Leben/Gesellschaft

Bei Fluchtspielen in 60 Minuten den Fall lösen

Ein komplizierter Fall: Ein Mann ist angeblich bei einem Verkehrsunfall verunglückt, jetzt muss die Unfallstelle untersucht werden. In einem kleinen Café finden die Ermittler Spuren, die Zweifel an der Geschichte wecken. Was ist passiert? Werden sie den Fall in 60 Minuten lösen können? Genau so viel Zeit haben die Hobby-Detektive nämlich, um ihre Kreativität und Kombinationsfähigkeit in einem "Escape-Room" zu testen.

Dieses Konzept der modernen Schnitzeljagd wurde in Japan und Ungarn erfunden und entwickelte sich als reale Umsetzung von Videospielen sowie Detektivromanen à la Agatha Christie. Dabei gilt es, sich etwa aus einer U-Boot-Krise zu retten oder einen Mordfall zu lösen. In Österreich finden die Kurz-Abenteuer immer mehr Fans.

Lust auf Nervenkitzel

Bei den rund 30 heimischen Anbietern ist Hochsaison, wenn es draußen kalt und dunkel ist. Drei verschiedene Geschichten bietet die elegante "Escape Hunt Experience" in einem modernen Bürohaus in der Wiener Landstraße: Das geheimnisvolle Kaffeehaus aus der Zeit des legendären Nachkriegsfilms "Der Dritte Mann" liegt neben dem Raum, in dem ein Geheimnis in Mozarts Familiengeschichte geklärt werden muss. Bei einer dritten Geschichte wachen die Spieler ohne Erinnerung an ihre Nacht im Prater auf. Sie sind verpflichtet, Stillschweigen über die Einsätze zu wahren – Agenten-Regel –, schließlich will jeder selbst die bunten Schlösser knacken und die Fußspuren verfolgen.

In der Besucher-Bewertung der Online-Plattform Tripadvisor liegt derzeit der Wiener Anbieter "Crime Runners" an der Spitze. Dessen Chef Lukas Rauscher ist selbst begeisterter Spieler. "Dieses Hobby ist aktiver als im Theater zu sitzen und sich berieseln zu lassen" – und mit rund 25 Euro pro Person sogar billiger, betont er. Erst kürzlich hat er seine Geschichte weiterentwickelt. Wer den Mord an dem korrupten englischen Politiker Simon Dickson gelöst hat, kann gleich im nächsten Raum am Fall weiterarbeiten.

Gruppendynamik

Für eine Stunde ist effiziente Zusammenarbeit nötig. Sofort zeigt sich die Gruppendynamik: Wer sucht die Hinweise? Wer kombiniert? Wer behält den Überblick? Sogar nach Jahren der Freundschaft erlebt man Überraschungen: Wenn die Ruhigste in der Runde überraschend die Führung übernimmt.

Selten macht es so viel Spaß, unter Zeitdruck zu arbeiten. Ein Hinweis führt zum nächsten und jeder Erfolg spornt die Gruppe noch mehr an, die komplizierten Zahlen- oder Buchstabenkombinationen zu knacken. Wenn ein Team gar nicht mehr weiter weiß, greift der Spielleiter per Funk ein.

Die Teilnehmer werden nämlich nervös, wenn sie die Spur verlieren, weiß Rauscher: "Wir hatten Gäste, die haben mit Gewalt ein Rohr aufgebogen, weil sie der Meinung waren, dass sich dort ein Hinweis verbirgt. Seither weisen wir alle darauf hin, dass man für das Spiel keine Körperkraft braucht." Aber Körpereinsatz ist nötig, nicht nur Köpfchen: Spuren entdeckt man am Boden, in Kästen und hinter Geheimtüren.

Rundum-Erlebnis

Die Technik spielt dabei eine immer größere Rolle – nur Schlösser zu knacken, holt niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Viele Hinweise kommen aus Lautsprechern oder vom Bildschirm. Sogar ein Zeit-im-Bild-Sprecher hat seinen Auftritt. Moderne Escape-Rooms sind ein Rundum-Erlebnis. "Wer einmal zu spielen begonnen hat, sucht neue Herausforderungen", beobachtet Rauscher die gestiegenen Erwartungen seiner Besucher.

"Es gibt Firmen, die sich auf das Storytelling – Entwickeln von Geschichten – und Technik für Escape-Rooms spezialisieren", erzählt er. In den USA werde bereits mit Virtual Reality experimentiert: Dort bewegen sich die Besucher mit speziellen Brillen durch computeranimierte Welten. Für 60 Minuten Auszeit in der Zukunft.