Leben/Gesellschaft

Politische Bildung in der Fankurve

Ein Ball, ein Fest. Wenn von Fußball die Rede ist, schwingt stets ein Hauch Sozialromantik mit. Das Spiel würde auf magische Weise Menschen unterschiedlicher Kulturen und Herkunft vereinen. Ja, Fußball hat viel Verbindendes. Aber er ist kein Wundermittel und birgt nach wie vor Trennendes. Homophobie, Sexismus, Rassismus, Menschenfeindlichkeit und Gewalt gehören ebenso zu diesem Sport wie Fangesänge und Glücksgefühle. Aktuelles Beispiel am Rande: die Sexismus-Debatte rund um Claudia Neumann - die erste Frau, die ein Fußball-Europameisterschaftsspiel in Frankreich für das ZDF kommentierte. Und sich anschließend einem Shitstorm ausgesetzt sah. Weil Frauen im Fußball in den Augen mancher nach wie vor die Rote Karte verdienen.

Die Stadionschule

Alle Inhalte anzeigen
Gerade deshalb scheint sich der Ballsport als perfekte Metapher für viele gesellschaftliche Entwicklungen zu eignen – und für so manche Lernmöglichkeiten. Ein Umstand, den sich das deutsche Projekt "Lernort Stadion" zunutze macht. In dessen Rahmen werden jungen Menschen gesellschaftspolitisch relevante Themen spielerisch nähergebracht. Inspiration für den "Unterricht an der Seitenlinie" waren die Study-Support-Klubs englischer Vereine. An zwölf verschiedenen Orten vermitteln Experten in sogenannten "Stadionschulen" Teenies Bildung rund um den Fußball. Und damit so brisante Agenden wie Demokratieverständnis, Diskriminierung, Hate Speech, Cybermobbing oder Toleranz. Gelebte Politische Bildung abseits des Klassenzimmers – vom Berliner Olympiastadion bis zum Rostocker Ostseestadion. Nicht nur: Selbst Mathe gewinnt in diesem Umfeld neue Fans. Weil es für viele spannender ist, den Flächeninhalt eines echten Spielfelds zu berechnen.

"Fußball hat eine hohe Sozialdynamik, er kann überall gespielt werden, sodass er erst einmal Türen öffnet. Im Gegensatz zur Schule gelingt es uns daher, einen besseren Zugang zu tagesaktuellen Bezügen herzustellen. Über den Fußball können wir heikle Themen ohne allzu große Ernsthaftigkeit angehen", erzählt Birger Schmidt, Projektleiter und Vorstandsvorsitzender des 2015 gegründeten "Lernort Stadion e.V.". Und nennt Beispiele: "Es gab da eine Gruppe mit rechtsorientierten Schülern aus Berlin Schönhausen, wo der BFC Dynamo eine große Rolle spielt – ein Verein mit stark rechtsorientiertem und gewaltbereitem Anhang. In diesem Umfeld waren Jugendliche da, die dazu gestanden sind. Da haben wir gemeinsam ein Theaterstück angesehen – ,Sein oder Nichtsein’ von Ernst Lubitsch, in dem die Rolle der Nazis in Polen karikiert wird. Das war eine gute Gelegenheit, zu sagen, okay, wir befinden uns hier im Olympiastadion in Berlin, lasst uns über Geschichte sprechen."

Romeo & Julia

Eine weitere Gruppe Jugendlicher wollte im Rahmen des Projekts selbst ein Theaterstück spielen – in diesem Fall Romeo und Julia. Aber eben auf Fußball übertragen – heißt: Romeo und sein Clan waren Fans von Hertha BSC, Julia samt Anhang Union-Anhänger. "Da steckten unglaublich viele Themen drin – von der Kraft der Liebe bis hin zu Cybermobbing oder Soziale Medien. Und weil uns dann auch noch jemand ausgefallen ist, sprang einer der Hardcore-Jungs ein und machte tatsächlich die Julia. Das war ein Highlight, zumal da zwei, drei Brocken dabei waren, wo wir dachten, mit denen kriegen wir das nicht hin. Doch dann konnten wir sogar noch Themen wie gleichgeschlechtliche Liebe und Homophobie mit hineinnehmen", schildert Birger Schmidt aus der Praxis.

Darüber hinaus arbeite man auch mit Youtube-Clips oder Kurzfilmen, um Schwerpunkte wie Ultras, Hooligans und Gewalt aufzugreifen. "Ein schönes Beispiel ist dieser Kurzfilm aus Holland, in dem ein Hooligan begleitet wird. Da sieht man erst seine Gewalttätigkeit im Stadion, dann geht er heim und ist zu Hause ein armer Schwuler, der sich nicht outen kann, in dem Kreis, in dem er sich bewegt. Und schließlich davon spricht, wie gerne er Körperlichkeit auf eine ganz andere Weise erleben würde. Das ergibt prima Anknüpfungspunkte für sehr viele Themen", so Schmidt.

"FairPlay" heißt eine Initiative in Österreich, die seit knapp 20 Jahren versucht, im Rahmen diverser Projekte gegen Diskriminierung im Fußball vorzugehen. Etwa mit Jugendworkshops, bei denen der Sport genützt wird, um Themen wie soziale Inklusion oder Rassismus anzupacken. Mit dem KURIER sprach David Hudelist von FairPlay über die Möglichkeiten des Ballsports.

KURIER: Was ist das Besondere am Fußball?

David Hudelist: Fußball ist die weltweit populärste Sportart, sie ist sehr niederschwellig. Es sind die gleichen Regeln da und die gleichen Voraussetzungen. Man braucht einen Ball, zwei Stecken, eine gerade Fläche. Egal, auf welchem Erdteil man ist, die Menschen kennen das Spiel und kommen leicht in Verbindung.

Über alle Grenzen hinweg?

Fußball wird häufig als verbindendes Element, als Lösung für jedes Problem dargestellt. So ist es nicht. Das ist immer noch ein Sport, der ausgeübt wird, um zu gewinnen. Aber es spielen hier sehr viele gesellschaftliche Themen hinein.

Wie nützen Sie das konkret?

Wir verwenden Fußball als Werkzeug, so wie andere Musik, um für gewisse Themen zu sensibilisieren – etwa Rassismus. Da hat sich zwar schon viel verändert, aber Fußball ist bei weitem kein rassismusfreier Raum. Mittlerweile haben wir in viele andere Diskriminierungsbereiche ausgeweitet, etwa Homophobie oder Sexismus.

Wie sieht so ein Workshop aus?

Wir verknüpfen Bewegung mit Inhalten, zum Beispiel Fair Play und Respekt. Mit Hilfe spielerischer Elemente machen wir auf Bereiche wie Fairness/Unfairness oder Ausgrenzung aufmerksam. Das ist erst lustig, in der Reflexion fragen wir dann: Was ist da jetzt genau passiert?

Welche Rolle spielt die aktuelle Flüchtlingssituation?

Wir haben ein spannendes Projekt im Eishockey, wo wir auch Workshops hielten, schon im Vorjahr. Die Flüchtlingsbewegung war immer Thema und mit großen Vorurteilen verknüpft, aber es hat sich etwas verändert. Es geht viel schneller weg vom Sport, da werden massive Vorurteile von Social Media aufgeschnappt und weitergegeben. Solche Stammtischparolen sind oft schwierig zu widerlegen, wir haken jedoch nach und fragen nach. Jugendliche sollten dabei aber nicht das Gefühl entwickeln, sie dürften nichts mehr sagen, weil es falsch ist. Und es ist wichtig, zu vermitteln, dass man nicht alles glauben soll, was auf Facebook oder in manchen Medien steht.