Leben/Gesellschaft

Wien hat seit 30 Jahren eine jüdische Schule

Die Räume sind hell, keine Schmiererei "ziert" die Klotür, fröhliche Kinder huschen durch den Gang: Rund 500 Kinder zwischen 18 Monaten und 18 Jahren werden täglich auf dem ZPC-Bildungscampus betreut. Krippe, Kindergarten, Volksschule mit Hort und AHS sind hier zu einem Campus zusammengefasst. Die Besonderheit an diesem Haus: Als Schule der Israelitischen Kultusgemeinde wird sie nur von jüdischen Kindern und Jugendlichen besucht. Wer das Gebäude betritt, dem fällt sofort auf, dass hier jeder Bub eine Kippa trägt. Eine bunte Mischung von Muttersprachen zeichnet den Alltag aus, rund 80 Prozent der Schüler haben nicht Deutsch als Muttersprache. Um so wichtiger, dass hier von klein auf Deutsch gesprochen wird. Erste lebende Fremdsprache ist nicht Englisch, sondern Hebräisch. Wer diese Sprache schon fließend spricht und Probleme mit dem Deutschen hat, bekommt zusätzliche Hilfe - bishin zu Einzelunterricht.

Gelernt wird hier das Gleiche wie in jeder anderen österreichischen Schule auch. Nur Weihnachtsjause oder Ostereiverstecken gibt es hier nicht. Stattdessen richtet sich der Kalender nach den jüdischen Feiertagen. So wird statt Nikolo und Weihnachten das Lichterfest Chanuka gefeiert oder statt Ostern das Pessachfest. Die Kinder lernen auch die jüdischen Gebete und sprechen täglich das 'Schma Israel', vergleichbar dem Vaterunser.

Ab der 6. Schulstufe haben die Jugendlichen neben Hebräisch und Religion auch Unterricht in jüdischer Geschichte. Als jüdischer Leiter ist Rimon Zilberg für den Inhalt zuständig: „Die Kinder lernen wie im Geschichtsunterricht von den Anfängen des jüdischen Volkes. Wir fangen nicht bei Adam an, sondern erst bei Abraham", meint er augenzwinkernd. "Anders als in Religion geht es um den wissenschaftlichen Zugang zu dem Thema, um die historischen Zusammenhänge und natürlich um die wichtigen Persönlichkeiten der Geschichte. Und die gibt es bis heute.“

Geschichte lernen könnten die Jugendlichen auch im benachbarten Altersheim der jüdischen Gemeinde. Gemeinsam mit den Senioren machen die Kinder regelmäßig Projekte, vom Kunstatelier und den Chorproben bis hin zum gemeinsamen Feiern der jüdischen Feiertage.

30 Jahr-Feier

Heuer feiert die Schule in Wien-Leopoldstadt ihren 30. Geburtstag, der mit einem Festakt in der Synagoge der Schule begangen wurde: "In Zeiten des steigenden Antisemitismus ist es so wichtig, dass Kinder ein solides jüdisches Selbstbewusstsein bekommen. Und das ist es auch, was diese Schule ausmacht", erklärte einer der Gründerväter und Ehrenpräsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Ariel Muzicant. Mit dem Vorhaben, Kindern Selbstbewusstsein und profundes jüdisches Wissen zu vermitteln, wie man es selbst nach dem Zweiten Weltkrieg nicht bekommen habe, habe man in den 1970er-Jahren über die Gründung der Schule nachzudenken begonnen.

Inzwischen würden rund 60 Prozent der Kinder der Mitglieder der IKG (eine Mitgliedschaft ist Pflicht für die Aufnahme in die Schule) die ZPC besuchen. Aber nicht nur die Kinder selbst, auch die Familien nutzen den Campus, wo auch das Sportzentrum Hakoah und das Elternheim Maimonides-Zentrum untergebracht sind. "Das ist in Europa beispiellos", meinte der Präsident der IKG, Oskar Deutsch. Projekte mit anderen Schulen sollen die Offenheit nach außen und das gegenseitige Verständnis sicherstellen.

Zudem sei die ZPC das "beste Beispiel für gelungene Integration", meinte Deutsch - denn für Kinder mit nicht deutscher Muttersprache gibt es zusätzliche Förderstunden. Auch Oberrabbiner Chaim Eisenberg lobte die Einrichtung: "Die eigentliche Probe hat die Schule bestanden, weil die Frau Oberrabbiner entschieden hat, alle ihre Kinder in diese Schule zu schicken", schmunzelte er.

Gutes Vorbild

"Die ZPC ist eine sehr wichtige Schule für und in Wien", sagte Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl (SPÖ). Einerseits aus politischen, aber auch aus gesellschaftspolitischen und pädagogischen Gründen. Zudem sei die Schule "Teil der Erinnerungskultur" Wiens und mit ihrer Mehrsprachigkeit und Mittelschulform ein "pädagogisches Vorzeigeprojekt".

Auch Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) lobte das "Biotop" des schulischen Angebots. Es sein ein „gutes Vorbild für andere Schulen“. Ihre Vorstellung nach sanften Übergängen vom Kindergarten in die Volksschule und später in die AHS wird hier seit Beginn gelebt. „Wir haben inzwischen Gruppenpartnerschaften zwischen je einer Krippe und einer Kindergartengruppe“, erklärt Kindergartenleiterin Petra Kuba. „Schon im Kindergarten können sie Kinder sich spielerisch mit Buchstaben beschäftigen. Und in unserem Vorschul-Programm kommen die Kinder schon mit der Schule in Berührung.“ Auch zwischen der Volksschule und der AHS, die als Neue Wiener Mittelschule geführt wird, liegt nur ein Stockwerk. Außerdem teilen sich die Schüler einen Pausengarten. So findet ein ständiger Austausch zwischen den Jahrgängen statt. Viele Kinder haben auch Geschwister in anderen Schulstufen.

Heinisch-Hosek betonte auch, dass "wir eine selbstbewusste Jugend haben wollen, die gewappnet und gerüstet gegen den steigenden Antisemitismus ist". Für Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) ist die Schule der Kultusgemeinde ebenfalls ein Beweis dafür, wie man politisch genutzten Feindbildern entgegentreten könne. Das sei - wie der Fall von Siegfried Kampl zeige - leider immer noch notwendig. "Wien hat nicht nur eine jüdische Vergangenheit, sondern auch eine jüdische Geschichte und diese Schule ist Teil davon", so der Stadtrat.

Erste Schule in der Casellezgasse

Der Grundstein für die ZPC wurde eigentlich bereits 1919 gelegt, als Oberrabbiner Zwei Perez Chajes die Schule gründete. Bereits 1923 übersiedelte die Einrichtung in die Castellezgasse, wo 1938 gerade noch der letzte Maturajahrgang abschließen konnte, bevor die Nationalsozialisten 1939 die Schule endgültig schlossen. Ende der 1970er-Jahre dachte die IKG dann über die Neugründung nach. Zunächst wurden Volksschule und Kindergarten in der Seitenstettengasse untergebracht.

1984 wurde schließlich die Schule an ihrem ursprünglichen Standort in der Castellezgasse feierlich eröffnet. 1992 maturierte der erste Jahrgang seit 1938 an einer jüdischen Schule. Mit den zunehmenden Schülerzahlen wurde auch der Platz langsam eng - nach zwei Aus- und Zubauten erfolgte schließlich der Neubau an der neuen Adresse Simon-Wiesenthal-Gasse 2. 2008 war die Übersiedlung auf den Bildungscampus abgeschlossen. Als erste lebende Fremdsprache wird neben Englisch auch Hebräisch gelehrt, Schüler müssen in diesem Fach auch die Matura ablegen. Zudem gibt es ein Unterrichtsfach, das sich mit jüdischer Geschichte befasst.