Leben/Gesellschaft

Forscher warnen: Zukunft des Landes in Gefahr

Als ich mein Doktorat begonnen habe, war ich zu 90 Prozent sicher, dass ich eine Karriere in der Wissenschaft anstreben wollte", sagt Valentin Zauner. Mittlerweile hat der hoch begabte Physik-Doktorand von der Universität Wien massive Zweifel: "Es gibt nur sehr geringe Chancen, irgendwann eine fixe Position zu bekommen." Schon jetzt gäbe es für den Nachwuchs hauptsächlich zeitlich begrenzte Stellen, "die keinerlei Sicherheit bieten".

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Seit ruchbar wurde, dass wegen neuer Sparziele und geplanter Budget-Umschichtungen die Wissenschaft zum Handkuss kommen könnte, gärt es in der akademischen Welt. Noch mehr, weil von Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner am Dienstag vor dem Ministerrat nicht mehr als ein Lippenbekenntnis kam, die für die Jahre 2016 bis 2018 geforderte "Universitätsmilliarde" erhalten zu wollen.

Sogar der renommierten Neuen Zürcher Zeitung sind die Zustände in Österreichs Forschungspolitik eine Geschichte wert: "Hochqualifizierte verlassen das Land, Ungelernte wandern zu", liest man und weiter: "Auf längere Sicht wird der ungebremste Braindrain für Österreich zu einem noch größeren Problem als die Folgekosten der Hypo Alpe-Adria. Auf www.wissenschaft-ist-zukunft.at haben daher mittlerweile an die 50.000 Menschen eine Petition für ein höheres Wissenschaftsbudget unterzeichnet.

Renommierte Wissenschaftler gehen jetzt noch einen Schritt weiter und haben teils sehr persönliche offene Briefe an den Bundeskanzler gerichtet (siehe Zitate oben). Tenor: Wer jetzt nicht in die Wissenschaft investiert, verspielt die Zukunft Österreichs.

Initiiert wurde die Petition vom FWF: Der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unterstützt Nachwuchsforscher, indem er deren wissenschaftliche Arbeiten – nach harten Auswahlkriterien – fördert. Etwa 4000 Jungforscher werden so finanziert. "Morgen werden sie die Garanten der Innovationsfähigkeit unseres Landes sein", meint Peter Fratzl, Kolloid- und Grenz­flächenforscher sowie Aufsichtsratsmitglied des FWF in seinem offenen Brief.

Nachwuchs verbrannt

Die geplanten Kürzungen bedingen, dass nur noch halb so viele ausgebildet werden können. Außerdem: "Durch die langfristige Bindung von Mitteln in Forschungsprojekten, die in der Regel über mehrere Jahre laufen, muss der FWF sofort einen Bewilligungsstopp aussprechen. Damit würde eine ganze Generation der besten Nachwuchskräfte verbrannt", schreibt Fratzl.

"Der FWF hat im Vorjahr eines meiner Forschungsprojekte trotz sehr guter Beurteilung abgelehnt - aus Budgetgründen."


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Karin Föttinger vom Institut für Materialchemie der TU Wien hat ihre Habilitation sehr erfolgreich abgeschlossen und steht auf einer Karrierestufe, auf der unabhängige Forschungsförderung besonderes Gewicht hat. Sie berichtet, dass eines ihrer Forschungsprojekte trotz hervorragender Beurteilung vom FWF aus Budgetgründen abgelehnt wurde. "Dabei sind wir sehr stark auf diese Drittmittel angewiesen, denn wir betreiben Grundlagenforschung". Die Brücke zur nutzenorientierten Industrie sei eher spärlich.

"Die fehlende Klarheit zugunsten von Bildung und Wissenschaft lässt mich befürchten, dass in Österreich der Blick für die Zukunft verloren gegangen ist."


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Auch Markus Arndt, Physiker und Wittgenstein-Preisträger, kritisiert in seinem offenen Brief, dass oft verkürzt von Innovation im Sinne technischer Entwicklungen gesprochen werde. Dabei seien echte Neuerungen nicht vorhersehbar: "Innovation erwächst aus dem völlig Unerwarteten. Dieser Geist der Grundlagenforschung, die Suche nach dem Unbekannten, inspiriert junge Menschen." Arndt ist realistisch: "Natürlich muss man auch stärker die Anbindung der Grundlagen an die Wirtschaft fördern. Aber wenn es nichts mehr anzubinden gibt, weil das Interesse am Wissen abgewürgt wird, was dann?"

"Wir leben in einer Wissensgesellschaft, daher müssen wir in diese auch investieren."


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"Gerade in Krisenzeiten sind langfristige Strategien notwendig; daher muss in Ausbildung, Forschung und Entwicklung investiert werden", analysiert mit Ruth Wodak eine weitere Wittgenstein-Preisträgerin und Sprachwissenschaftlerin. "Nicht nur aus ökonomischen Gründen; auch, um Jugendlichen eine Perspektive zu geben. Denn leider bietet die EU viele Beispiele, wohin sich demokratische Länder entwickeln, wenn Arbeitslosigkeit steigt."

Stellen weg

Daniel Halwidl, ein hochbegabter Student, hat diesbezüglich Glück. Er schließt gerade seine Diplomarbeit ab und möchte bei Ulrike Diebold eine Dissertation beginnen. Weil die Oberflächenphysikerin auch Wittgenstein-Preisträgerin ist und deshalb über eigene Forschungsmittel verfügt, ist sie "in der glücklichen Lage, ihm eine Dissertationsstelle anbieten zu können; ansonsten würde es schlecht ausschauen." Halwidl ergänzt: "Mein Vorgänger wurde noch vom FWF finanziert. Die Stelle wäre sicher von den Kürzungen betroffen gewesen und ich hätte in eine andere Arbeitsgruppe wechseln müssen, was nicht mein Wunsch gewesen wäre."

Um Wünsche, Neigungen und Interessen geht es für Nachwuchsforscher heute also kaum mehr: Valentin Zauner, unser eingangs zitierter Nachwuchsforscher, ist unterdessen dabei, sich mit dem Gedanken anzufreunden, in die Privatwirtschaft zu gehen. "Da gibt es auch spannende Möglichkeiten", ist er zuversichtlich. "Aber es ist nicht meine erste Wahl."

"Die römische Handelsmetropole Aquileia bei Grado" ist Spitzenreiter: Auf www.inject-power.at hat der Archäologe Stefan Groh 2300 € für sein Projekt eingeworben. Das neue Portal für private Forschungsförderung will Wissenschaftlern dabei helfen, an Spenden zu kommen. Der Rest der dreizehn Forschungsprojekte aus den verschiedensten Disziplinen tut sich bisher etwas schwerer und dümpelt zwischen 0 € und 110 € Unterstützung herum.

Dabei ist die Idee zukunftsweisend: Wissenschaftler können auf inject-power regelmäßig über ihre Forschung informieren. Interessierte Laien sind zu einem lebhaften Diskurs eingeladen. Sabine Ladstätter, Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI) und Wissenschaftlerin des Jahres 2011, bietet ab einer Zuwendung von 1000 € für ihr Ephesos-Projekt gar eine persönliche Führung durch die Grabungsstätte an.

Ladstätter ist überzeugt, dass sich private und öffentliche Wissenschaftsförderung in Zukunft ergänzen müssen. "Wir werden von der Politik immer wieder aufgefordert: ,Sucht euch Geldgeber aus der Wirtschaft!‘ Die Art des Sponsorings stellt an uns Wissenschaftler aber ganz andere Anforderungen. Außerdem gibt es eine andere – viel nutzenorientiertere – Erwartungshaltung als bei wissenschaftlichen Anträgen. Dafür sind wir noch nicht ausgestattet."

Doppelgleisig

Für das ÖAI verfolgt sie die Strategie, Projekte, die auch Laien leicht zu vermitteln sind, in den Mittelpunkt zu stellen und intern eine Umverteilung vorzunehmen. "Wissenschaftlich genauso bedeutende Projekte, die sich aber nicht so leicht publikumswirksam darstellen lassen, werden dann mit öffentlichen Mitteln finanziert", sagt sie. Für andere, die ohnedies stark in der Öffentlichkeit stehen, könne man ver­suchen, von eben dieser oder der Wirtschaft Gelder zu be­kommen.

Ladstätter weiß, wovon sie redet: Ephesos, ihre eigene Forschungsstätte, steht stark in der Öffentlichkeit "und hat mittlerweile eine sehr hohe private Drittmittelquote. Da bleibt vom Budget der öffentlichen Hand mehr Geld für andere Projekte übrig."

1380 Medizinstudenten haben 2013 den Doktor gemacht. Nur die Hälfte begann danach als Arzt in Österreich zu arbeiten, die andere ging ins Ausland. Das sind doppelt so viele wie in den Jahren zuvor. Kürzere Ausbildungszeit und bessere Bezahlung locken in die Schweiz oder nach Deutschland. Was bei Jungmedizinern gang und gäbe ist, könnte bald auch in der Wissenschaft drohen. Die Angst vor Budgetnot treibt Österreichs Jungforscher vorerst noch auf die Barrikaden. Die Wissenschaftselite von Quantenphysiker Anton Zeilinger abwärts warnt bereits vor Kündigungen wegen akuter Geldnot. Rund 50.000 Staatsbürger haben bereits eine Petition für ein höheres Wissenschaftsbudget unterzeichnet. Wenn das Wünschen nicht bald hilft, bleibt auch der Wissenschaftler-Elite von morgen nur die Flucht ins Ausland.

Die renommierte Neue Zürcher Zeitung fasst Österreichs prekäre Schieflage plakativ so zusammen: "Hochqualifizierte verlassen das Land, Ungelernte wandern zu". Wird dieser Trend nicht von der Politik gebrochen, setzt das eine Teufelsspirale nach unten in Gang: Weniger "brains" im Lande, spült noch weniger Geld in die Kassen, um für die verbliebene geistige Elite attraktiv zu bleiben. Denn das überfällige neue Wachstum, das endlich mehr Jobs für die zunehmend aussichtslosen Jungen bringt, kommt nicht von den Werkbänken, sondern aus den Denkfabriken.

Eine exzellente Ausbildung ist der Rohstoff für die Wissensgesellschaft – Europas einzige Chance, seinen Wohlstand im globalen Wettbewerb zu verteidigen.

Erfreulich ist: Immer mehr absolvieren höhere Schulen und Universitäten. Mehr Besorgnis muss erregen: Weil sie sich jenseits der Grenze willkommener fühlen, kehren danach immer mehr Österreich den Rücken.