Leben/Gesellschaft

Die Kunst des Älterwerdens

Peter Kotauczek nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Muss er auch nicht. Der 76-jährige Geschäftsmann hat in seinem Leben viel bewegt: Er hat in Wien Maschinenbau studiert. Er hat die Firmengruppe Beko gegründet und erfolgreich durch die Epochen des Aufschwungs und der Rezession gelotst. Er gab und er gibt vielen Menschen Arbeit. Er hat dabei nie seine Leidenschaft, die Malerei, aus den Augen verloren. Er ist nebenbei Systemanalytiker, Computergrafiker und Philosoph.

Richtig heftig wird es, wenn sich Kotauczek über Politiker und Wirtschaftstreibende empört, die auf der einen Seite älteren Arbeitnehmern keinen Ruhestand gönnen und auf der anderen Seite Menschen älter als 45 zum alten Eisen zählen und daher zu entsorgen versuchen.

In Kürze wird er beim Symposium Dem Alter begegnen in Mariazell referieren. Dort werden auch sein alter Freund, der Forscher Johann Günther, sowie die Journalistin und Tänzerin Nora Aschacher ihre Erfahrungen preisgeben (siehe unten).

Eine Frage der Kultur

"In Wirklichkeit ist die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer keine Frage des Geldes", betont Kotauczek. "Es ist viel mehr eine Kulturfrage." Der erfahrene Unternehmer weiß sehr genau, wovon er spricht: Jeder zwölfte von den 700 Leuten, die für seine Firma arbeiten, ist älter als 50. Die drei Vorstände sind über 60. So wie der Software-Entwickler Walter Sanftl.

Sanftl kann aus seiner Berufserfahrung schöpfen. Auch er kennt die jungen Unternehmensberater, die in ihren Tabellen ältere Mitarbeiter als teure Kostenfaktoren markieren und damit zu deren "Freisetzung" maßgeblich beitragen. Und natürlich weiß auch er, dass einige Firmen im Nachhinein für allzu radikale Einsparungen im IT-Bereich bitter bezahlt haben.

Sanftl erklärt das in etwa so: Die riesigen Datenbanken von Banken, Versicherungen, vom Staat, von den Energieversorgern und anderen Branchen und Institutionen basieren auf Computersystemen, die man bereits vor vierzig Jahren eingerichtet und seither ständig modifiziert hat. Die Basis für solch hochkomplexe Systeme sind weiterhin Programmiersprachen wie zum Beispiel die bereits antik klingende Cobol.

Weil sich gezeigt hat, dass "dort unten, im Keller der Pyramide" (Sanftl) fatale Fehler auftreten können und die Geschichte der Programme kein Mensch mehr alleine durchschauen kann, ist die ältere Generation mit ihrem Spezialwissen heute längst wieder gefragt.

Aus gutem Grund: Wie die Gelehrten im Altertum verfügen Walter Sanftl und Co. über ein Wissen, das den Jüngeren an technischen Schulen und Hochschulen nicht mehr vermittelt wird. Mit ihrer Erfahrung tragen sie heute immer öfter dazu bei, dass die komplexen Systeme fehlerfrei laufen bzw. Fehler sofort korrigiert werden.

Stabilität durch Ältere

"Ich bin kein Steuerungsfanatiker", erklärt sein Chef Peter Kotauczek, der übrigens das Logo seiner Firma selbst entworfen hat. "Man kann das nicht verordnen. Aber wir behindern das natürlich auch nicht. Wenn das Arbeitsklima passt, dann bleiben die Leute auch gerne länger."

Seiner Erfahrung nach tragen die Älteren zur Stabilität bei. Sie werden seltener krank als befürchtet. Da sie im Gegensatz zu jüngeren Kollegen weder Kinder noch Eltern betreuen bzw. pflegen müssen, könnten sie es sich sogar leisten, noch verlässlicher und verfügbarer zu sein. Kotauczeks kerniger Nachsatz: "Bis dato wurde dieses Potenzial von der österreichischen Politik und Industrie leider noch nicht erkannt."

Der "Oldie-Markt"

Der Vordenker sieht dessen ungeachtet sogar das Potenzial "für eine altersadäquate Nischenwirtschaft", für "einen Oldie-Markt". Damit meint er einen neuen Arbeitsmarkt, in dem neben IT-Spezialisten zum Beispiel Handwerker bzw. Alten- und Kinderbetreuer ihre Dienstleistungen legal und nicht im Pfusch erbringen können.

Für ihre Arbeit sollen sie angemessen bezahlt werden. Sie könnten damit ihre Pension aufbessern und nebenbei ihr Gehirn trainieren.www.demalterbegegnen.atDas Symposium mit dem Titel "Dem Alter begegnen" findetvom 23. bis 25. April in Mariazell statt. Es wird heuer zum zweiten Mal von engagierten Medizinern, Forschern, Ökonomen organisiert. Mehr über deren Ideen und Konzepte auf der Homepage.

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Nora Aschacher strahlt. Ihre Age Company hat mit den bisherigen Auftritten für Aufsehen gesorgt. Die ersten Tanzprogramme waren im Palais Kabelwerk, im Theater Spielraum sowie im Brick-5 zu sehen. Derzeit arbeiten die 13 Tänzerinnen und Tänzer (im Alter von 55 bis 72 Jahren, die Gründerin tanzt ebenso mit) an einer neuen Produktion: Cazinha. Die Küche. Premiere ist am 21. November, in Magdas Kantine in Wien 10.

Dafür geprobt wird im Salon Emmer. Mit einer professionellen Choreografin, der Schweizerin Nicole Berndt-Caccivio, die für die Proben extra aus Berlin anreist.
Aschacher hat die Wiener Tanzgruppe für Menschen älter als 55 gemeinsam mit ihrer Bekannten Ilse Stadler-Epp gegründet. Und damit in ihrer Pension Neuland betreten. Und Applaus geerntet.

„Mich hat Tanz immer interessiert“, erzählt die heute 69-Jährige. Sie wollte als Kind Tänzerin werden, war dann aber ein „halbes Leben“ leidenschaftliche Radiojournalistin beim ORF. Dem Alter begegnet sie heute mit bemerkenswertem Esprit: „Nach meiner Pensionierung 2006 wurde aus meiner zweiten Leidenschaft meine Berufung.“

Die ersten Schritte waren alles andere als einfach: Weil es in diesem Land einen großen Unterschied macht, ob man als Redakteurin der großen Sendeanstalt in einem Ministerium oder einem Kulturamt anruft oder als Gründerin einer Privatinitiative. Inzwischen beherrscht Aschacher auch den Ansuchen-um-Förderungen-Walzer. In ihrer Company sind unter anderem eine Sozialarbeiterin, eine Cutterin, eine Lehrerin, eine Physiotherapeutin und eine Beamtin aktiv. Auffallend dabei: der Mangel an tanzenden Männern.

Empfehlenswert ist übrigens auch ihr Buch „Bald alt? Na und!“ (ist in der edition a erschienen).

Zu seinen Geschäftsterminen fährt der Kommunikationswissenschafter und Fahrzeugentwickler Johann Günther mit dem Spazierschweber, einem ultraleichten E-Roller, der von einer im Vorderrad eingebauten Batterie betrieben wird.

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Zu seinen Lehrveranstaltungen, die er unter anderem an der Universität der chinesischen Autostadt Wuhan hält, schwebt Johann Günther notgedrungen mit dem Flugzeug ein.

Längst könnte sich der 65-Jährige zur Ruhe setzen. Schließlich hat er viel in seinem Leben bewegt: Etwa an der Entwicklung der ersten Computer und am Aufbau der Donau-Universität Krems maßgeblich mitgewirkt. Oder für den Kosovo und dann auch für den Oman die Universität neu aufgebaut.

Doch Ruhestand ist dem Umtriebigen suspekt. Sanfte Mobilität ist auf seine alten Tage das Steckenpferd geworden. Ausgerechnet dort, wo die Chinesen ihre Automobilindustrie mit enormem Aufwand auf die Überholspur bringen wollen, darf der Österreicher Johann Günther mit seinen Studenten und einem Budget, das man in seiner Heimat nur neidvoll zur Kenntnis nehmen kann, am flotten Schweber tüfteln.

„Die Gesellschaft wird älter,“ erklärt Günther. „Daher brauchen wir einen Motor für die Füße.“ Dieser „Motor“ soll uns möglichst lange mobil halten. Das Fahrzeug für den letzten Kilometer, wie dazu die Fachleute sagen.

Günthers Roller, der fertig entwickelt nicht schwerer als ein Regenschirm sein soll, bringt Menschen, die sich schwer mit dem Gehen tun, zum Beispiel zum Einkaufen oder zur nächsten U-Bahn-Station. Er dient zur Überbrückung. Der Herr Professor fährt ihn nur zur Demonstration. Denn er ist geistig wie körperlich noch voll fit.