Leben/Gesellschaft

Schmusetier mit Krallen

Geduckter Körper, Zischen und Fauchen, die Ohren leicht nach hinten gerichtet, die Augen zu schmalen Schlitzen gezogen, die Haar bis in die Schwanzspitze gesträubt: Augenblicklich kann aus der freundlichsten Schmusekatze ein angriffslustiger Vierbeiner werden, der nicht davor zurückschreckt, die ausgefahrenen Krallen und seine scharfen Zähne zu benützen.
„Genauso wie der Jagdtrieb ist auch die Aggression bei Katzen stark ausgeprägt“, sagt KURIER-Tiercoach Dagmar Schratter. Die Direktorin des Tiergarten Schönbrunn weiß, woher die Laune der Natur kommt, und wie Heimtierhalter auf die Ausformung als Verhaltensstörung reagieren.

Ursachen

Katzen sind soziale Individualisten, neugierig, scheu, verspielt, bewegungshungrig, hin und wieder anschmiegsam – insgesamt umgängliche Haustiere. Ihre Gereiztheit kann unterschiedliche Ursachen haben.
Unter natürlichen Umständen kämpfen Katzen um die Rangordnung, um den Partner, aus Sorge um den Nachwuchs oder zur eigenen Verteidigung. In der Auseinandersetzung mit dem Halter ist das häufigste Motiv für plötzliche Attacken Unterbeschäftigung. Können die Jäger ihren Instinkt nicht ausleben, entladen sie die aufgestaute Energie mit einem Angriff. Wohnungskatzen leiden viel öfter an Unterforderung, doch auch Freigänger und Bauernkatzen können von Aggression getrieben sein. „Das ist keine Bösartigkeit, sondern ein Ventil“, erklärt Schratter.
Gezielte Beschäftigung beugt der Langeweile daheim vor. Bälle und Stoffmäuse zur Alleinunterhaltung sowie fixe Spielzeiten in der Mensch-Tier-Beziehung reduzieren die ungestümen Ausbrüche. Täglich 60 Minuten in kleinen Einheiten sollen sich Halter für den Vierbeiner nehmen. Katzenangeln sind beliebt, auch Trockenfutter kann nachgejagt werden. „Laserpointer sind nicht empfehlenswert“, sagt der KURIER-Tiercoach. Der Jagderfolg bleibt aus, das frustriert erst recht.
Katzen können auch aus einer scheinbar harmonischen Situation heraus kratzbürstig werden. Ein überhöhter Erregungszustand ist dann Grund für die Aggressivität. „Streicheln kann die Katze überstimulieren. Dann beißt sie und schlägt zu“, sagt die Expertin. In diesem Fall kündigt sich die Offensive an: Die Katze versteift sich, der Schwanz peitsch nervös hin und her. Höchste Zeit, die körperliche Zuwendung einzustellen und die Anspannung umzulenken – z. B. in sanftes Spiel.
Vorsicht ist bei wilden Spielen geboten. Verstecken und Fangen regen Katzen auf, sprechen ihre Triebe an und schaukeln Emotionen auf. Der Vierbeiner vergisst, dass der Zweibeiner keine Beute ist. Harte Bandagen können folgen, soweit darf es nicht kommen.

Erziehung

„Manche Katzen haben gelernt, dass sie mit ihrer Attacke ihr Ziel erreichen“, sagt Schratter. Reagieren Heimtierbesitzer auf das unerwünschte Verhalten mit Spiel, Streicheln oder Leckerlis, lernt der Liebling, dass Aggressivität belohnt wird. Die einzig richtige Erziehungsmaßnahme ist Ignorieren. „Wenn die Katze einen unerwarteten Angriff startet, darf man sie nicht beachten. Und zwar für die nächsten Minuten. Da muss man konsequent sein“, sagt Schratter. Nachsatz des KURIER-Tiercoachs: „Gut sozialisierte Tiere, die zudem gut erzogen sind, beißen und schlagen beim Spiel nicht. Sie finden andere Wege, Aggression abzubauen.“