Leben/Gesellschaft

Jugendforscher fordert zum Ungehorsam auf

Er arbeitet und lebt die meiste Zeit des Jahres in Hamburg. Wenn er ab und zu in seiner Heimatstadt Wien vorbeischaut, hat er immer scharfe Kritik mit im Gepäck. Was speziell die Eliten in Politik, Wirtschaft und Kirche verstört. Der nächste Aufreger wird gerade ausgeliefert: Morgen erscheint das neue Buch von Bernhard Heinzlmaier. Auch das Interview, das der Jugendforscher und Thomas-Bernhard-Fan dem KURIER vorab gab, hat’s in sich.

KURIER: "Zur Hölle mit den Optimisten", lautet der Untertitel Ihres neuen Buchs. Wer sind für Sie diese Optimisten?

Bernhard Heinzlmaier: Managementtrainer, Manager, Politiker, Esoteriker, Mullahs, Priester und viele mehr. Die einen wollen uns einreden, dass wir aus uns alles machen können, wenn wir nur richtig an uns arbeiten. Die anderen erklären, dass wir nach unserem Tod in die Glückseligkeit des ewigen Lebens eingehen. In Wirklichkeit sind unsere Möglichkeiten in diesem Leben beschränkt – und das Paradies ist eine Wahnvorstellung. Zudem glaube ich nicht daran, dass jene die Glücklichen sind, die Ziele haben und an sich arbeiten. Besser ist es wohl, seine eigene Karriere nicht großartig zu planen, und, ohne sich groß anzustrengen, beruflich das zu nehmen, was kommt. Das haben wir leider verlernt.

"Anleitung zur Unruhe", so der Titel: Was verstehen Sie unter Unruhe?

Ich möchte möglichst viele Menschen beunruhigen. Unruhe entsteht dann, wenn die Zahl derer, die die gegenwärtige Lebensart als alternativlos hinnehmen, kleiner wird, wenn viele von uns durch direkte Aktionen im Alltag das Funktionieren dieses kranken Systems behindern. Es geht mir um nichts Großes, mehr um kleine Bosheiten. Zum Beispiel, dass man sich im Flugzeug in den Mittelgang stellt und ganz langsam sein Handgepäck einräumt, während die Business-Deppen dahinter nervös herumzappeln, weil sie nicht weiterhetzen können. Oder dass man die sogenannten Netzwerker, eines der größten Übel unserer Zeit, gezielt mit falschen Informationen versorgt, damit sie in die Irre gehen. Widerstand muss Spaß machen. Das haben die Revolutionäre der Vergangenheit vergessen und sind deshalb gescheitert.

Wer sind für Sie Unruhestifter? Und was haben die davon?

Jeder kann einen Beitrag zur Störung der Verhältnisse leisten. Ja, und es kann furchtbar viel Spaß machen, wenn man Menschen, die sich nur deshalb mit uns befreunden, weil sie von unseren Kontakten profitieren wollen, so lange in einem subversiven Anti-Netzwerk im Kreis schickt, bis sie erschöpft zusammenbrechen. Jeder coole Netzwerker, den wir in die Resignation treiben, ist am Ende ein Beitrag zur Humanisierung der Gesellschaft.

Hm, das soll alles sein? Was fällt Ihnen noch ein?

Lust an der Bosheit ist das Stichwort. Wir müssen wieder lernen, uns über die kleinen alltäglichen Subversionen zu freuen, denn die haben einen guten Zweck. Sie schwächen die inhumane Leistungs- und Konkurrenzgesellschaft, in der der Markt wichtiger genommen wird als der Mensch. Ich träume davon, dass Tausende Menschen mehrmals pro Woche beim Online-Handel bestellen, um dann alles wieder zurückzuschicken – so lange, bis dieser zusammenbricht. Denn der Online-Handel ist auch eines dieser Übel. Er vernichtet das kleine Gewerbe, das unsere Lebenswelt lange Zeit liebenswert, reizvoll und vor allem menschlich macht.

Eine persönliche Extra-Feindschaft pflegen Sie offensichtlich zu erfolgsorientierten Jungmanagern in Designeranzügen.

Das sind die Repräsentanten einer oberflächlichen Geistlosigkeit, die längst das Denken durch das Rechnen ersetzt hat. Es ekelt mich vor Menschen, die nur deshalb arbeiten, um Erfolg zu haben, denen die Sache, die sie tun, egal ist. Es gibt ja solche Managementkarrieren zuhauf. Da arbeitet einer zuerst für einen Energiekonzern, am nächsten Tag für ein Transportunternehmen, dann noch für die Kriegsindustrie und einen Hegdefond und am Ende will er dann auch noch in der Politik Karriere machen. Ich sage es ehrlich: Wenn ich häufig auf solche trostlosen Geistesminiaturen treffe, ist das gut für meine Gesundheit. Weil mir ihre Präsenz den Appetit raubt – und ich so abnehme.

Ist der Jugendforscher am Ende gar böse auf die Jugend?

Die Jugend gibt es nicht, sie ist eine Abstraktion, ein sehr allgemeiner Begriff. Einem Begriff kann man nicht böse sein. Böse sein kann man tatsächlichen Menschen. Böse bin ich auf den Papst, mit seinem hirnlosen Gelabere über Kindererziehung, auf Angela Merkel, wegen ihrer bankenfreundlichen Europapolitik und auf den König von Saudi-Arabien wegen seines inhumanen Despotismus. Ich freue mich über alle jungen Menschen, die diesen Horrorfiguren mit Lust, Freude und Spaß entgegentreten.

Supermärkte, Banken, Flughäfen: Sie konstatieren, dass es vor dreißig Jahren für die Kunden weniger hektisch war. Aber beschwören Sie damit nicht auch die gute alte Zeit, in der alles angeblich besser war?

Ja, die alte Zeit war besser. Und die Zukunft wird noch schrecklicher als die Gegenwart. Ich sehne mich nach der Zeit zurück, als die Geschäfte am Samstag um 12 Uhr geschlossen wurden und dann eineinhalb Tage wirklich Ruhe war. Als man am Abend um 19.30 Uhr in den Nachrichten noch echte Neuigkeiten erfahren hat. Als es nur zwei Fernsehsender gab, als sich die ganze Familie vor dem Fernsehgerät versammelte, um gemeinsam "Wünsch Dir was" zu sehen und um 22.30 Uhr Sendeschluss war. Als meine Mutter beim kleinen Kaufmann am Eck mit mir einkaufen ging. Es gab damals von allem weniger, aber das Wenige, das wir hatten, hatte für uns einen größeren Wert.

Ihr Buch erscheint in einem Verlag, der an einem Getränkekonzern dranhängt. Es gibt konsequentere Gesellschaftskritiker als diesen Konzern. Warum erscheint Ihr Buch gerade dort?

Ich bin froh, dass ich diesen Verlag habe, weil das tolle Menschen dort sind, die ich wahnsinnig gerne mag. Mein Highlight war ein Gespräch mit der früheren Lektorin von Thomas Bernhard, die auch dort arbeitet. Thomas Bernhard ist von Jugend an mein Lieblingsautor gewesen. Ich liebe seinen Pessimismus und Zynismus. Und dann darf ich mit der Frau sprechen, die seine Lektorin war. Ab diesem Zeitpunkt habe ich den Brausekonzern im Hintergrund vergessen. Ich bin ja ein geübter Verdränger. Ich lege mir die Welt einfach so zurecht, dass sie mir passt. So lange ich das Zeug nicht trinken muss, ist für mich alles in Ordnung.

Und wie wäre die Welt am Ende, wenn wir alle – wie von Ihnen empfohlen – "mit den Machthabern unseren täglichen kleinen Schabernack" trieben?

Ein wenig lustiger, offener, freier, unkonventioneller, unernster. Ich glaube ja überhaupt, dass man den Ernst, die Ernsthaftigkeit aus den meisten Verhältnissen austreiben muss. Ich rede ja auch noch immer zu viel gravitätisch und humorlos daher. Dabei ist ja das Meiste im Leben der Menschen lächerlich. Meine Überzeugung heute: Es lohnt sich, nicht ernst genommen zu werden. Mehr über modernes Rebellentummorgen im Karriere-KURIER.

Alle Inhalte anzeigen

Bernhard Heinzlmaier, Jahrgang 1960, hat nach einer für ihn wenig erbaulichen Zeit in einer katholischen Privatschule in Wien-Strebersdorf an der Universität Wien studiert, um sich dann mit Jugend- und Meinungsforschung einen Namen zu machen. Er ist Mitbegründer des Instituts für Jugendkulturforschung und seit dem Jahr 2003 ehrenamtlicher Vorsitzender. Quasi der Senior unter den Jungen. Er leitet gleichzeitig in Hamburg das Marktforschungsunternehmen tfactory (Filiale in Wien).