Leben/Gesellschaft

Vandana Shiva: "Nur Vielfalt kann die Welt ernähren"

Die Diskussionen um Nahrungsmittel und ihre Produktion verläuft an klaren Fronten: Konzern-Lobbyisten beschwichtigen mit sonorer Stimme, kritische Aktivisten werden oft emotional.

Vandana Shiva zum Beispiel: "Das Leben ist zu kurz, um für ein bisschen Reduktion von Pestiziden zu kämpfen. Daher kämpfe ich mit meinem ganzen Geist und meinem Gewicht für ein neues System." Shiva ist Doktorin der Physik und Wissenschaftsphilosophie und eine Ikone der Kritik an industrieller Landwirtschaft, spätestens seit sie 1993 den "Right Livelihood Award" ("Alternativer Nobelpreis") erhielt.

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KURIER: Ihre Diagnose der Welt ist stets trist. Haben Sie noch irgendeine Hoffnung?

Vandana Shiva: Die größte Hoffnung sind die Hunderten Gruppierungen rund um die Erde, die sich für Saatgut- und Pflanzenvielfalt einsetzen. Das ist die wichtigste Bewegung unserer Zeit, sie kann eine neue Form der Landwirtschaft entwickeln, in der es direkte Verbindungen von Bauern und Konsumenten gibt, mit kurzen Handelswegen. Ich hoffe, das löst die Industrie-Landwirtschaft ab, die Krisen und Klimawandel gebracht hat, und an Seuchen und Krankheiten schuld ist.

Aber Sie selbst nennen einseitige Argumentation oft "monoculture-causal". Hochleistungs-Landwirtschaft ernährt doch viele Menschen.Diese Idee wird oft verbreitet, ist aber widerlegt. Ich schaue als Wissenschaftlerin auf ganze Systeme, das tut die Lobby nicht. Die behauptet noch immer, die Grüne Revolution hat in Indien Wunder bewirkt. Aber sie hat den Boden und die Wirtschaft ruiniert, Gewalt gebracht und die Zukunft zerstört. Und trotzdem wird nicht mehr Nahrung produziert. Jeder vierte Inder hungert, jedes zweite Kind lebt an der Armutsgrenze. Natürlich steigere ich zum Beispiel die Weizenproduktion, wenn ich eine Weizen-Monokultur mache, aber das heißt nicht, dass ich mehr Essen produziere. Hülsenfrüchte für das Protein müssen wir heute zum Beispiel importieren.

Sie machen die Agrarindustrie für fast alles verantwortlich.

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Wissen Sie, dass fast alle Mittel der industriellen Landwirtschaft für den Krieg entwickelt wurden, chemische Pestizide etwa. Man hat entdeckt, dass alles, das der Krieg hervorgebracht hat, wieder zu kriegerischem Handel führt. Man braucht das nicht, Diversität ist der beste Schädlingsbekämpfer. Boden braucht Organismen und die brauchen Nahrung, nicht chemische Bekämpfung. Ein System, das die Vielfalt entwurzelt, entwurzelt den Menschen. Die großen Flüchtlingsbewegungen entstanden zum Teil natürlich wegen des Krieges, aber die syrische Instabilität begann auch durch eine Landwirtschaft der Wasser- und Bodenverschmutzung. Wo es keinen lebendigen Boden gibt, entstehen Krisen.

Zu Ihrer Hoffnung, den Engagierten: Viele derer, die in Europa "Biodiversität" schreien, wollen im November Bananen kaufen können. Höchstens zehn Prozent meinen es ernst.

Aber diese zehn Prozent kamen aus dem Nichts, das ist das Wunder. Menschen ändern sich, aber ja: Eine echte Änderung muss die Realität von 2015 mitnehmen, wir müssen unter unseren Voraussetzungen und Möglichkeiten bewusste Entscheidungen treffen. Handel ist nicht das Problem, aber unnötiger und unfairer Handel sind es. Es wäre schon ein radikaler Wandel, würden wir sagen: Bauen wir an, was hier wächst. Was man nicht anbauen kann, soll gehandelt werden. Aber als kleine Luxusgüter des Alltags und fair. Dazu brauchen wir nicht die große Industrie.

Apropos Luxusgut: Muss Essen nicht einfach teurer werden?

Die industrielle Nahrung ist nicht wegen der Produktion so billig, sondern wegen der Subventionen. Regierungen fördern die großen Betriebe. Es ist unfair, mit jährlich 400 Milliarden Dollar ein schlechtes Nahrungssystem zu stützen, das Menschen und den Planeten zerstört. Und dass fast alle Forschungsgelder in diesen Bereich fließen.

Werden zehn Milliarden Menschen mit "soft production" ...

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... nennen Sie Diversität nicht "soft production". Das ist echte Produktion von echtem Essen von echten Menschen für echte Menschen.

Verzeihung. Aber werden zehn Milliarden Menschen so ernährt werden können?

Man kann sie NUR mit Diversität ernähren. Wir sind lebende Systeme, die alle Nährstoffe brauchen. Daher messen wir mittlerweile gerne den Nährstoffgehalt pro Hektar statt der Menge. Nährstoffgehalt ist Nahrung.

Sie engagieren sich seit den 1970er-Jahren in der Umweltbewegung. Was wurde anders?

Wir haben in diesen 45 Jahren das Leben auf diesem Planeten unlebbar gemacht. Am Anfang habe ich Saat aus Liebe gerettet. Mittlerweile wissen wir, wissenschaftlich belegt, Biodiversität bringt mehr Nahrung, mehr Einkommen und ist Armutsbekämpfung. Und nur Bauern kümmern sich um den Boden und Wasserhaushalt. Nur sie können den Klimawandel positiv beeinflussen. Sie müssen als Klima-Stewards gesehen werden. Aber Investoren, Politik und Lobby hängen in einem System, das für 75 Prozent der Umweltzerstörung verantwortlich ist.

Was kann der Einzelne tun?

Zunächst kann jeder Einzelne erkennen, dass er oder sie ein Bürger ist, nicht nur Konsument. Ein Problem ist, dass wir auf unseren Status als Konsument reduziert wurden. Als Bürger müssen wir die demokratischen Möglichkeiten nutzen, etwas zu ändern. Aktiv werden, um die Gesellschaft zu gestalten, auf lokaler Ebene, im Land und bis zur EU. Durch ein solches Bürger-Engagement wurde zuletzt das neue Saatgut-Gesetz verhindert, das Diversität illegal gemacht hätte. Wichtig ist genau diese Erkenntnis: Es geht jeden an, es ist nicht das Problem der anderen. Jeder Einzelne möchte gesund sein, aber das herrschende Nahrungssystem gibt uns Junk Food, dafür ist es gemacht. Drehen wir das passive Verhalten um: gesundes Essen für eine gesunde Welt.

Das Symposium: Es geht nicht nur um Vielfalt – aber vor allem

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Kulturpflanzenvielfalt wird die Nahrungskrise nicht alleine lösen. Aber sie ist „zentraler Puzzlestein auf dem Weg zur agrarökologischen Wende“, fasst Obmann Christian Schrefel die Botschaften des „Arche Noah“-Symposiums „Vielfalt ernährt die Welt“ zusammen. Sein Verein setzt sich seit 25 Jahren für die Erhaltung und Entwicklung der Kulturpflanzenvielfalt ein. Denn ohne Diversität wird es eben auch nicht gehen. „Das Symposium zeigte ihre Bedeutung auf globaler Ebene. Politischer Handlungsbedarf und Dringlichkeit sind klar.“

So betonten die geladenen Experten: Die industrielle Landwirtschaft steckt in der Sackgasse, es braucht Alternativen zu Monokulturen, von denen alle leben können.

Schrefel sieht auch den Einzelnen in der Pflicht: „Es ist für mich ermutigend, dass jeder Konsument und jede Konsumentin im eigenen Umfeld zu einer Kursänderung beitragen kann.“

Alle Vorträge sind hier als Videos kommende Woche abrufbar: www.arche-noah.at