Leben/Gesellschaft

Der Wer-mit-wem-Atlas

Bei den Kalash, einem Volk in Pakistan, gibt es eine Legende, erzählt Daniel Falush. "Sie glauben, dass sie von Alexander dem Großen abstammen." Neuerdings kann der Genetiker nachweisen, dass mehr als nur ein Quäntchen Wahrheit in den alten Überlieferungen steckt. "Es gab vor mehr als 2000 Jahren tatsächlich einen europäischen Beitrag zum Erbgut der Kalash". Daniel Falush weiß das, weil er und ein Forscherteam vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, von der Oxford University und vom University College London eine Weltkarte erstellt haben, die nachzeichnet, wer sich wann mit wem vermischt hat.

"Wir haben in jeder Population Hinweise auf Migration gefunden", sagt Falush. Den Wissenschaftlern ist es gelungen, die genetische Geschichte von 95 Populationen aus Europa, Afrika, Asien und Südamerika über 4000 Jahre nachzuzeichnen. Publiziert wird die Studie in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science.

Die Überraschung

Historische Ereignisse lassen sich punktgenau im Genom der Menschen ablesen. "DNA hat die Macht, gelebte Geschichte zu erzählen und Details aus der Vergangenheit der Menschheit ans Licht zu bringen", sagt Simon Myers, der an der Oxford University und dem Wellcome Trust Centre for Human Genetics forscht.

"Viele unserer genetischen Beobachtungen passen zu historischen Ereignissen", sagt Myers. So habe sich das genetische Erbe des Mongolischen Reiches in mindestens sechs Populationen erhalten. "Bis in die Türkei können wir ihre DNA nachweisen", ergänzt Daniel Falush. Dschingis Khan und seine Reiter hatten also einen nicht unbeträchtlichen Einfluss auf das Genom in Eurasien. Myers weiter: "Wir finden aber auch Hinweise auf bisher unbekannte Fälle genetischer Vermischung." Die DNA der heute in China lebenden Tu zeigt beispielsweise, dass sich um das Jahr 1200 Europäer griechischer Herkunft mit der damals dort lebenden chinesischen Bevölkerung vermischt haben", sagt Myers. "Es scheint plausibel, dass der Anteil europäischer DNA von Händlern stammt, die damals die Seidenstraße bereisten."

Wenn Eltern aus verschiedenen ethnischen Gruppen sich miteinander fortpflanzen, ist das Erbgut ihrer Nachkommen eine Mischung aus der DNA beider. Stücke dieser DNA werden dann an darauffolgende Generationen weitergegeben und gelangen so bis in die heutige Zeit. Für ihre Analyse haben die Forscher komplexe statistische Methoden entwickelt.

Wie es funktioniert

Das Forscherteam verwendete für den interaktiven Erbgut-Atlas (http://admixturemap.paintmychromosomes.com/) die Genom-Daten von 1490 Menschen, um DNA-Blöcke zu identifizieren, die Menschen unterschiedlicher Populationen gemeinsam haben. Die, die näher miteinander verwandt sind, besitzen mehr gemeinsame Blöcke.

"Manchmal finden wir bei Menschen aus angrenzenden Regionen überraschende Unterschiede", sagt Co-Studien-Autor Garrett Hellenthal vom University College London. "So konnten wir bei in Pakistan lebenden Gruppen verschiedene Ereignisse identifizieren, die sich zu unterschiedlichen Zeiten zugetragen haben: Einige erbten DNA aus Afrika südlich der Sahara, möglicherweise durch den arabischen Sklavenhandel, andere aus Ostasien und wieder andere aus dem alten Europa." Bei fast allen Populationen wurde Vermischung festgestellt, Migration von Menschen über große Entfernungen sei also immer durchaus üblich gewesen.

Neben einem frischen Blick auf historische Ereignisse könnte die Studie auch Infos über Krankheit liefern, ist Myers überzeugt: "Die genetischen Unterschiede zwischen Völkern zu verstehen, ist der Schlüssel zur Gesundheit".

Indianer sind Asiaten

Und noch ein weiteres großes Rätsel konnte jetzt mithilfe der Genetik gelöst werden: Ein Wissenschaftler-Team hat in einer umfangreichen Genom-Studie, publiziert im Wissenschaftsmagazin Nature, nachgewiesen, dass die Ureinwohner Amerikas direkt von asiatischen Einwanderern abstammen. Sie untersuchten dafür das Erbgut eines Buben, der vor 12.600 Jahren als Kleinkind gestorben und im heutigen US-Staat Montana begraben worden war. Damit ist eine vielfach diskutierte Theorie wohl vorerst vom Tisch: Dass die Ureinwohner auch von Europäern abstammen könnten.