Leben/Gesellschaft

Das Ende des Schattendaseins

Das Schöne blüht im Verborgenen. Das gilt im übertragenen Sinne auch für die Botanik im Naturhistorischen Museum in Wien. Der Museumsbesucher kennt sie nicht, denn die Pflanzenforscher haben keinen eigenen Schausaal. Doch in den Archiven des Museums lagern fast 6 Millionen Belege mit gepressten Pflanzen, die ältesten stammen aus dem 16. Jahrhundert. Eine Gelegenheit, einen Blick auf eine der umfangreichsten Sammlungen der Welt zu bekommen, bietet sich seit Freitag. Die Schau "Reichenbachs Orchideen" ist nicht nur wegen der historischen und lebenden Objekte faszinierend, Reichenbachs Herbar ist Teil der Geschichte des Museums.

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1889 wurde die größte private Pflanzensammlung der Welt dem Museum vermacht. Laut letztem Willen des Besitzers, des Botanikers und fanatischen Orchideen-Sammler Heinrich Gustav Reichenbach, musste die Sammlung allerdings versiegelt und durfte erst 25 Jahre später der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das passierte wunschgemäß 1914, kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs. Die Pflanzensammlung musste daraufhin in größter Eile geordnet werden, bevor die Präparatoren eingezogen wurden.

Gruß aus den Tropen

Zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert lag die Welt im Orchideen-Fieber. Forschungsreisende schickten ständig neue unbekannte Exemplare aus den Tropen nach Europa. Dort saßen einige wenige Spezialisten, Reichenbach in Hamburg und John Lindley in den Royal Botanic Gardens in Kew bei London. Nur sie konnten die Pflanzen kultivieren und bestimmen. Als "goldene Ära der Orchideen-Forschung", bezeichnet sie NHM-Botaniker Johannes Walter. Und im Grunde hält dieser Rausch bis heute an. Vor allem Amateur-Botaniker beschreiben laufend neue Arten.

Im Alltag hat sich die Begeisterung für die Farben- und Formenvielfalt der Orchideen, vor allem ihrer Blüten, auf wenige Gattungen eingegrenzt: Miltonia, Oncidium und vor allem Phalaenopsis. "Phalaenopsis ist an trockene Verhältnisse angepasst und hält ziemlich viel aus", sagt der Botaniker Heimo Rainer.

An einem Arbeitsplatz im Museumsherbar beugt sich Johannes Walter über ein gepresstes Oncidium-Exemplar aus dem Reichenbach-Fundus. Auf dem Etikett ist die krakelige Handschrift des "Orchideen-Königs" verewigt: "plant ... Oncidium ... affinity (Nähe) ... density (Dichte)", mehr kann Walter auf die Schnelle nicht entziffern.

Unter Esoterik-Verdacht

Deutlicher sind Reichenbachs Skizzen, die ebenfalls in der Orchideen-Schau zu sehen sein werden. Der deutsche Gelehrte verfügte über eine heute selten gewordene Gabe, eine detail- und maßstabsgetreue Zeichentechnik. "Es gab Zeitgenossen, die Reichenbach vorgeworfen haben, er arbeite haarfeine Unterschiede heraus und sei ein Esoteriker. Reichenbach war halt sehr genau." Und Genauigkeit ist in der Orchideen-Kunde das A und O. Vielleicht sollte man besser sagen: Das "Aa", denn so nannte der alte Reichenbach eine von ihm beschriebene Orchideen-Gattung. So stellte er sicher, dass die von ihm aufgestellte Gattung immer als erste in den alphabetisch geordneten Sammlungen aufscheinen würde. Der eitle Reichenbach war sich seiner Ausnahme-Stellung bewusst und wollte sie über seinen Tod hinaus bewahren.

Das Leben des Orchideenkönigs

Heinrich Gustav Reichenbach (1824–1889) entstammte einer angesehenen Biologen-Dynastie, in seiner Jugend traf er den Naturforscher Alexander von Humboldt und den berühmten Botaniker Robert Brown. Reichenbach galt in England und auf dem Kontinent als Orchideen-Koryphäe, als „orchid king“, aber auch als schwierig. Er widersetzte sich dem Zeitgeist, indem er zu einer Zeit als Deutsch und Französisch die Sprache der Wissenschaft waren, auf Englisch korrespondierte. Aus seinen zahlreichen Auszeichnungen machte er sich wenig, eine typische Reaktion Reichenbachs: „I cannot eat the honor. (Ich kann Preise nicht essen, Anm.)“
Bei Kollegen war Reichenbach unbeliebt, weiß der Leiter der Botanischen Abteilung am NHM, Ernst Vitek. „Er war extrem schnell beleidigt und nachtragend.“ Eine Folge: er schaffte es nur zum Professor für Naturgeschichte am Akademischen Gymnasium in Hamburg – die Berufung auf einen wissenschaftlichen Lehrstuhl blieb aus.

1865 starb Reichenbachs Lehrer und Förderer John Lindley. Bis zum Tod des Leiters der Orchideensammlung der Royal Botanic Gardens in Kew bei London wurde Reichenbach mit Pflanzenmaterial versorgt. Er erhielt Unmengen Blüten und Blätter lebender Orchideen, die er presste und beschrieb. Daneben bekam er Sendungen aus Südamerika und Asien von Reisenden, die ihr Material an Reichenbach sandten, damit er die neu entdeckten Pflanzen nach ihnen benannte. Insgesamt beschrieb er 1200 Orchideen. Als Lindleys Nachfolger die Lieferungen beendete, war Reichenbach von seiner wichtigsten Quelle abgeschnitten. Die Folge dieser Kränkungen: weder London noch Hamburg wurden in seinem Testament bedacht, dafür aber Wien, wohin er seit Studentenzeiten gute Kontakte unterhielt. Vier Waggons voller Orchideen-Belege machen die botanische Sammlung des NHM bis heute zu einer der fünf größten der Welt. Über seine Passion sagte Reichenbach: „Frau hin oder her, mein Herbar ist meine Braut.“.

Das Erbe

Die gesamte Herbarmenge von Reichenbach – fast 1 Million Belege sowie 60.000 Orchideen und 8000 Abbildungen und Skizzen – das macht ca. 18 % des Gesamtbestandes des botanischen Archivs des Museums aus. Als das Herbar ins k. u. k. Hofmuseum übernommen wurde, bedeutete das eine Verdoppelung der damaligen Herbarmenge.

Ausstellung :Reichenbachs Orchideen – Verstecktes Erbe im NHM Wien. Saal 50. Dauer: 14.2.–21.4.2014.

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Nachschlage-Werk:
Norbert Novak: Heimische Orchideen in Wort und Bild. 2. Auflage, 112 Seiten, über 150 Abbildungen, Stocker Verlag. Preis: 14,90€

Im Jahr seines 125-jährigen Bestehens könne das Naturhistorische Museum Wien kein „Zugpferd“ ins Rennen schicken, also keinen Publikumsmagneten wie die „Körperwelten“ 2013 aufbieten. Für einen Paukenschlag sorgte der Direktor des Hauses, Christian Köberl, dennoch, als er das Jahresprogramm 2014 präsentierte: Anlässlich der Jubiläums-Feiern im September wird das neue digitale Planetarium präsentiert.
Im Saal 16 des Museums wird ein digitales Projektionssystem eingerichtet. Es besteht aus einer Innenkuppel mit 8,5 Meter Durchmesser und einer schallisolierten Außenkuppel. 60 Sitzplätze sind vorgesehen. Eine direkte Konkurrenz zum Zeiss-Planetarium im Wiener Prater sieht Köberl nicht. Die „Fulldome-Projektion“ im NHM sei eine „ideale Ergänzung“ zu klassischen Museumsausstellungen. So ist es möglich, zum Mond zu fliegen, durch die Saturnringe, zu entfernten Nebeln, Exoplaneten oder sogar an den Rand der Milchstraße.
Schon ab kommenden Samstag ist der Chelyabinsk-Meteorit im Meteoritensaal zu sehen. Ein Bruchstück jenes 20 Meter durchmessenden Asteroiden, der vor einem Jahr über der russischen Stadt explodierte – das laut Köberl „spektakulärste kosmische Ereignis der vergangenen 100 Jahre“.