Leben/Gesellschaft

24-Stunden-Betreuung: Eine Insiderin packt aus

Katarína Staroňová erinnert sich mit Schaudern an ihre ersten Monate in Österreich: "Ich habe mir jeden Tag gesagt: Du musst durchhalten. Du brauchst das Geld."

Die 37-jährige Slowakin ist eine von 70.000 Frauen und (wenigen) Männern, die in Österreich hilfebedürftige Menschen betreuen, unter teils unzumutbaren Bedingungen, wie sie aus eigener Erfahrung weiß.

Fast alle 24-Stunden-Betreuer kommen aus Osteuropa. Mehr als die Hälfte – wie sie – aus der Slowakei. Viele reisen zur Arbeit aus Rumänien, Ungarn, Bulgarien, Polen, Tschechien an, faktisch niemand aus Österreich. Alle sind sie unentbehrlich. Wer sonst würde für die häusliche Betreuung und Pflege der alten Menschen rund um die Uhr sorgen?

Zwielichtige Agentur

Staroňová erzählt zunächst, wie sie in die Fänge eines zwielichtigen Netzwerks geraten ist: Eine teure Autoreparatur hatte ihr knapp bemessenes Haushaltsbudget arg belastet: "Da hat mir eine Nachbarin von ihrer Arbeit in Österreich erzählt."

Bei einer der zahlreichen Agenturen in ihrem Heimatland hat sie einen zweimonatigen Schnellsiedekurs gebucht. Die Prüfung hat sie in einem Ehrfurcht gebietenden Büro mit Aufregung bestanden, danach wurde ihr sofort ein Vertrag vorgelegt. "Und ich habe unterschrieben, ohne das Kleingedruckte zu lesen." Ein großer Fehler, betont sie heute.

Im Kleingedruckten versteckten sich unter anderem Hinweise auf die Gebühren, und zwar jene, die sie an die Agentur zu entrichten hat: 70 Euro Bearbeitungsgebühr, 430 Euro Jahresgebühr. Weitere 500 Euro pro Jahr wollte dann eine zweite, eine österreichische Agentur.

Und es fand sich auch das Wort Strafe: 16.596 Euro für den Fall, dass sie sich von einer anderen Agentur abwerben lässt oder ihre eigene Agentur eröffnet; 5000 Euro für den Fall, dass sie Interna ausplaudert. "Dabei organisieren sie dir nur den Fahrtendienst. Und wenn du ein Problem hast, erreichst du niemanden im Büro."

Abenteuerlich auch ihre erste Fahrt nach Österreich, mit nächtlichem Umsteigen auf einem Autobahnparkplatz bei Bratislava und auf dem Parkplatz einer Fastfoodkette in Schwechat: "Ich war der Verzweiflung nahe, mir war kalt, also habe ich auch für die österreichische Agentur unterschrieben."

Unterschrieben hat sie einen Käsezettel, den ihr Fahrer vor der Weiterfahrt handschriftlich angelegt hatte: "Das war eine Vollmacht für alle gewerberechtlichen Angelegenheiten. Diese diente der Agentur später, meinen Gewerbeschein ohne Rücksprache mit mir zu löschen."

Im Bett des Toten

Zum Heulen war auch einer ihrer ersten Einsätze: "Ich musste im Bett des eben erst verstorbenen Sohns schlafen, dessen Pflegeaufgabe ich übernehmen sollte." Neben dem Bett stand seine Urne. "Weil Verwandte zu Besuch kamen." Später hat sie auch demenzkranke Menschen betreut, "obwohl ich dafür nicht vorbereitet war".

Länger als gehofft blieben die finanziellen Engpässe bestehen: "Bevor ich zum zweiten Turnus fuhr, war noch immer kein Geld auf meinem Konto. Da haben sich aber schon die Rechnungen zu Hause gehäuft, die ich nicht mehr bezahlen konnte. Vom ersten Gehalt blieben mir dann – nach Abzug der ersten Gebühr – nur 200 Euro."

Im Laufe der nächsten Monate bemerkte sie, wie sehr sie von ihren Vermittlern abhängig war und wie viel die Agenturen (mit Firmensitz in Wien und Bratislava) an ihr mitverdienten. "Auch an den Kunden, die nicht wenig Geld für die Betreuung bezahlen und damit diese Goldgräber mitfinanzieren."

Anders als das Gros der 24-Stunden-Betreuer konnte sich Katarína Staroňová inzwischen aus den Fängen ihrer Vermittler befreien. Seit wenigen Tagen nützt sie ein Fachkräftestipendium, um sich zur Krankenschwester ausbilden zu lassen. Mit Kolleginnen und ihrem Lebensgefährten ist sie dabei, auch eine neue Plattform für Personenbetreuer aufzubauen.

70.000 Menschen besitzen in Österreich einen Gewerbeschein für Personenbetreuung. Aufgrund der demografischen Entwicklung steigt die Nachfrage nach ihrer Dienstleistung. Die 24-Stunden-Betreuung ist längst zum Millionengeschäft geworden. Jedoch nicht für Katarína Staroňová und ihre Kollegen, sondern für die mehr als 700 Agenturen, die sie vermitteln.

Die Agenturen haben sich nach einer Gesetzesänderung im Juli 2007 auf das Anwerben, den Transport und das Vermitteln der Personenbetreuer spezialisiert. Dafür kassieren sie Prämien. Sozialversicherungsbeiträge und Steuern müssen sie für ihre Beschäftigten nicht bezahlen, obwohl diese de facto wie ihre Angestellten arbeiten. Per Gesetz gelten sie als Ein-Personen-Unternehmen.

Im Wirtschaftsministerium wurde ein Entwurf zur Neuregelung der Vermittlung von Personenbetreuern ausgearbeitet, der sorgte für heftige Debatten in der Branche. Bis heute läuft noch die Begutachtungsfrist. Personenbetreuer kritisieren, dass ihnen die Agenturen in Zukunft weitere Dienste verrechnen können, etwa für das Erledigen des Jahresausgleichs, und das legal zu Wucherpreisen. Zudem stört sie, dass sie Pflichtbeiträge an die Wirtschaftskammer entrichten müssen, aber von der Kammer so gut wie nicht vertreten werden.

Allmählich steigt aber auch dort das Problembewusstsein: Am Montag wird die WKÖ mit Caritas und Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft das Pilotprojekt Train To Care präsentieren. Es soll Weiterbildung im Rahmen der Gesundheitsförderung bieten.