Des Menschen Gespür für Zahlen
Von Axel Halbhuber
Der bekannteste österreichische Mathematiker Rudolf Taschner ist nicht gut im Kopfrechnen. Dafür beim Zahlenverständnis; „Ich verstehe ganz gut, wie mathematische Sätze entstehen und was sie bedeuten.“
Der 15-jährige Valentin Hübner nennt das „mathematisches Gespür“. Er besucht die 6. Klasse der Sir-Karl-Popper-Schule für Hochbegabte. Mit dem 60-jährigen Taschner teilt er die Liebe zur Mathematik: „Um Rechnungen auszuführen, reicht analytisches Denken, man reproduziert Lösungen nach Schema F. Mich interessiert, neue Beweise, Formeln und Methoden zu finden. Das ist wirkliche Mathematik, nicht nur Rechnen.“ Eine neue Studie verdeutlicht diesen Unterschied. Neurobiologen der Stanford University in Kalifornien fanden so etwas wie ein Mathe-Zentrum im Hirn: ein Zentimeter groß, mit zwei Millionen Nervenzellen, in der äußeren Hirnrinde. Dass der Bereich für die Verarbeitung visueller Informationen zuständig ist, weiß man schon länger. Aber jetzt entdeckten die Forscher, dass die Region beim Anblick von Zahlen übermäßig aktiv ist. Dies belegt erstmals, dass manche Nervenzellen auf die Verarbeitung von Zahlen spezialisiert sind.
Zahlen sind die Idee
Die Verbindung dieser beiden Vorgänge liegt in der evolutionären Spezialisierung besagter Hirnregion. Die Studienforscher erklären die Entwicklung mit der irgendwann notwendig gewordenen Fähigkeit, visuelle Reize wie Linien aus verschiedenen Blickwinkeln unterscheiden zu können. So konnten die Affen im Dschungel von Ast zu Ast schwingen, ohne danebenzugreifen.
So praktisch lassen sich weder Hübners noch Taschners Erkenntnisse anwenden. Schüler Hübner (Lieblingszahl 18): „Mathematik wird nicht gemacht, um sie anwenden zu können. Sie ist das Losgelösteste, das es gibt. Genau deshalb ist sie so universell, sie liegt allem zugrunde.“ Zum Frühstückmachen brauche er sie nicht.
Natürlich ist der analytisch-rechnerische Umgang mit Zahlen spektakulärer: Menschen, die sehr schwierige Rechnungen im Kopf durchführen oder sich extrem lange Zahlen merken können, werden in TV-Shows beklatscht. Solche Spezialbegabungen haben für Professor Taschner (Lieblingszahl 313) aber nichts mit seiner Faszination für Zahlen zu tun: „Diese sogenannten Inselbegabten sind beeindruckend. Aber das Wichtigste an einer Zahl ist ja, dass es immer eine größere gibt, Zahlen sind nur eine Sprosse zur Unendlichkeit.“
Taschner, dessen kommendes Buch „Die Zahl, die aus der Kälte kam“ heißt, sind theoretische Probleme lieber, etwa ob es eine „ungerade vollkommene Zahl“ gibt? „Das Schöne an der Mathematik ist, man braucht diese Antwort zu gar nix. Aber das Problem ist eben da. Sudokus braucht man ja schließlich auch nicht.“
Lesen Sie morgen: Faszination Sudoku – und was ist Logik?
... dass sich zwar schon die Hochkulturen in Babylon und Ägypten mit Mathematik befassten, das Wort selbst aber aus dem Griechischen kommt? „Mathema“ bedeutet „Erlerntes“ oder „Kenntnis“. Bei den antiken Griechen befasste sich Mathematik aber meist nur mit „Geometrie“.
... dass man derzeit 10 Milliarden der unendlichen vielen Kommastellen der Kreiszahl Pi kennt. Für diese Berechnung brauchte ein Computer vor zwei Jahren 191 Tage. Vor zehn Jahren waren erst eine Milliarde Stellen bekannt.
... dass das Verständnis von negativen Zahlen erst 700 nach Christus in Indien entstand?
... dass sich das Wort „Ziffer“ vom arabischen Wort für „null, nichts“ ableitet? Unsere Ziffern kommen zwar aus Indien: Die Brahmi-Zahlschrift gelangte allerdings über den arabischen Raum nach Europa. Deshalb sprechen wir heute von den sogenannten arabischen Ziffern. Diese lösten im Spätmittelalter – gefördert durch den Buchdruck – die bis dahin vorherrschenden römischen Zahlen ab, weil sie einfacher waren.