Leben/Gesellschaft

Die neuen sozialen Netzwerke: Junge, die helfen wollen

Von wegen Generation Ego! Von wegen politikverdrossene, unmotivierte, konsumgetriebene junge Leute! Die Soziologin und Trendforscherin Christiane Varga blickt bei Weitem nicht so negativ in die Sterne wie die sonst vielzitierten Politstrategen und Jugendforscher mit ihren traditionell besorgten Mienen.

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Varga spricht von einer "totalen Fehlinterpretation". Immer öfter sei zu beobachten, wie sich Bürger selbst organisieren, um ein Problem in ihrem Umfeld aus der Welt zu schaffen. Um was zu tun. Neben den klassischen Sektoren Staat, Markt und Non-Profit würde sich gerade ein vierter Bereich ausformen. Der viel vom sozialen Engagement lebt und in dem sich auffallend viele junge Menschen (siehe unten) engagieren.

Die Renaissance des Ehrenamts

Varga sollte es wissen. Sie arbeitet für die Wiener Filiale des deutschen Zukunftsinstituts und hat mit ihren Kollegen Harry Gatterer und Christian Schuldt eine Studie über Die Zukunft der Gemeinnützigkeit erarbeitet. Im Auftrag der Vinzenz Gruppe Krankenhausbeteiligungs- und Management GmbH.

Co-Working. Urban Gardening. Die Renaissance der Nachbarschaftshilfe und der ehrenamtlichen Engagements. "Wir leben heute bereits in einer sozialen Netzwerkgesellschaft, in der privates Engagement nicht mehr so ideologisch begründet wird wie beispielsweise bei der 68er-Generation", attestiert Sozialforscherin Varga. Auf der einen Seite Betriebswirtschaft studieren und einem ehrgeizigen persönlichen Karriereplan folgen und auf der anderen Seite sich für eine karitative Organisation engagieren – das sei heute kein Widerspruch mehr. Im Gegenteil. Einfach nur die Karriereleiter raufklettern, das wollen die jungen Protagonisten mit ihren Slash-Slash-Biografien nicht mehr.

Neue Begriffe

Slash-Slash-Biografie? Es vergeht kaum ein Tag, an dem uns die Trendforscher keinen neuen Begriff mit Erklärungsbedarf vorsetzen. Slash steht für den Schrägstrich bei Internetadressen. Je mehr Schrägstriche in einer Biografie, umso mehr ist eine/r in verschiedenen Netzwerken aktiv, beruflich und privat. Sich nur auf den eigenen Beruf reduzieren zu lassen, als Bäcker oder Trendforscherin, ist den Doppel- und Mehrfach-Schrägstrichlern zu wenig. Ja, sie haben einen Beruf, um Geld zu verdienen, aber sie engagieren sich nebenbei auch in einer sozialen, einer Umwelt-, Tierschutz- oder sonstigen Organisation. "Es zeichnen sich innerhalb einer Biografie mehrere Biografien ab", schließt Christiane Varga.

Auffallend ist auch, dass die jungen Netzwerker partei-, aber nicht politikverdrossen sind. Ein existenzielles Problem für die herkömmlichen Parteien, eine große Chance für Nichtregierungsorganisationen und damit auch für den staatlichen Sektor. Während überall die Sozialbudgets gekürzt werden, tut sich plötzlich eine neue Option auf: Junge Menschen, die Verantwortung übernehmen möchten, die auch anpacken können. Zumindest eine Zeit lang. Solange sich ihr Ehrenamt mit ihrer Ausbildung und ihrem beruflichen Fortkommen gut vereinbaren lassen.

Lesen Sie, warum vier Studenten, eine junge Ärztin, der Mitbegründer der Jungen Volkshilfe und ein Freiwilliger bei der Diakonie helfen wollen – und was sie bewegt.

Internet: www.zukunftsinstitut.at

Bürgerservice: Die Studie "Die Zukunft der Gemeinnützigkeit" ist auf der Seite des österreichischen Zukunftsinstituts zur Gänze einsehbar.

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Beide studieren Betriebswirtschaft in Wien, beide stellen sich nebenbei in den Dienst der Caritas Wien: Greta Sparer als Kulturbuddy, Gudrun Köhne als Lernbuddy. Und beide geben ähnliche Beweggründe für ihre ehrenamtliche Tätigkeit an: Das Wirtschaftsstudium sei schon hochinteressant, aber zusätzlich wollten sie mehr mit Menschen zu tun haben, und dabei konkret etwas bewirken.

Sparer geht mit minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen regelmäßig zu kulturellen Veranstaltungen, sie organisiert einen Ausflug oder einen Stadtspaziergang; Köhne lernt, spielt und spricht sehr intensiv mit einem 13-jährigen Mädchen aus Afghanistan.

Greta Sparer erzählt: „Es sind berührende Momente, wenn dir ein junger Mann erzählt, dass er übers Mittelmeer geflüchtet ist.“

Gudrun Köhne ergänzt: „Auf der Uni hat man oft das Gefühl, dass man leicht ersetzt werden kann. Hier werde ich gebraucht.“

www.caritas-wien.at

Alle Infos über den Job als Kultur- und Lernbuddy
sowie weitere freiwillige Dienste bei der Caritas.

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Er ist ihr Vorbild, auf dem Rasen, auch privat. Er weiß, wie es ist, wenn man in Österreich als Kind ankommt, nix versteht und sich fremd fühlt. Seine Eltern sind mit ihm von Brasov (Kronstadt) im rumänischen Siebenbürgen nach Wien übersiedelt – in der Hoffnung, hier ein besseres Leben führen zu können.

Ionut Emil Diaconu spricht heute die Sprache der Wiener Fußballer, Anwälte und Sozialforscher. Er hat nach der Schule Karriere in einer angesehenen Rechtsanwaltskanzlei gemacht, was ihn jedoch nicht befriedigte.

Nach Abschluss eines sozialwissenschaftlichen Studiums hat er mit einem Freund eine eigene Jugendorganisation für die Volkshilfe Wien gegründet. „Unser Fokus liegt auf der praktischen Hilfe für junge Asylwerber“, erklärt der Pionier. Die „Young Folks“ trainiert er jeden Freitag, in seiner Freizeit. Aus eigener Erfahrung weiß er: „Fußball gibt einem die Möglichkeit, Selbstvertrauen zu tanken.“

www.jungevolkshilfe.at

Alle Infos über das Fußballprojekt „Young Folks“ und die Ehrenämter bei der Jungen Volkshilfe.

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„Man muss sich vor ihnen nicht fürchten. Ich habe eher Respekt vor ihnen, weil sie einem unglaublichen Stress ausgesetzt sind, nur wenig haben, und weil sie echte Überlebenskünstler sind.“ Teresa Wailzer hat im Zuge ihrer Diplomarbeit etliche bettelnde Menschen interviewt. Ihr Resümee widerspricht den Erkenntnissen der Polizei und der Boulevardmedien: „Es gibt keine Bettler-Mafia. Es ist vielmehr so, dass sich die Leute zusammentun, um den nächsten Tag zu überleben.“

Die sozialen Outcasts sind für sie mehr als nur Studienobjekte. Deshalb arbeitet die Sozialwissenschaftlerin und Sozialarbeiterin unbezahlt im Verein „Goldenes Wiener-Herz“ mit. Über ihre Landsleute sagt sie: „Es ist traurig, dass auf sie ein enormer Leistungsdruck lastet und dass viele das Gefühl haben, dass sie zunächst einmal auf sich selbst schauen müssen.“ Für Wailzer unvorstellbar: „Weil man da sehr viel von der Welt ausblenden müsste.“

www.goldeneswienerherz.at

Alle Infos über das soziale Engagement des Vereins sowie die Möglichkeiten, selbst aktiv zu werden.

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Sie war ein Jahr lang in einer Pfarre der Salesianer Don Boscos in Pointe Noire, dem wirtschaftlichen Zentrum der Republik Kongo. Und sie hat ein Jahr lang nicht nur unterrichtet, sondern auch viel für ihr eigenes Leben gelernt. Erzählt Johanna Rachbauer, die in Ried im Innkreis aufgewachsen ist, für die Initiative „Volontariat bewegt“ ein freiwilliges soziales Jahr geleistet hat und seit ihrer Rückkehr aus Afrika an der Universität Wien Afrika- und Rechtswissenschaften studiert.

Die Erfahrungen in einem fremden Kulturkreis, in dem sie die Außenseiterin war, helfen ihr jetzt auch beim Studium. „Dieser starke Glaube und dieser andere Blick auf die Welt haben mich doch sehr geprägt.“ Sie hat in den Schulen der katholischen Mission hauptsächlich Englisch, eine Klasse auch in Deutsch unterrichtet. Würde sie sich wieder melden? „Auf jeden Fall. Es hat mir vielleicht sogar mehr gebracht als meinen Schülern.“

www.volontariat.at

Alle Infos über „Volontariat bewegt“, einer Initiative von Jugend Eine Welt und den Salesianern Don Boscos.

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Sie ist eine willkommene Hilfe, immer im Sommer, in einer barrierefreien Ferienanlage in Lignano. Wohin der Linzer Verein „Glück schenken“ Eltern mit behinderten Kindern zu einer Intensivwoche einlädt. Meist ist die Liste der Anmeldungen länger als die Liste der tatsächlichen Teilnehmer. Aus gutem Grund: Ehrenamtliche Kinderbetreuer wie Kathrin Mörtlbauer bemühen sich darum, die Eltern und ihre Kinder eine Woche lang zu entlasten und ihnen ein paar unvergessliche Tage am Strand, am Meer zu ermöglichen.

Mörtlbauer, selbst Mutter und als Ärztin in Ausbildung in der Kinderabteilung im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Linz beschäftigt, war schon als Kind mit dabei. Damals mit dem Wunsch, es einmal ihrer Mutter, die den Verein mit ins Leben gerufen hat, gleichzutun. Über ihre Motivation sagt sie: „Man bekommt in dieser Woche so viel Strahlen, so viel Herzlichkeit zurück.“

www.glueck-schenken.at

Alle Infos über das Angebot von „Glück schenken“
sowie Möglichkeiten der ehrenamtlichen Mitarbeit.

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Der junge Mann geht seit Mitte August wieder in die Schule. Dabei hat er erst wenige Wochen zuvor seine Schulkarriere mit der Reifeprüfung beendet. Deniz Halkali ist jetzt Hortbetreuer in der evangelischen Volksschule in der Nepomukgasse. Er wollte weder zum Heer noch zum Zivildienst. Die Möglichkeit, stattdessen ein freiwilliges soziales Jahr bei der Diakonie zu leisten, kam ihm gelegen: „Ich habe total viel Spaß, wenn ich mit den Kindern spiele, fühle mich wie ein großer Bruder.“

Nach der Matura wusste er nicht, was er tun soll. Jetzt ist Lehrer „eine Option“.

www.diakonie.at oder www.spring-ins-leben.at

Alle Infos über ehrenamtliche Tätigkeiten bei der Evangelischen Diakonie und das freiwillige soziale Jahr.