Axels Terrasseneintopf: "Das ist kein Kaktus"
Von Axel Halbhuber
In Zeiten alternativer Fakten stellt sich die Frage, was die Wahrheit zur Wahrheit macht. Sind diese „Fakten“ wirklich sooo viel wichtiger als der persönliche Eindruck? Kann es etwa Klimawandel geben, wenn mir persönlich kalt ist?
Ich frage mich das wegen meines einzigen Kaktus’. Ein Prachtkaktus. Bevor ich ihn jüngst endlich hineinwinterte, bat ich Thomas Hölzel für eine Expertise zu mir, der Mann ist nämlich Präsident der Wiener Kakteenfreunde (www.cactusaustria.at).
„Ich muss dich gleich enttäuschen“, sagt Hölzel sofort nach freundlicher Begrüßung. „Das ist kein Kaktus. Das ist ein Wolfsmilchgewächs.“
Ich verdutzt, bleibe aber stur: „Natürlich ist das ein Kaktus. Jedes Kind zeichnet einen Kaktus genau so.“
Hölzel ist seit fast dreißig Jahren Kakteen-Präsident, seine eMail-Adresse beginnt mit „cactusman“. Er lächelt mitleidig: „Nur weil es sticht, ist es noch kein Kaktus, Rosen stechen auch.“
Ein Moment für Oberlehrertum: Rosen haben keine Dornen, wie das Märchen erzählt, sondern Stacheln. Kakteen hingegen haben nicht Stacheln, sondern Dornen. Dornen sind veränderte Pflanzenteile, beim Kaktus waren das ursprünglich Blätter. Stacheln sind bloße Auswüchse zum Schutz.
Giftig
Mein falscher Kaktus hat aber auch Dornen. Hölzel bricht eine ab, sofort rinnt ein milchiger Saft heraus. „Bei einer Euphorbia (das Wolfsmilchgewächs; ein Präsident nennt Pflanzen lieber auf Latein) rinnt der Saft heraus, wenn man sie verletzt. Da muss man aufpassen, das brennt extrem, wenn er in die Augen, in Mund oder Nase kommt.“ Tatsächlich soll man solche Gewächse mit Handschuhen schneiden und dabei gut lüften. Kinder und Haustiere derweil eher verbannen.
Die Dreikantige Wolfsmilch (als einfacher Terrassengärtner verwende ich deutsche Namen) wird trivial oft Westernkaktus genannt, ich unterdrücke diesen Einwand. Schließlich hilft mir Hölzel gerade beim Umtopfen meines Wolfsdingsbums. Der gehört zu jenen Pflanzen, die manche „total pflegeleicht“ nennen, während sie anderen eingeht. Liegt an den Umständen: Wenn Standort, Erde und Gießen passen, wächst der Fake-Kaktus rasch bis an die Decke. Wenn nicht, geht er schnell ein. Kein G’fühl für das Mittelmaß, so eine Euphorbia.
Wobei „Erde“ falsch ist. „Ich habe dir ein perfektes Substrat mitgebracht: aus Quarzsand, Bims, Marchsand, Granit, lehmhaltigen Sand, Tongranulat und Lava in verschiedener Körnung.“ Denn Euphorbia, Kakteen und sukkulente („wasserspeichernde“) Pflanzen dürfen nie im Feuchten stehen, können manchmal sogar in bloßer Erde faulen. Daher das durchlässige Substrat und immer einen Topf mit Loch!
„Deswegen ist wichtig, dass man sie im Winter wenig gießt“, mahnt der Präsident. In geheizten Zimmern alle zwei Wochen einen Viertelliter, im Kühlen (eher nicht unter 15 Grad) kann man bis zum Frühjahr überhaupt auslassen. Mein Westernwolf mag es warm und kommt in die Wohnung, südseitig. Achtung: Die fleischigen Triebe werden schwer, daher besser anbinden oder beizeiten abschneiden (die Stücke kann man gleich wieder in Substrat setzen, aber vorher trocknen lassen!). Auch diese Setzlinge wenig gießen, „sonst faulen sie“, sagt Hölzel.
„Wie ein Kaktus“, sage ich.
„Ja. Wie ein Kaktus.“ Der Präsident seufzt.