Leben/Gesellschaft

Erziehungshilfe für Eltern

Mit solchen Reaktionen auf seine Idee hatte der britische Premierminister David Cameron vermutlich nicht gerechnet. Er möchte mit Kursen für alle Eltern dafür sorgen, dass Familien weniger überfordert sind. "Eltern-Klassen sollen ganz normal sein. Wir alle brauchen mehr Hilfe für den wichtigsten Job, den wir je haben werden", erklärte Cameron, selbst Vater von drei Kindern.

Seine Kritiker wärmten eine alte Geschichte auf, um sich über ihn lustig zu machen: Nach einem gemeinsamen Frühstück mehrerer Familien in einem Pub vergaßen Cameron und seine Frau ihre älteste Tochter im Lokal. Beide glaubten, der jeweils andere hätte das damals achtjährige Kind im Auto. Erst zu Hause bemerkten sie sein Fehlen. Auch inhaltlich wurde sein Konzept kritisiert, von einem "Nanny-Staat" war die Rede, der seine Bürger wie Kinder behandelt.

Dabei spricht viel für seine Idee: Mütter und Väter gehen in Geburtsvorbereitungskurse, bekommen aber danach kaum Unterstützung. "Dabei sind Familien die beste Maßnahme zur Armutsbekämpfung – Fürsorge, Bildung und Sozialarbeit in einem."

"Elternführerschein"

Immer mehr Eltern seien überfordert und können diese Aufgaben nicht wahrnehmen, warnt auch die Psychologin und Sozialarbeiterin Elisabeth Raab-Steiner. Die richtigen Eltern zu erreichen, sei schwierig: "Personen, die freiwillig Elternkurse besuchen, sind oft nicht die, die sie am meisten brauchen". Von verpflichtenden Kursen im Sinn eines "Elternführerscheins" hält sie nichts: "Wer meint, er hat das nicht nötig, lässt solche Kursinhalte an sich abprasseln."

In Österreich sei das Angebot an Elternbildungskursen groß, betont die Geschäftsführerin des Vereins Elternwerkstatt, Veronika Lippert: "Aber meist kommen Eltern erst, wenn Feuer am Dach ist. Wenn Eltern mit Kindern in der Pubertät nicht zurechtkommen, ist schon vorher viel schief gelaufen."

Sie wünscht sich – ähnlich wie in Großbritannien – eine Kampagne, die ein Umdenken herbeiführen soll. Heute würden sich Eltern fürchten, Defizite zuzugeben. "Dabei wären solche Kurse etwas, das Eltern gut tut." Dort könnten sie auch ihr Verhalten besser reflektieren. Ihr Verein arbeitet daher mit Schulen sowie den Familien-Coaches der Jugendämter zusammen, um Eltern zu erreichen.

Gerade in Kindergärten, Schulen und Jugendzentren könnte "niederschwellige" Elternarbeit ansetzen, wünscht sich Raab-Steiner: "Die Pädagogen sind oft überfordert, wenn sie merken, dass zu Hause etwas nicht passt. Viele haben Angst, Eltern das Jugendamt zu schicken, auch weil sie ein falsches Bild davon haben", sagt sie. Dabei brauchen Eltern Hilfe – ohne Stigmatisierung und lange, bevor ihr Verhalten eskaliert. Genau da setzt das Konzept der "Frühen Hilfen" an: "Eltern werden jetzt oft zu spät erreicht, weil sich niemand verantwortlich fühlt."

Zu Hause helfen

Um den professionellen Umgang mit Kindern und Eltern geht es in dem neuen Masterstudiengang "Kinder- und Familienzentrierte Soziale Arbeit", den Raab-Steiner derzeit in Wien aufbaut: "Für eine junge Mutter kann eine Hebamme sehr wichtig sein, die bei einem Hausbesuch nicht nur auf die körperlichen Faktoren schaut." Sondern sie an die die passenden Helfer weiterleitet, bevor sie ihren Stress am Baby auslässt.

Wenn junge Eltern oder alleinerziehende Mütter überfordert sind, leiden die Kinder. Um effizienter Hilfe zu leisten, sollen die Pilotprojekte der „Frühen Hilfen“ jetzt ausgebaut werden. Dabei wird ein Netzwerk gebildet, in dem Institutionen wie Ärzte, Pädagogen, Schuldnerberater oder Spitäler zusammenarbeiten. Familienbegleiter gehen aktiv auf belastete Eltern zu und unterstützen sie, um geeignete Hilfe zu bekommen.

Solche Präventionsmaßnahmen sind in der frühen Kindheit nachweislich am effektivsten. „Die Gesundheit eines Menschen wird in den ersten tausend Tagen seines Lebens entschieden. Wir wollen Gesundheit und eine gute Entwicklungsmöglichkeit für jedes Kind, unabhängig von seiner sozialen Herkunft“, erklärt Petra Ruso, Netzwerkmanagerin des neuen Projektes NÖ-Süd.

Bereits Mitte 2016 sollen in der Hälfte der österreichischen Bezirke Frühe-Hilfe-Netzwerke eingerichtet sein. Bis 2017 werden rund fünf Millionen Euro investiert.