Leben

Geheimtipp Graz: Italienisches Flair in Österreich

Dieter Hardt-Stremayr weiß von einem bekannten Dirigenten, der in Graz zu Gast war und nach Wien weiterreisen musste. Der Mann sei, erzählt der Grazer Tourismuschef gerne, am Bahnhof der Bundeshauptstadt ausgestiegen, in Richtung Zentrum marschiert, habe dann aber, immer noch das Grazer Flair im Kopf, kehrt gemacht und den nächsten Zug zurück in die Steiermark genommen. „Genau das“ sei es, sagt Hardt-Stremayr, was Graz ausmache: „Dieses Gefühl, das man nicht beschreiben kann, von dem man aber weiß, was es ist, wenn man es einmal gespürt hat, und das einem dann woanders abgeht.“  

Das Graz-Feeling also. Irgendetwas muss die Stadt wohl haben, die zwar immer noch ein Geheimtipp unter den vielen heimischen Tourismus-Destinationen ist, inzwischen jährlich aber 1,1 Millionen   Gästenächtigungen verzeichnet, mehr als das Doppelte als noch vor Jahren. 44 Prozent der Besucher stammen aus Österreich, 20 Prozent aus Deutschland, der Rest ist wild gemixt: Großbritannien und die USA sind gut vertreten, auch Italien und andere Länder. Asien entwickelt sich zu einem Hoffnungsmarkt.

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Die Leichtigkeit des Grazer Seins

Warum aber jetzt ausgerechnet das weitgehend unbekannte Graz? Es ist womöglich diese Leichtigkeit, die über der Stadt liegt, vor allem über der Altstadt, diese steirische Version von Easy-Going und Laisser-faire. Man spürt das richtig. Die Grazer Innenstadt, die als Europas größte erhaltene und zusammenhängende Altstadt gilt, versprüht einen speziellen Charme. Man kann sich dem tändelnden Flair vor allem im Frühling und Sommer schwer entziehen.

Irgendwie ist es, als schwebe über allem eine Portion Süden, ein kleines Stück mediterranes Italien. Plätze mit Straßencafés verteilen sich über die Altstadt. Wer durch die mittelalterlichen Gassen flaniert, könnte leicht das Gefühl entwickeln, dass das Leben hier zwei Gänge zurückgeschaltet hat. Straßenkunst und Flaneure gibt es an jeder dritten Ecke. Die Touristen mögen das – und die knapp 300.000 Grazerinnen und Grazer, die allesamt ziemlich entspannt daherkommen, wohl auch.

Shopping geht hier ausgezeichnet. Es gibt im Zentrum nicht nur das fashionable Großkaufhaus „Kastner & Öhler“, das gleich hinter dem Hauptplatz in einem Gebäude im alten Warehouse-Stil des vorvergangenen Jahrhunderts residiert. Sondern in den vielen Seitenhöfen der Herrengasse, der zentralen Lebensader der Altstadt, faulenzen auch zahlreiche in mittelalterliche Häuser hineingebaute Boutiquen vor sich hin.

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Shopping-Kultur-Mix

Flanieren und Kultur, gemixt mit Sightseeing, und das alles auf engem Raum – das ist das Grazer Geheimnis, das kann die Stadt richtig gut: An einem einzigen Tag shoppen, Museen besuchen, per Seilbahn auf den zentralen Berg fahren, über der Stadt einen Drink nehmen, mit Indoor-Rutsche oder Lift im Berg wieder hinunterfahren und dann irgendwo gut zu Abend essen, das funktioniert in dieser Komprimiertheit nicht in vielen Städten.

Mit Glück findet sich spätabends dann noch irgendwo eine Literatur-Lesung, etwa im Hauptquartier des Steirischen Herbstes im Stadtpark, denn Graz ist auch eine geheime Literaturhauptstadt Europas. Besondere literarische Sehenswürdigkeit: das im Wald versteckte Cerrini-Schlösschen an der Südflanke des Schlossberges, in dem Graz seine Stadtschreiber für jeweils ein Jahr unterbringt und zu dem man nur vordringt, wenn man im Herbersteingarten am Fuße des Uhrturms ein kleines Metalltürchen überklettert hat – ein Insidertipp. 

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Sightseeing-Klassiker

Stichwort Uhrturm: Die klassischen Grazer Sehenswürdigkeiten – also das Wahrzeichen der Stadt mit seinen vertauschten Stunden- und Minutenzeigern, die Kasemattenbühne und der ehemalige Gefängnisturm „Liesl“ oben am Schlossberg, das Zeughaus, außerdem das herrschaftliche Barockschloss Eggenberg mit seinem Park draußen vor der Stadt – wollen natürlich abgehakt werden.

Man sollte sich auch Zeit gönnen, die Zerrissenheit zu erleben, die es in Graz gibt. Man sieht sie am besten von oben am Schlossberg – eindeutig erkennbar teilt die Mur die Stadt in ein Rechts und Links: Am linken Murufer sind die wohlhabenden Bildungsbürger zu Hause, logieren die drei traditionellen Universitäten, gibt es den freundlich snobistischen Hilmteich, Gründerzeithäuser und Prunkvillen in Nobelvierteln. Rechts der Mur liegen die Arbeiterbezirke, beanspruchen Industrieflächen ebenso Platz wie der Bahnhof. Erst seit Kurzem entstehen dort bessere Wohnviertel, gibt es auch eine Hochschule.

Das zerrissene Graz, das ist auch ein ständiger Kampf zwischen Jung und Alt, denn Graz ist sowohl eine Stadt der Pensionisten wie der Studenten: Rund 50.000 Studierende treffen auf gut 60.000 Rentner. Gegensätze gibt es auch politisch: Die Stadtregierung setzt sich aus Rechtspolitikern genauso zusammen wie aus Vertretern linker Parteien – eine in Österreich in dieser Form einzigartige Kombination.

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„Green, green Graz of home"

Graz hat für viele etwas, zum Beispiel aus kulinarischer Sicht: Im Trendviertel Lend – rechts der Mur – haben sich Kreative angesiedelt und ist eine lebhafte Multikulti-Szene mit Straßenbars und einfachen Restaurants entstanden, während sich in der Innenstadt – linke Murseite – eine feine Bar- und Gastroszene entwickelt hat.

Demnächst erwartet die Stadt dank einiger innovativer Projekte wie einer Seilbahn über den Hausberg Plabutsch oder einem Mur-Badestrand einen Entwicklungsturbo. Auf zwei Millionen Nächtigungen will Tourismus-Chef Dieter Hardt-Stremayr Graz irgendwann gepusht sehen. Vielleicht gelingt es den Stadtvätern ja sogar doch noch, auch die aufsehenerregende Murinsel, eine Konstruktion des verstorbenen New Yorker Stararchitekten Vito Acconci aus dem Kulturhauptstadtjahr 2003, zu einem echten Nachnutzungsleben zu erwecken.

„Green, green Graz of home“, sagt Superstar Arnold Schwarzenegger, dem im Vorort Thal ein eigenes Museum gewidmet ist, zu seiner Geburtsstadt.  „Graz, wo schon beim Spazierengehen die Träume fliegen“, schreibt der in der italienischen Partnerkommune Triest lebende deutsche Krimiautor Veit Heinichen. Und Wolfgang Bauer, der große Literaten-Sohn der Stadt, schrieb, er brauche einen Ort, an dem es innerlich tobe: „Zum Beispiel New York oder Graz“. Graz hat’s halt.