“
Keresztes landete „schon einmal mit neun Jahren unter den Besten bei einem Bewerb der Literaturwerkstatt“.
Nicht abstempeln
Sonst schreibe sie „eher Gedichte“, meinte Simone Müller zum KiKu, die mit „ich wäre gern ein indischer Elefant“ eine recht schräge, bunte, fast so etwas wie eine „ver-rückte“ Geschichte verfasste: „Sie hat clownrote Haare. Der auf der gegenüberliegenden Straßenseite kann doch auch nicht normal sein mit seiner schlangenhautengen Hose. Sie trägt gerne Leinenhosen, ihre Freundin möchte verfilzte Haarsträhnen in Rastafariart. Der Kreative studiert Mathematik, die Intelligente bricht die Schule ab. Er wählt eine Holzfliege, sie tanzt mit Waldviertler-Schuhen ein...“
„Ich kann nicht auf Befehl schreiben“, meinte die Autorin. „Ich war krank, hatte Zeit, ließ meinen Gedanken freien Lauf, wollte nur zeigen, dass anders-Sein vor allem eine Frage der Sichtweise ist und Menschen nur aufgrund ihres Äußeren viel zu oft abgestempelt werden.“
"Seit ich reden kann"
Laura Fischer verpackt in „Buttersterne“ eine harte Story eines Überfalls von Soldaten auf Frauen. Und doch nimmt sie eine andere Wendung. „Ich wollte eine Geschichte schreiben, wie sie wahrscheinlich nicht in jeder Zeitung stehen könnte“, erläutert sie dem Kinder-KURIER. Geschichten ausdenken und schreiben mache sie „schon seit ich reden kann, am Anfang hab ich sie sozusagen angesagt und ein Erwachsener hat sie für mich geschrieben. Meistens schreibe ich aber nur für mich, nur im Vorjahr, da hab ich auch schon einen Text für diesen Wettbewerb eingereicht.“