Leben/Gesellschaft

Pubertierend und hochmotiviert in die AHS

Nach der achten Schulstufe beginnt eine Zeit der Unsicherheit. Wofür sollen sich Schüler entscheiden? Für das Polytechnikum, ein Oberstufenrealgymnasium oder eine berufsbildende Schule? In Mödling gibt es seit vier Jahren eine Initiative, die das neunte Schuljahr nutzt, um die Schüler auf weiterführende Schulen vorzubereiten: Allgemeinbildende Oberstufen-Vorbereitung (ABO) nennt sich der Lehrgang, der die Jugendlichen vor allem in Fächern wie Mathematik, Englisch und Deutsch fit für die Oberstufe macht.

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Und das mit großem Erfolg, wie Michelle und Sara (beide 17) aus eigener Erfahrung wissen. Die beiden haben vor zwei Jahren die Klasse mit einer „Mittleren-Reife-Prüfung“ beendet. Michelle besucht mittlerweile die Oberstufe in der AHS Anton-Krieger-Gasse in Wien, Sara die HAK Mödling. Sie war zuvor an vielen Schulen, bevor sie hier aufgefangen und motiviert wurde. „Ich hatte viele Lücken. Hier wurden die Defizite ausgeglichen.“

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Wie das geht, weiß Lehrerin Sandra Trierweiler: „Wir fördern und fordern unsere Schüler.“ Klingt wie eine Plattitüde, ist aber weitaus mehr. Das Erfolgsrezept heißt „Info-Shaper“, ein Prinzip, das von den Lehrenden in Zusammenarbeit mit der Donauuni Krems entwickelt wurde. „Wir lernen hier weniger Fakten, sondern viel mehr Zusammenhänge“, sagt Lehrer Bernhard Koller, der wie seine Kolleginnen kein Lehramt hat, sondern über die Erwachsenenbildung zu dem Projekt gestoßen ist. „Zudem versuchen wir, Lehrer, Eltern und vor allem die Schüler zu motivieren.“

Immer wieder erklären

Wie das gelingt? Die Lehrer vermitteln viel Stoff, achten aber darauf, dass die Schüler auch mitkommen. „Hier verstehe ich den Stoff besser“, sagt Thomas, 14. Das hat auch damit zu tun, dass immer zwei Lehrer an der Tafel stehen. Wenn ein Schüler nicht weiterkommt, erklärt der andere Pädagoge den Stoff nochmals. „Conference coaching“ nennen die Lehrer die Doppelconference. „Das ist unabdingbar für einen erfolgreichen Unterricht“, sagt Koller. Schülerin Kübran, 16, motiviert, dass die Lehrer an sie glauben: „Sie sagen uns immer wieder, dass wir es schaffen. Das gibt Selbstvertrauen.“


Damit sie es schaffen, gibt es ein strenges Programm: „Wir erwarten, dass jeder seine Hausübungen macht. Wir kontrollieren das auch. Zudem gibt es zu Beginn jeder Stunde eine kurze Stundenwiederholung.“ Angenehmer Nebeneffekt: „Die Schüler gewöhnen sich so an Prüfungssituationen“, sagt Koller.

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Weil die Wissenslücken vieler Schüler groß sind, arbeiten Lehrer und Schüler oft auch noch nach der Stunde. Gratis. Ein kleines Helferlein im Schlalltag sind Vokabelhefte Deutsch-Deutsch. „Begriffe wie ,fragwürdig’ sind vielen unbekannt. Merken wir, dass Schüler ein Wort nicht kennen, erläutern und lernen wir es.“ Auch aufs Lesen wird hier wert gelegt: „30 Klassiker lesen wir im Jahr. Am Endes des Jahres ist der Wortschatz weitaus größer.“ Wer sich besser ausdrücken kann, kann auch besser argumentieren: „Mit meiner Mutter rede ich jetzt anders“, sagt Linda, 15. Und Kübran „lässt sich nicht mehr so von der Meinung anderer beeinflussen.“

Die Oberstufe ist für Österreichs Jugendliche eine große Hürde. Das zeigt eine neue Untersuchung des Instituts für Höhere Studien. Nur 60 Prozent der Neueinsteiger an AHS-Oberstufen oder Anfänger an berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMHS) erreichen ihren Abschluss ohne gravierende Probleme, stellte Studienautor Mario Steiner fest.

Vier von zehn Jugendlichen haben zu kämpfen: Acht Prozent bleiben mindestens einmal sitzen oder wechseln die Schulform (25 Prozent). Sieben Prozent geben auf und brechen ab.

Die größten Schwierigkeiten zeigen sich beim Übergang vom ersten ins zweite Jahr der Ausbildung, also nach der neunten Schulstufe. An diesem Punkt endet die Schulpflicht und beginnt das duale Ausbildungssystem.

Jeder Dritte wechselt

Wo warten die größten Probleme? An den berufsbildenden mittleren Schulen (BMS) schaffen es überhaupt nur 46,1 Prozent locker bis in die Abschlussklasse. 6,9 Prozent bleiben mindestens einmal sitzen und 11, 8 Prozent hören ganz auf. Mehr als ein Drittel wechselt die Schule. Besonders auffällig ist, dass sich nach dem ersten Jahr ein Viertel der Schüler für eine Lehre entscheidet.

Mehr Erfolg haben die Schüler in den berufsbildenden höheren Schulen (BHS) mit ihrem Abschluss: 58 Prozent schaffen ihre Matura. Trotzdem müssen zehn Prozent Klassen wiederholen, vier Prozent wechseln Schule.

Die geringste "Schulversagensrate" gibt es an den AHS-Oberstufen. In der Studie gibt es dafür einen Erklärungsansatz: Es ist zwar sehr schwierig, in ein Gymnasium hinein zu kommen. Aber dann ist die Ausbildung weniger selektiv als in den anderen Schulformen.

Schwierig nach NMS

Gleichzeitig zeigte sich, dass es einen Unterschied macht, ob die Jugendlichen eine Hauptschule (Neue Mittelschule/NMS) besucht haben oder eine AHS-Unterstufe: Die "Verlustraten" der Hauptschulabsolventen in der Oberstufe sind um rund 15 Prozentpunkte höher als jene der AHS-Unterstufenschüler.

Außerdem kommt die Studie zu einem kritischen Befund der neuen Mittelschule: Es gebe Zweifel, "ob die AHS-Unterstufe und Hauptschule (NMS) in gleichem Maße auf die Herausforderungen der Sekundarstufe zwei vorbereiten", so die Studie über die Oberstufe. Bei den Hauptschulabsolventen sieht der Autor Probleme: Rechtlich stünden ihnen alle Wege offen, aber in Realität zeigten sich größere Probleme in deutlich erhöhten Abbruchraten.

Die meisten Abbrecher allerdings, zeigt Steiners Berechnung, gebe es unter den Lehrlingen.