Offene Ehe: "Ich weiß, wen mein Mann gerade datet"
Von Gabriele Kuhn
Und eines Tages beschlossen Anna und Max, ihre Liebe um eine neue Dimension zu erweitern. Sie einigten sich darauf, Affären zuzulassen. Vor 15 Jahren lernten sie einander im Alter von 18 kennen, seit sieben Jahren sind sie verheiratet, seit fünf Jahren führen sie eine offene Beziehung. Ihre Liebe hält – immer noch.
Darüber hat Anna Zimt (32, der Name ist ein Pseudonym) nun ein Buch geschrieben - mit dem Titel "In manchen Nächten hab ich einen anderen" (Verlag Droemer). Das Geheimnis ihrer Beziehung besteht unter anderem darin, offen und ehrlich miteinander zu reden. Mit dem KURIER sprach Anna über Monogamie, Dialogbereitschaft und die speziellen Herausforderungen einer offenen Ehe. Und sie gibt schließlich Tipps für Paare, bei denen es gerade kriselt.
KURIER: Viele scheitern an der Monogamie. Liegt das auch daran, dass Partner einander nicht sagen, wonach sie sich sehnen?
Anna Zimt: Ich glaube, für viele ist eine monogame Beziehung bereits dann gescheitert, wenn sie einen anderen Menschen interessant finden, ob nun körperlich oder auf anderer Ebene. Dann kommen Zweifel am eigenen Gefühl und man fragt sich: Ist mir mein Partner nicht mehr genug? Was ist falsch mit mir, dass ich mich danach sehne, von diesem oder jenem Menschen geküsst zu werden? Wenn nun die eigenen Ansprüche und Wünsche an die Beziehung einem verbieten, einen ehrlichen Blick auf diese (neuen) Bedürfnisse zu werfen, wächst der nagende Zweifel mit der Zeit.
Aber Beziehungen verändern sich natürlich auch im Laufe der Jahre.
Ja, es ist klar, dass sich eine Beziehung und die Gefühle dazu und darin verändern. Es geht also erst einmal darum, auf sich selbst zu gucken und sich eigene Gefühle zu erlauben. So kann man ja erst für sich selbst erleben, dass die Lust auf einen anderen Menschen gar nicht in Konkurrenz zu den Gefühlen für den Lieblingsmenschen steht. Mit dieser Erfahrung kann man leichter darauf vertrauen, dass es der Partner oder die Partnerin auch so erlebt. Sich im nächsten Schritt zu trauen, all das auch mit dem geliebten Partner zu teilen, kann die Beziehung meiner Erfahrung nach sehr stärken. Womit ich nicht meine, dass sich die Beziehung dann automatisch öffnen sollte. Das kann eine Konsequenz sein, muss es aber nicht. Die Paare in meinem Umfeld, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie nicht an der Idee der Monogamie scheitern werden, sind in sehr ehrlichem und intensiven Austausch miteinander und versuchen auch nach Jahren noch, einander glücklich zu machen.
Welche Rolle spielt dabei der offene und ehrliche Dialog?
Für uns ist die Offenheit und Ehrlichkeit mit all ihren gelebten Konsequenzen die Basis unserer Beziehung. Wie soll man sich sonst gemeinsam entwickeln und aneinander arbeiten? Egal, ob offen oder nicht. Sie ist unser Hauptwerkzeug. Dazu braucht man meiner Erfahrung nach viel Geduld mit sich, dem anderen und den Prozessen. Egal, welches Beziehungsproblem oder Thema man bearbeitet. Oft ist einem selbst ein Gedanke oder ein Wunsch ja nicht neu und man hat schon seine Ideen dazu. Dann ist man schon drei Schritte weiter, ist enthusiastisch, möchte eigentlich direkt loslegen mit einer Veränderung oder einem Vorhaben. Dann vergisst man vielleicht, dass so etwas Zeit braucht, auch beim anderen anzukommen.
Dinge werden ja auch gerne zerredet und dann auf diese Weise kaputt gemacht.
Ungeduld ist Gift. Manchmal braucht es auch Pausen. Zeit, neben den ganzen Worten die Gefühle hinterherkommen zu lassen. Wenn die eigenen Gefühle ernst genommen werden, ist das die halbe Miete. Es muss okay sein, auch mal traurig, wütend, verletzt, verunsichert oder genervt zu sein. Das gibt einem als Paar die Möglichkeit, damit gut umzugehen. Natürlich bedeutet so ein Dialog, dass man hin und wieder über seinen Schatten springen und auf den anderen zugehen muss. Es braucht Mut, auch ungemütliche Dinge anzusprechen.
Wie macht man das wertschätzend, ohne den anderen zu verletzen? Ich könnte mir vorstellen, dass der Satz „Ich möchte auch mit anderen schlafen“ eine Katastrophe auslösen kann.
Die Wertschätzung sollte am besten nicht erst in dieser – zugegeben – sehr anspruchsvollen Gesprächssituation beginnen (schmunzelt). Die Grundlage für so eine Auseinandersetzung findet im besten Fall lange vorher statt. Indem man den anderen immer wieder wertschätzt. Immer. Und immer wieder. Denn wenn ich sicher bin, dass mein Partner – komme, was wolle – bei mir bleibt, dann fühlen sich solche Worte, gerade, wenn sie unerwartet kommen, vielleicht kurz sehr verletzend an. Aber sie bedrohen nicht die Basis, weil ich den Liebesbekundungen meines Partners bedingungslos glauben kann. Aus Erfahrung. Weil es die Zeit und die Taten bewiesen haben.
Erzählen Sie einander von den Affären? Und wissen die über ihr Beziehungs-Modell Bescheid?
Ja, wir sind in alle Richtungen und zu jedem Zeitpunkt sehr transparent miteinander. Uns gegenüber und den (potenziellen) Affären. Ich weiß immer, wen Max gerade datet. Was genau an den Abenden passiert, erzählen wir einander selten. Eher nur, wenn etwas Besonderes passiert oder richtig schiefgelaufen ist. Unsere Affären wissen meist schon vor dem ersten Kuss, dass wir für eine schöne und aufregende Zeit, aber nicht für tiefere Gefühle und Beziehung zu haben sind.
Sie haben offenbar sehr viel miteinander gesprochen - und sind an den Punkt gekommen, wo Sie sich gegen eine Trennung, aber für eine neue Form des Miteinanders entschieden haben. Wie muss man sich so einen Prozess ungefähr vorstellen?
Wir waren einmal ein paar Monate getrennt, als ich nach Berlin ziehen, Max aber in Göttingen bleiben wollte. Ich war in meinem Job und mit einigen anderen Dingen sehr unzufrieden. Und wir beide dachten damals, die Lösung für sehr unterschiedliche Lebensideen und der Bedarf, eigene Schritte gehen wollen, sei eine Trennung. Weil wir nicht mehr in die Schablone der perfekten Beziehung zu passen schienen. Und man das dann eben so macht. Wir hatten also beide den Status „Single“ und begannen schon wenige Wochen nach unserer Trennung eine Affäre miteinander. Tja, ohne einander ging irgendwie nicht. Und dieser Affärenstatus reichte uns ziemlich schnell auch nicht mehr aus. Wir liebten uns doch und wollten das Leben miteinander verbringen. Wir schliefen in dieser Trennungszeit aber auch mit anderen und merkten, dass wir auf diese Abenteuer ungern verzichten wollen. Und so fingen wir an, darüber zu sprechen, ob und welche Regeln wir für unsere offene Beziehung wohl bräuchten, damit sie funktionieren kann.
Eine Basis für Ihre Ehe ist nun dieses Regelwerk, in dem steht, was geht und was gar nicht geht. Wie habt Ihr Euch das erarbeitet und funktioniert das immer?
Puh, das war ganz schön anstrengend, um ehrlich zu sein. Weil wir keinen konkreten Anhaltspunkt von außen hatten. Deshalb hoffe ich, dass unsere Regeln andere Paaren inspirieren. Sie geben Hinweise darauf, worüber es sich lohnt nachzudenken. Und wann zu viel Vordenken verschenkte Liebesmühe ist. Wir haben uns die Regeln – wie sollte es anders sein – in langen Gesprächen erarbeitet. Das war manchmal kein Problem, manchmal zäh. Schiefgelaufen ist es aber vor allem dann, wenn wir einander von etwas überzeugen wollten. Dann wurde aus einem Wunsch schnell Streit. Einige Tage, Wochen oder gar Monate später, wenn das Thema ein bisschen in Ruhe gelassen wurde, haben wir eine Lösung gefunden.
Im Buch klingt vieles so einfach. Gibt’s nie Konflikte?
Natürlich gab es in den vergangenen sieben Jahren, in denen wir offen miteinander leben, Konflikte, die nur damit zusammenhingen. Ich wollte einmal mit einem Mann schlafen, der einen Klamottenladen zwei Häuser neben meiner Berliner Wohnung hatte. Max ging das total gegen den Strich. Er hatte keine Lust darauf, diesem Mann zu begegnen. Er machte von seinem Vetorecht Gebrauch und ich war genervt. Ich wusste, dass Max recht hatte, mir wäre es genauso gegangen. Aber ich wollte so gerne wissen, wie dieser Mann küsst. Genau darum geht es – dass eben nicht immer alles geht und wir als Paar am Ende am wichtigsten sind. So ein Veto dann zu akzeptieren und anzunehmen, verschafft wahnsinnig viel Sicherheit.
Wenn Sie anderen erzählen, dass Sie in einer offenen Beziehung leben, wie reagieren die darauf? Wie erklären Sie sich, um glaubwürdig zu wirken und nicht so, dass alle sagen: "Na, die machen sich nur was vor".
Generell gehen wir damit sehr offen um. Freunde und Familien wissen selbstverständlich davon und wenn es die Situation ergibt, erzählen wir es auch Menschen, die uns nicht so nahe stehen. Meistens werde ich da als allererstes gefragt „Und das funktioniert?“ Irgendwie eine lustige Frage. Manchmal würde ich gerne „Nein“ antworten und sehr traurig gucken. Für uns funktioniert es ja, sonst würden wir ja nicht so leben. Und wer uns persönlich kennt, stellt die Glaubwürdigkeit eh nicht infrage. Es gab aber gerade am Anfang einige Vorurteile, die mich verärgert haben. Dinge wie „Das kann keine Liebe sein, weil ihr noch mit anderen schlaft.“ zum Beispiel – mich hat diese Meinung gekränkt, weil ich es generell anmaßend finde, über andere Beziehungen und Menschen zu urteilen. Diese Haltung bietet so wenig Gesprächsgrundlage, dass ich mir heute selten die Mühe gebe, da noch wirklich drauf einzugehen. Am besten sind die Leute, die mich ganz mitleidig behandeln oder mir erzählen wollen, das würde über kurz oder lang schiefgehen. Zum einen, weil wir von einem „Scheitern“ wirklich meilenweit entfernt sind und zum anderen, weil die eine oder andere monogame Beziehung ja offensichtlich auch schon „schiefgegangen“ ist. Ich möchte niemanden bekehren. Jede wie sie mag.
Manche sind wohl auch ein bisschen "voyeuristisch", oder?
Die allermeisten sind eher neugierig und da freue ich mich sehr über interessierte Nachfragen und gute Gespräche. Auch über Paulas und meinem Podcast „Schnapsidee“ bekomme ich viele Nachrichten von Menschen, die mehr über Max und mich erfahren wollen, weil sie vielleicht an einem ähnlichen Punkt sind wie Max und ich damals.
Sie sprechen offen über vieles, aber warum verwenden Sie dann ein Pseudonym?
Das Pseudonym hat verschiedene Gründe. Vor allem suchen Max und ich uns gerne aus, wann und mit wem wir über uns und unser Liebesleben reden. Mein Buch gewährt wirklich intime, auch erotische Einblicke zu einem kontroversen Thema. Da haben viele schnell eine Meinung. Aber mit all diesen Meinungen wollen wir uns gar nicht ständig umgeben.
Ist da nie Eifersucht? Falls ja – wie reden Sie darüber?
Oh Gott, klar. Aber ehrlich gesagt steht es bei mir mit der Eifersucht genauso wie in den monogamen Jahren. Mal mehr, mal weniger, mal gar nicht. Wenn ich aber eifersüchtig bin, fühle ich mich meistens mit mir selbst doof oder mir fehlt in der Beziehung zu Max etwas. Gemeinsame Zeit zum Beispiel. Und das mache ich dann erst einmal mit mir allein aus – nach einem ordentlichen Gefühlsausbruch natürlich, den Max gerne mal abbekommt. Und dann spreche ich mit ihm darüber. Er wiederum nimmt sich meiner an (nachdem er sein „von meinem Gefühlausbruch genervt sein“ verknuselt hat), hört zu, tröstet mich und sucht eine Lösung mit mir. Manchmal bin ich aber auch neidisch auf ihn. Dann hat Max vielleicht gerade ein tolles Date und ich würde auch mal wieder gerne jemand Spannenden kennenlernen.
Wie wichtig sind Geheimnisse, muss man über alles reden oder behalten Sie dann doch etwas sicherheitshalber für sich?
Ich wurde mal von einem Liebhaber gefragt, wie offen ich zu meinem Mann sein kann. Meine Antwort war damals wie heute 95 Prozent. Danach habe ich Max dieselbe Frage gestellt, und er hat gesagt: 95 Prozent. Das passt doch zu 100 Prozent! Die verbleibenden fünf Prozent sind meinen besten Freundinnen vorbehalten – oder einfach mir selbst.
Und wie ist es mit Ängsten, etwa den anderen zu verlieren?
Wenn ich unsicher bin, frage ich einfach nach: „Findest du mich trotzdem noch toll, auch wenn das gerade so aufregend mit ihr ist?“. Ein aufrichtiges JA, Nähe und ein schöner gemeinsamer Abend sind die beste Medizin. So hole ich mir die Sicherheit, die ich brauche. Und auch da lohnt sich natürlich ein genauer Blick: Warum beunruhigt es mich gerade, dass die Frau vielleicht irgendetwas besser kann, super sexy aussieht oder die spannenderen Geschichten zu erzählen hat? Denn das kommt bestimmt mal vor, das macht zum Teil ja den Reiz aus. Aber wenn Max mich für einen besonders guten Blowjob verlassen würde, hätte ich mich vor nun über 15 Jahren eindeutig für den falschen Mann entschieden!
Aber im Ernst: Wir sind beide Scheidungskinder, wir kennen Verlust und die Angst davor. Vielleicht können wir uns auch deshalb diese Angst so gut nehmen, weil wir Verständnis haben. Und wir sind sehr davon überzeugt, dass sich der Zauber der Affären, den wir so genießen, mit dem Alltag verflüchtigen würde. Wir haben beide schon sehr für eine Affäre geschwärmt. Wenn es gleichzeitig zwischen uns nicht richtig rund läuft, muss das sofort auf den Tisch. Dann docken wir wieder aneinander an und können beruhigt zulassen, dass der andere gerade eine schöne Erfahrung macht.
Haben Sie einen Tipp für Paare, die gerade in der Krise sind - was könnten die tun, und wann zahlt es sich wirklich aus, weiterzutun, statt alles hinter sich zu lassen?
Ich glaube, manchmal geraten Paare in eine Krise, weil äußere Bedingungen vielleicht nicht stimmen und negativen Einfluss auf einen selbst und damit auch auf die Beziehung nehmen. Einer ist zum Beispiel unglücklich in seinem Job oder fühlt sich in dem Wohnort nicht wohl. Oder man hat frisch eine Familie gegründet und kommt nicht damit klar, dass es mit der hundertprozentigen Selbstbestimmung nun erstmal vorbei ist. Da lohnt es, sich (gemeinsam) vorzustellen, wie es wäre, wenn diese äußeren Bedingungen nicht da wären. Wenn der Job und die Stadt toll wären, wenn man mehr Raum und Zeit für sich selbst hätte. Wenn sich in Gedanken dann die Wolkendecke verzieht und man merkt, dass man den anderen so ganz grundsätzlich immer noch ziemlich super findet, dann bleiben Sie dran. Ich habe mir in Krisen außerdem immer vorgestellt, wie, wo und mit wem ich leben will, wenn ich mal alt und richtig schön faltig bin. Und da war immer Max an meiner Seite. Immer.